Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist die Gewährung einer sog. Geschiedenenwitwenrente.

Die Ehe der 1910 geborenen Klägerin mit dem Versicherten wurde auf dessen Klage durch rechtskräftiges Urteil des Kreisgerichts M… vom 24. Januar 1962 aufgrund von § 8 Abs. 1 der DDR-Verordnung vom 24. November 1955 (Ehe-VO) geschieden. In der Urteilsbegründung ist ausgeführt, die Klägerin habe den Versicherten, mit dem sie bis dahin in M… gewohnt hatte, wiederholt, endgültig im Juni 1957, verlassen, sich nach Westdeutschland begeben, es abgelehnt, zu ihm zurückzukehren, und es verabsäumt, mit Hilfe des zuständigen Kreisgerichts eine Änderung der ehelichen Verhältnisse anzustreben. Da sie dadurch wesentliche Ursachen für die Zerrüttung der Ehe gesetzt habe, seien ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen gewesen. Der Versicherte hat nicht wieder geheiratet; er ist am 5. Mai 1966 in M…verstorben.,

Einen im Juni 1966 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung der Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 42 - Satz 1 - Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ab; dabei verneinte sie eine Unterhaltspflicht des Versicherten "in entsprechender Anwendung der §§ 58; 59 Ehegesetz" (EheG), weil das Scheidungsurteil ein zumindest überwiegendes Verschulden der Klägerin an der Ehescheidung erkennen lasse. Die (damalige) Klage wies das Sozialgericht (SG) Nürnberg durch rechtskräftiges Urteil vom 3. Februar 1967 ab. Es hielt Satz 2 des § 42 AVG damaliger Fassung gleichfalls nicht für anwendbar; der Versicherte habe als Scheidungskläger nicht gemäß § 61 EheG unterhaltspflichtig werden können, weil die Erwerbseinkünfte der Klägerin zur Bestreitung des nach § 58 EheG angemessenen Unterhalts ausgereicht hätten.

Im Oktober 1975 stellte die Klägerin unter Berufung auf die Änderung des § 42 AVG durch das Rentenreformgesetz (RRG) erneut Antrag auf Hinterbliebenenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die Voraussetzungen einer Neufeststellung nach § 79 AVG nicht erfüllt seien; § 42 Satz 2 AVG meine mit "Unterhaltsverpflichtung" nur eine solche nach den §§ 58, 59 EheG (Bescheid vom 6. Oktober 1975). Der Widerspruch der Klägerin wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß nach dem interlokalen Kollisionsrecht das Unterhaltsrecht der DDR maßgebend gewesen sei, das der Klägerin keinen Unterhaltsanspruch zugebilligt habe.

Die erneute Klage wies das SG Nürnberg durch Urteil vom 14. Februar 1978 ab. Daß die Klägerin keinen Anspruch aufgrund des § 42 Satz 1 AVG besitze, sei schon rechtskräftig entschieden. Die Neufassung des § 42 Satz 2 AVG habe ebenfalls keinen Anspruch für sie geschaffen. Die Voraussetzungen dieses Satzes seien, wenn auch im übrigen, so doch nicht in der Nr. 1 erfüllt. Die Neufassung durch das RRG solle eine Rentengewährung auch in den Fällen ermöglichen, in denen eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten ausschließlich wegen der Erwerbseinkünfte der Frau nicht bestanden habe. Ein solcher Fall liege nicht vor. Die Unterhaltspflicht des Versicherten sei hier nach dem Statut des letzten gemeinsamen Wohnsitzes der früheren Eheleute und damit nach DDR-Recht zu beurteilen. Dieses - sowohl die Ehe-VO vom 24. November 1955 wie das Familiengesetzbuch vom 20. Dezember 1965 - lasse nach Ablauf von zwei Jahren nach der Scheidung selbst bei Alleinverschulden des Versicherten keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn mehr zu.

Mit der vom SG zugelassenen und mit Zustimmung der Beklagten eingelegten Sprungrevision beantragt die Klägerin,den ablehnenden Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides sowie das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 2 AVG ab 1. Januar 1973 zu verurteilen.

Sie meint, es müsse in der Frage des Unterhaltsanspruchs von der im Bundesgebiet gegebenen Lage ausgegangen werden; danach aber habe ein Unterhaltsanspruch bestanden. Die Klägerin hat ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. S… C… vorgelegt, in dem die Anwendbarkeit des Bundesrechts bejaht, die Nichtanwendung der §§ 60, 61 EheG a.F. durch das SG bemängelt und die Ansicht vertreten wird, das SG habe das frühere Urteil als offensichtlich unrichtig erkennen oder den Neuantrag im Hinblick auf die Gesetzesänderung als durch § 79 AVG nicht berührt behandeln müssen.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision ist das Urteil des SG aufzuheben und der Rechtsstreit an eine Tatsacheninstanz zurückzuverweisen, weil die bisherigen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung nicht ausreichen.

Das Vorbringen der Klägerin läßt zunächst nicht klar erkennen, ob sie sich auch gegen die Ablehnung eines sog. Zugunstenbescheides nach § 79 AVG wenden will. Soweit der Klägerin in dem angefochtenen Bescheid vom 6. Oktober 1975 eine Neufeststellung nach dieser Vorschrift versagt worden ist, ist der Bescheid jedenfalls rechtmäßig. Eine Neufeststellung nach § 79 AVG wäre nur zulässig gewesen, wenn die frühere, zuletzt durch das SG-Urteil vom 3. Februar 1967 erfolgte Rentenablehnung offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre. Zur damaligen Zeit kamen als Anspruchsgrundlagen § 42 Satz 1 AVG sowie § 42 Satz 2 AVG in der bis zum 31. Dezember 1972 geltenden Fassung in Betracht. Der vom SG festgestellte Sachverhalt ergibt jedoch keinen Anhalt dafür, daß diese Anspruchsgrundlagen zu Unrecht verneint worden waren. Dies gilt selbst dann, wenn in diesem Zusammenhang zugunsten der Klägerin als weitestgehende Möglichkeit ein Unterhaltsanspruch nach § 58 EheG in Betracht gezogen wird. Ein solcher Anspruch konnte nämlich, wie festgestellt, wegen der Erwerbseinkünfte der Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten nicht bestehen.

Offen ist dagegen, ob der Klägerin ein Anspruch auf Geschiedenenwitwenrente aufgrund der Neufassung des § 42 Satz 2 AVG erwachsen ist, die auf vor dem 1. Januar 1973 eingetretene Versicherungsfälle Anwendung findet, wie sich mittelbar aus der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 18 AnVNG i.d.F. des RRG ergibt. Ein aus der Neufassung herzuleitender Anspruch ist nicht von vornherein durch die Rechtskraft der früheren Ablehnung ausgeschlossen. Insoweit gilt nichts anderes als bei der ersten Änderung des § 42 AVG durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 9. Juni 1965 (vgl. BSGE 36, 251): Die neu eingefügte Gesetzesalternative - und nur sie - ist ohne Rücksicht auf die früheren Entscheidungen zu den bisherigen Alternativen und die dafür maßgebend gewesenen Gründe zu prüfen. Demnach kann die Klägerin eine sachliche Prüfung verlangen, ob eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zur Zeit seines Todes wegen ihrer Erträgnisse aus Erwerbstätigkeit nicht bestanden hat.

Dieser Tatbestand (zweite Alternative in § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG) wäre ohne weiteres zu verneinen, wenn die Frage einer Unterhaltsverpflichtung ausschließlich nach dem Recht der DDR zu beurteilen wäre. Ließ nämlich dieses Recht, wie das SG ausgeführt hat, jede Unterhaltspflicht eines geschiedenen Ehegatten spätestens mit dem Ablauf von zwei Jahren nach der Scheidung entfallen, dann konnten für das Fehlen einer Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zur späteren Zeit seines Todes nicht die Erwerbseinkünfte der Klägerin ursächlich sein. Entgegen der Auffassung des SG war hier aber nicht allein das Unterhaltsrecht der DDR maßgebend.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (zuletzt SozR 2200 § 1265 Nr. 20 mit Hinweisen auf frühere Entscheidungen) ist zwar für die Beurteilung der Scheidungsfolgen im interlokalen Bereich an das Statut des letzten gemeinsamen Wohnsitzes der Eheleute, das für einen geschiedenen Ehegatten fortgilt, anzuknüpfen; danach hat das SG grundsätzlich zutreffend auf das Unterhaltsrecht der DDR abgestellt. Unbeachtet blieb jedoch, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gegebenenfalls noch ergänzend das Unterhaltsrecht der Bundesrepublik heranzuziehen ist. Nach dieser Rechtsprechung (BGHZ 34, 134; Leitsatz Nr. 2, 151) steht nämlich einem Ehegatten, dessen Ehe in der DDR geschieden wurde, wenn er beim Erlaß des Scheidungsurteils in der Bundesrepublik Deutschland wohnte oder sich hier dauernd aufhielt, ein Unterhaltsanspruch nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Recht insoweit zu, als der Anspruch den in der DDR bestehenden Unterhaltsanspruch übersteigt; danach kann sogar ein Anspruch auch allein nach dem Unterhaltsrecht der Bundesrepublik Deutschland gegeben sein.

Der erkennende Senat kann dahingestellt lassen, ob diese Rechtsprechung des BGH in allen Teilen ihrer Begründung überzeugt; insbesondere, soweit der BGH eine Parität zwischen den beiden deutschen Rechtsordnungen verneint hat (so noch in BGHZ 38; 1; 4; 42, 99, 105 ff.). Der Senat folgt gleichwohl dem BGH, wie dies schon der 4. Senat des BSG getan hat (SozR Nr. 60 zu § 1265 RVO; vgl. dazu auch SozR 2200 § 1265 Nr. 13). Dafür ist zwar nicht ausschlaggebend, daß als Voraussetzung der Geschiedenenwitwenrente grundsätzlich jede zur Zeit des Todes des Versicherten gegebene unterhaltsrechtliche Position genügt (Urteil des erkennenden Senats vom 31. Januar 1979 - 11 RA 22/78 -); insoweit dürften nämlich Zweifel bestehen, ob eine Rechtsauslegung durch das höchste Zivilgericht der Bundesrepublik Deutschland allein eine solche Position schaffen kann. Ferner darf nicht bedeutsam sein, daß der erkennende Senat bei gewollter Abweichung von der Rechtsprechung des BGH den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen müßte. Nach seiner Meinung verdient aber jedenfalls der der Rechtsprechung des BGH mit zugrunde liegende Gedanke des Schutzes des zur Zeit der Scheidung in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ehegatten Beachtung; er hat für die hier zu beurteilende Zeit im Jahre 1966 seine Gültigkeit und sein Gewicht nicht verloren. Wenn der erkennende Senat sich sonach der Rechtsprechung des BGH anschließt, so weicht er damit andererseits nicht von bisherigen Entscheidungen des BSG ab (vgl. insbesondere SozR Nrn. 59 und 60 zu § 1265 RVO; SozR 2200 § 1265 Nrn. 7, 13, 15 und 20); denn soweit ersichtlich, hat kein Senat des BSG eine ergänzende Heranziehung des Unterhaltsrechts der Bundesrepublik Deutschland nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen bisher allgemein oder im besonderen für einen Sachverhalt, wie er hier gegeben ist, für unzulässig erklärt.

Sonach ist bei der Prüfung, ob eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten zur Zeit seines Todes wegen der damaligen Erwerbseinkünfte der Klägerin entfallen war, auch eine Unterhaltsverpflichtung nach den Vorschriften des damals in der Bundesrepublik Deutschland noch geltenden Ehegesetzes in Betracht zu ziehen. Dabei schließt sich der erkennende Senat der vom 5. Senat des BSG in Urteilen vom 20. Januar und 26. Mai 1976 (SozR 2200 § 1265 Nrn. 13 und 19) entwickelten Rechtsprechung zu außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne Schuldausspruch ergangenen Scheidungsurteilen an; danach gilt der Versicherte nach §§ 58, 59 EheG als unterhaltspflichtig, wenn nachträglich noch sein alleiniges oder überwiegendes Verschulden an der Scheidung festgestellt werden kann; ist eine solche Feststellung nicht möglich, dann ist § 61 As 2 EheG entsprechend anzuwenden. Im einen wie im anderen Falle ist im Rahmen des § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG n.F. zu unterstellen, daß der Versicherte einerseits imstande war, den nach den Verhältnissen zur Zeit der Scheidung nach § 58 EheG angemessenen Unterhalt zu leisten und daß andererseits die geschiedene Frau keine Erwerbseinkünfte hatte, so daß es auf ihrer Seite nur noch auf ein etwaiges Vermögen zur Zeit des Todes des Versicherten ankommt, worüber hier Feststellungen fehlen.

Da zumindestens solche Feststellungen noch erforderlich sind, der erkennende Senat sie als Revisionsgericht jedoch nicht selbst zu treffen vermag, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, in den Tatsachenrechtszug zurückzuverweisen, wobei der Senat eine Zurückverweisung an das Landessozialgericht (LSG) für angebracht hielt (§ 170 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Das LSG könnte dabei auf eine Klärung der Schuldfrage verzichten, wenn die Prüfung nach § 42 Satz 2 Nr. 1 AVG ergibt, daß die Klägerin bei den im Rahmen dieser Vorschrift zu vollziehenden Unterstellungen jedenfalls nach § 61 Abs. 2 EheG einen Anspruch in einer mindestens 25% ihres Mindestbedarfs erreichenden Höhe gehabt hätte.

 

Fundstellen

IPRspr. 1979, 70

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge