Verfahrensgang

SG Augsburg (Urteil vom 11.12.1975)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. Dezember 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger und den Beigeladenen zu 1) und 2) auch deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die vom Kläger auf Grund von Partnerschaftsverträgen seinen Arbeitnehmern, darunter den Beigeladenen zu 1) und 2), jährlich gutgeschriebenen, jedoch nicht ausgezahlten Gewinnanteile als einmalige Zuwendungen mit der Gutschrift bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind.

Der Kläger ist Inhaber eines Betriebs, der im wesentlichen mit der Aufbereitung von Trinkwasser befaßt ist. Der Kläger hat mit seinen Arbeitnehmern gleichlautende Partnerschaftsverträge geschlossen.

Die Gewinnbeteiligung soll “eine rein vermögensbildende Funktion” haben (Präambel zum Partnerschaftsvertrag). Jedem Mitarbeiter mit einer Mindestbeschäftigungszeit von 12 Monaten wird anschließend eine Gewinnbeteiligung gewährt (§ 3 des Partnerschaftsvertrags). Der Partnerschaftsausschuß (§ 2) setzt mit einfacher Mehrheit die Gewinnbeteiligungssumme nach dem festgestellten Bilanzgewinn fest. Höchstens 50 v.H. des ermittelten Gewinns werden an die anspruchsberechtigten Arbeitnehmer verteilt, wobei Bestand und Leistungskraft des Unternehmens zu berücksichtigen sind (§§ 4, 6). Nach einem besonderen Schlüssel wird die Gewinnbeteiligungssumme auf die einzelnen gewinnberechtigten Mitarbeiter aufgeteilt (§ 7 Abs 1 bis 3). “Die zur Gutschrift gelangenden Gewinnanteile bleiben als Erfolgsanteil im Betrieb und werden als Darlehen an die Firma gewertet. Als solches sind sie Fremdkapital und werden verzinst. Die Zinsen werden am Ende des Kalenderjahres vom Partnerschaftsausschuß festgelegt und betragen max. 2 % über dem Diskontsatz, der auf den Jahresdurchschnitt berechnet wird. Die Zinsen werden in bar, spätestens zum 30.5. des darauffolgenden Jahres, ausgezahlt. Im Verlustjahr werden die Anteile nicht verzinst” (Abs 4). Die Einlagen können nur im Einverständnis mit dem Partnerschaftsausschuß verpfändet und beliehen werden (§ 7 Abs 5). Die bisher vom Partnerschaftsausschuß festgesetzten Zinsen lagen etwa 2 v.H. unter den üblichen Bankkreditzinsen. Bei einem betrieblichen Verlust wird der Bilanzverlust wie der Bilanzgewinn anteilig ermittelt und dem jeweiligen Kapitalkonto der gewinnberechtigten Arbeitnehmer belastet (§ 9). Die Gewinnbeteiligungsanteile werden bei Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen und des 50. Lebensjahres bei weiblichen Arbeitnehmern (§ 12 Nr. 1), beim Tod eines gewinnbeteiligten Arbeitnehmers (§ 12 Nr. 2), bei Kündigung des Partnerschaftsvertrags oder des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber (§§ 11, 12 Nr. 4) in zwei Jahresraten ausgezahlt, in den Fällen der Kündigung des Partnerschafts- oder des Arbeitsvertrags durch den Arbeitnehmer sowie der fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber in fünf Jahresraten (§§ 11 Abs 3, 12 Nrn 3 und 5). Aus besonderem Anlaß oder in Härtefällen kann der Partnerschaftsausschuß mit einfacher Mehrheit die sofortige Auszahlung der Gewinnanteile oder eine andere Auszahlung mit anderen Teilbeträgen beschließen (§ 13). In der Praxis geschieht dies selten.

Auf Grund einer Betriebsprüfung forderte die Beklagte vom Kläger für die vom 1. April 1970 bis 31. August 1972 den Arbeitnehmern gutgeschriebenen Gewinnanteile als rückständige Beiträge zur Kranken-, Arbeiterrenten-, Angestellten- und Arbeitslosenversicherung insgesamt 5.593,73 DM (Bescheid vom 31. Oktober 1973). Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Gewinnbeteiligungen seien als einmalige Zuwendungen (§ 160 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung – RVO –) bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge in dem Zeitabschnitt zu berücksichtigen, in dem sie den Arbeitnehmern gutgeschrieben wurden.

Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1974). Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat den Bescheid der Beklagten vom 31. Oktober 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 1974 aufgehoben und die Revision zugelassen (Urteil vom 11. Dezember 1975).

Die Beklagte hat mit Zustimmung des Klägers gegen dieses Urteil Sprungrevision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN S 281) und des § 160 Abs 3 RVO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) sind nicht vertreten.

Die Beigeladene zu 3) stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 4) schließt sich dem Antrag und dem Vortrag der Beklagten an.

Die Beigeladene zu 5) stellt keinen Antrag. Sie schließt sich dem Vortrag der Beklagten an.

Alle Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.

Mit Recht hat das SG entschieden, daß die vom Kläger auf Grund von Partnerschaftsverträgen den Beigeladenen zu 1) und 2) als seinen Arbeitnehmern gutgeschriebenen Gewinnanteile nicht bereits mit der Gutschrift nicht als einmalige Zuwendungen bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind. Dabei hat es zutreffend die jährlichen Gewinnanteile der beiden Beigeladenen als einmalige Zuwendungen (§ 160 Abs 3 RVO) und als Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis dieser beiden Arbeitnehmer angesehen. Für den Kläger steht außer Streit, daß er grundsätzlich verpflichtet ist, auch aus den Gewinnanteilen die Beiträge zu zahlen (§ 393 Abs 1 RVO). Die Auffassungen der Beteiligten gehen allein darüber auseinander, ob die jährlich den Beigeladenen zu 1) und 2) gutgeschriebenen Gewinnanteile bereits mit der Gutschrift als einmalige Zuwendungen in dem Zeitabschnitt für die Berechnung der Beiträge zu berücksichtigen sind, in dem sie gewährt werden, oder ob dies erst dann zu geschehen hat, wenn die beiden Beigeladenen, nachdem sie Auszahlungen aus ihren Kapitalkonten abgerufen haben, tatsächlich derartige Zahlungen erhalten.

Seitdem der Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) den sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Entgelts an das Lohnsteuerrecht gebunden hat, ist der Berechnung des Beitrags zur Sozialversicherung nur das Entgelt zugrunde zu legen, das für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist (BSGE 6, 47, 53; 16, 91, 94; 21, 48, 50; 22, 106 f; 22, 157, 160; 22, 169, 170; 24, 71, 72; BSG SozR Nrn 23 und 25 zu § 160 RVO). Im Einkommen- und Lohnsteuerrecht unterliegen solche Einnahmen der Steuerpflicht, die dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (vgl § 11 Abs 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –: “Einnahmen sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind”). Das SG hat deshalb zutreffend im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG aaO) auf den im Steuerrecht entwickelten und gefestigten Begriff des Zuflusses abgehoben und diesen seiner eigenen Prüfung zugrunde gelegt. Wenn auch eine steuerrechtliche Bestimmung des Begriffs des “Zufließens” fehlt (vgl Hartmann/Böttcher/Grass/Gericke, Großkommentar zur Einkommensteuer, EStG § 11 Anm 2b), wird doch im Einkommen- und Lohnsteuerrecht einhellig in Rechtsprechung und Schrifttum der Begriff des Zufließens dahin verstanden, daß der Steuerpflichtige in der Lage sein muß, über die Einnahme zu verfügen. Der Steuerpflichtige muß die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt haben (Blümich/Falk/Steinbring/Uelmer, EStG § 11 Anm 2a; Hartmann/Böttcher/Grass/Gericke aaO; Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 4. Aufl 1973, § 30 LStDV Anm 4; Handwörterbuch des Steuerrechts 1. Bd 1972 S 3, Stichwort: Abfluß; BFH BStBl 1963 III 96). “Ein Zufluß i.S. des § 11 EStG ist erfolgt, wenn und sobald die Einkommen in bar oder in geldwerten Gütern (§ 8 EStG) so in die Vermögensphäre des Gläubigers gelangt sind, daß er darüber wirtschaftlich unbedingt verfügen kann, ohne daß es darauf ankommt, auf welchen Zeitraum sich der zugeflossene Betrag bezieht oder wann er fällig geworden ist" (Hartmann/Böttcher/Grass/Gericke aaO). Dem ist die Rechtsprechung des BSG gefolgt, die für den Zufluß von Einnahmen ebenfalls darauf abgestellt, ob das Geld oder die geldwerten Güter so in die Vermögensphäre des Versicherten gelangt sind, daß er über das Geld oder die geldwerten Güter wirtschaftlich verfügen kann (BSGE 21, 48, 51; 26, 120, 121; SozR Nr 23 zu § 160 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I/2 S 310k II, III, 36. Nachtrag, Juli 1971). In Übereinstimmung mit der steuerrechtlichen Betrachtung hatte das BSG (BSGE 21, 48, 51) bereits ausgesprochen, daß Gutschriften des Arbeitgebers zugunsten des Arbeitnehmers nur dann als dem Arbeitnehmer zugeflossene Lohnzahlungen zu behandeln sind, wenn der Arbeitnehmer rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, über sein Guthaben zu verfügen. Gerade dies schließen die Regelungen der Partnerschaftsverträge zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 1) und 2) aus, wie das auch von dem Finanzgericht München in seinem rechtskräftigen Urteil vom 28. Juni 1974 – V 15/72 – festgestellt worden ist.

Nach § 7 Abs 4 bleiben “die zur Gutschrift gelangten Gewinnanteile … als Erfolgsanteil im Betrieb und werden als Darlehen an die Firma gewertet”. Der gewinnbeteiligte Arbeitnehmer kann daher über den ihm gutgeschriebenen Gewinnanteil nicht verfügen. Die Verfügungsmöglichkeit über die Einlagen ist auf die genau geregelten Fälle der §§ 11 und 12 des Partnerschaftsvertrages beschränkt. Die Auszahlungen erfolgen zudem in zwei und sogar in fünf Raten. Selbst wenn nach den Bestimmungen des Partnerschaftsvertrages die Raten auszuzahlen wären, unterliegen sie der weiteren Einschränkung des § 12 letzter Absatz des Partnerschaftsvertrages, wonach nur höchstens 10 vH der Einlagen ausgezahlt werden dürfen, “um die Existenz der Firma nicht zu gefährden”. Die fehlende volle Verfügungsmacht der gewinnbeteiligten Arbeitnehmer wird durch § 13 des Partnerschaftsvertrages noch verstärkt. Dort ist zwar zugelassen, daß bei besonderen Anlässen oder in Härtefällen sofort oder in anderen Teilbeträgen die gutgeschriebenen Gewinnanteile ausgezahlt werden können. Aber auch eine solche Auszahlung ist an die zwingende Voraussetzung geknüpft, daß die Auszahlung durch die gesamtwirtschaftliche Lage des Unternehmens gerechtfertigt ist. Darüber hinaus entscheidet in solchen Fällen der Partnerschaftsausschuß mit einfacher Mehrheit. Diese notwendige Beschlußfassung schließt jede freie Verfügbarkeit über das Guthaben aus. Zudem ist nicht einmal der Bestand der gutgeschriebenen Gewinnanteile gesichert. Denn der Betriebsverlust wird wie ein Betriebsgewinn ebenfalls anteilig auf die Arbeitnehmer umgelegt (§ 9 des Partnerschaftsvertrages).

Es ist also im äußersten Fall denkbar, daß ein ursprüngliches Guthaben durch Verlustanteile wieder aufgezehrt wird.

Soweit die Beklagte dem Ergebnis, daß die gutgeschriebenen Gewinnanteile den Beigeladenen zu 1) und 2) nicht zugeflossen sind, mit dem Hinweis widerspricht, die Gewinnbeteiligungen seien mit den vermögenswirksamen Leistungen nach dem Dritten Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer i.d.F. vom 15. Januar 1975 (BGBl 1975 I S 257) zu vergleichen, verkennt sie den Inhalt des § 12 Abs 6 dieses Gesetzes. Danach ist lediglich festgelegt, daß vermögenswirksame Leistungen Entgelt (Arbeitsentgelt) iS der Sozialversicherung sind. Diese Regelung sagt aber nichts darüber aus, wann die vermögenswirksamen Leistungen dem Arbeitnehmer zugeflossen sind. Allein auf die Entscheidung dieser Frage kommt es hier aber an.

Wenn auch durch die am 1. Juli 1977 in Kraft getretenen Gemeinsamen Vorschriften des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs – SGB IV – (Art II § 21 Abs 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 1976 – BGBl I 3845 –) § 160 RVO und der Gemeinsame Erlaß vom 10. September 1944 aufgehoben und durch § 14 SGB IV ersetzt worden sind, hat sich dadurch an der bisherigen Rechtslage nichts geändert. Nach § 14 Abs 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Auch künftig soll insoweit an einer möglichst weitgehenden Übereinstimmung mit dem Steuerrecht festgehalten werden (vgl § 17 SGB IV; Bley, Sozialrecht, 2. Aufl, S 108). Eine Abweichung vom Steuerrecht ist nur dann zu rechtfertigen, wenn sich die steuerrechtlichen Regelungen nicht mit sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen vereinbaren lassen.

Davon kann hier ohnehin keine Rede sein. Nach § 14 Abs 1 SGB IV sind die Gewinnanteile der Beigeladenen zu 1) und 2) Arbeitsentgelt. Auch unter Berücksichtigung der Gemeinsamen Vorschriften des SGB IV hat der Arbeitgeber nur dann die vom Arbeitsentgelt berechneten Beiträge zu zahlen, wenn das Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer zugeflossen ist. Gerade dies war und ist aber nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI852700

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