Leitsatz (redaktionell)

Verzugszinsen (RVO § 397a Abs 2) im Konkursfall:

RVO § 397a Abs 2 gilt für die Zeit von seinem Inkrafttreten am 1969-07-01 an auch in Fällen, in denen die Beitragsforderung vor dem 1969-07-01 entstanden und der Verzug (3 Monate) vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist.

KO § 63 Nr 1 schließt nicht die Entstehung von Zinsforderungen während der Dauer des Konkursverfahrens, sondern lediglich deren Geltendmachung im Verfahren aus.

Auch während des Konkursverfahrens gilt der Gemeinschuldner als Arbeitgeber iS des RVO § 397a Abs 2, so daß die Zinsforderung außerhalb des Verfahrens gegen ihn geltend gemacht werden kann.

 

Normenkette

RVO § 397a Abs. 2 Fassung: 1969-06-25; KO § 63 Nr. 1

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Januar 1972 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger betrieb ein Wohnungsbauunternehmen in H Am 15. Januar 1969 wurde über sein Vermögen das Konkursverfahren eröffnet. In diesem Verfahren meldete die Beklagte eine Konkursforderung in Höhe von 84.217,37 DM an. Dieser Betrag setzt sich aus Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. November 1968 bis 15. Januar 1969, Mahngebühren, Vollstreckungsgebühren und Säumniszuschlägen zusammen. Die Forderung wurde am 7. April 1970 in voller Höhe aus der Konkursmasse beglichen.

Mit Bescheid vom 15. April 1970 verlangte die Beklagte vom Kläger unter Berufung auf § 397 a Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des § 246 Abs. 1 Nr. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wegen der vom Konkursverwalter beglichenen Hauptforderung die Zahlung von Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 7. April 1970 in Höhe von 5.108,33 DM einschließlich 31,- DM Vollstreckungsgebühren. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 3. Juni 1970 zurückgewiesen. Die Klage hatte in den beiden ersten Rechtszügen keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Hildesheim - SG - vom 10. Dezember 1970, Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen - LSG - vom 25. Januar 1972).

Das Berufungsurteil ist im wesentlichen auf folgende Überlegungen gestützt:

Die Forderung der Beklagten sei aus den §§ 397 a Abs. 2, 1400 Abs. 1 Satz 1 RVO, 122 Abs. 1 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in den vom 1. Juli 1969 an geltenden Fassungen sowie aus § 179 Satz 1 AVG begründet.

Dem stehe nicht entgegen, daß die Hauptforderung bereits vor diesem Zeitpunkt entstanden und auch der Verzug vorher eingetreten sei. Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes erfasse die Neuregelung auch Rückstände aus Zeiten vor ihrem Inkrafttreten. Darin liege keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Da die Zinsforderung im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden könne, hafte der Kläger dafür mit seinem konkursfreien Gut. Verzug sei hinsichtlich der gesamten Hauptforderung spätestens im Februar 1969 eingetreten. Die Konkurseröffnung sei kein den Verzug beendender oder seinen Eintritt hindernder Umstand.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die - zugelassene - Revision eingelegt. Er meint, daß er von der Konkurseröffnung an nicht mehr als Arbeitgeber anzusehen sei und damit nicht für Schulden, die den Arbeitgeber treffen, in Anspruch genommen werden könne. Im übrigen sei § 397 a Abs. 2 RVO nF in der Anwendung durch das LSG unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen unechten Rückwirkung verfassungswidrig. Es möge zwar zutreffen, daß die Neuregelung auch bereits vorher aufgelaufene Rückstände erfasse und erfassen dürfe. Das könne jedoch nicht für Fälle gelten, in denen der Schuldner durch § 6 der Konkursordnung (KO) gehindert gewesen sei, den Verzugswirkungen zu entgehen. Allein der Konkursverwalter sei in der Lage gewesen, durch eine rechtzeitige Befriedigung der Beklagten wegen ihrer bevorrechtigten Forderung den Verzug zu beenden. Er - der Kläger - könne nicht für die Untätigkeit des Konkursverwalters haftbar gemacht werden; die Beklagte möge sich unter dem Gesichtspunkt des § 59 Nr. 1 KO an die Masse halten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Januar 1972 sowie das Urteil des SG Hildesheim vom 10. Dezember 1970 und den Bescheid der Beklagten vom 8. April 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 1970 aufzuheben,

die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Alle Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

II

Die Revision ist statthaft, aber nicht begründet. Der Beklagten steht, wie das LSG zu Recht entschieden hat, gegen den Kläger ein Anspruch auf Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 7. April 1970 sowie auf 31,- DM Vollstreckungsgebühren zu.

Wie der Senat in seinem Urteil vom 1. Dezember 1972 - 12/3 RK 36/71 - im einzelnen näher dargelegt hat, gilt § 397 a Abs. 2 RVO für die Zeit von seinem Inkrafttreten am 1. Juli 1969 an auch in Fällen, in denen die Beitragsforderung vor dem 1. Juli 1969 entstanden und der Verzug vor diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Darin liegt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung, weil der in Verzug geratene Beitragsschuldner für ein etwaiges Vertrauen auf den Fortbestand der bis zum 1. Juli 1969 gegebenen Rechtslage eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen konnte (BVerfGE 14, 288 (300); 31, 222 (228)).

Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, er habe durch die Eröffnung des Konkursverfahrens die Verfügungsgewalt über sein Vermögen verloren (§ 6 KO) und sei damit außerstande gewesen, den weiteren Eintritt von Verzugsfolgen abzuwenden. Wie der erkennende Senat in seinem bereits erwähnten Urteil vom heutigen Tage ausgeführt hat, schließt § 63 Nr. 1 KO nicht die Entstehung von Zinsforderungen, sondern lediglich deren Geltendmachung im Konkursverfahren aus. Durch die Konkurseröffnung wird der Schuldnerverzug nicht beendet; denn der Schuldner hat das Fehlen von Geldmitteln zur Begleichung seiner Schulden, das auch zur Eröffnung des Konkurses geführt hat, weiterhin zu vertreten (§§ 279, 285 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), ebenso den sich aus § 12 KO ergebenden Erfüllungsaufschub (vgl. auch OLG Hamburg in MDR 1959, 221 und OLG Düsseldorf in MDR 1969, 759). Dadurch, daß der Konkursverwalter nicht die Beklagte wegen der Hauptforderung befriedigt und damit die Fortdauer des Verzuges ausgeschlossen hat, ist entgegen der Ansicht der Revision eine das konkursfreie Gut des Klägers entlastende Masseschuld (§ 59 Nr. 1 KO) nicht entstanden (vgl. dazu Jaeger-Lent, KO, 8. Aufl., Anm. 4 zu § 59). Ob der Kläger den Verwalter wegen einer Pflichtwidrigkeit (§ 82 KO) in Anspruch nehmen kann, ist hier nicht zu entscheiden; das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten wird dadurch jedenfalls nicht berührt.

Es mag dem Kläger zugegeben werden, daß er bei Entstehung der Beitragsrückstände sowie vor Konkurseröffnung die spätere gesetzliche Regelung nicht voraussehen konnte und in der Folge gehindert war, den Verzug durch Erfüllung der Hauptforderung zu beenden. Daraus folgt indessen nicht, daß die unechte Rückwirkung der Neuregelung, um die es sich hier handelt, in seinem Falle unzulässig wäre. Das Rechtsstaatsprinzip schließt eine unechte Rückwirkung nicht aus. Es gebietet daher auch nicht, daß der Gesetzgeber, wenn er die Rechtslage für die Zukunft ändert, den Betroffenen stets auch die Möglichkeit geben muß, nachteilige Folgen, die sich aus einem früheren Verhalten in Verbindung mit der Neuregelung ergeben können, zu vermeiden. Ein solches Gebot kann insbesondere dann nicht anerkannt werden, wenn das in Frage stehende Verhalten des Betroffenen - die nicht fristgerechte Bezahlung der Beitragsschulden - von Anfang an pflichtwidrig war.

Verfehlt ist schließlich auch die Ansicht des Klägers, er könne von der Konkurseröffnung an nicht mehr als Arbeitgeber im Sinne des § 397 a Abs. 2 RVO angesehen werden. Unter "Arbeitgeber" versteht das Gesetz den an einem Rechtsverhältnis in einer bestimmten Weise Beteiligten. Die Hauptschuld des Klägers - die Beitragsschuld - ist unzweifelhaft aus seiner Arbeitgebereigenschaft erwachsen, dem folgt die Zinsschuld des Klägers als Nebenschuld.

Auch die Ausführungen, mit denen das LSG das Bestehen einer Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von Gebühren und Zuschlägen bejaht hat, lassen einen Rechtsfehler nicht erkennen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670219

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