Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.11.1993)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. November 1993 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Vergütung von Laborleistungen.

Die Klägerin ist als Kinderärztin mit der Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik” zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligt. Sie betreibt ein Labor für pränatale Diagnostik.

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) strich bei den Honoraranforderungen der Klägerin für das Quartal IV/90 (Primärkassen) und für das Quartal I/91 (Primär- und Ersatzkassen) jeweils den zweiten Ansatz der Gebührenordnungsnummer 115 BMÄ/E-GO „Chromosomenanalyse aus Amnionzellen oder Chorionzotten, einschließlich vorangehender Kultivierung und ggf langzeitiger Subkultivierung”), weil diese mit 5500 Punkten bewertete Leistung im zeitlichen Zusammenhang nur einmal berechnungsfähig sei. Nach einer Stellungnahme der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) werde lediglich das Leistungsziel, nämlich die Analyse, vergütet. Eine Mehrfachberechnung der Nr 115 BMÄ/E-GO könne nur dann in Frage kommen, wenn durch einen auffälligen Befund der Chorionzottenanalyse eine nachfolgende Amnionzellenanalyse erforderlich werde (Bescheide vom 15. und 31. Mai 1991). Die Widersprüche der Klägerin wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 1992).

Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. November 1993). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, Inhalt der Leistungsbeschreibung der fraglichen Gebührenordnungsnummer sei die Durchführung der Chromosomenanalyse, wobei es nicht darauf ankomme, ob eine zweite Analyse derselben Zellart erforderlich sei. Mit der Gebühr für die Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO seien somit auch Mehrfachanalysen derselben Zellart abgegolten.

Die Klägerin rügt mit der Sprungrevision eine Verletzung der Nr 115 BMÄ/E-GO. Weder aus der Leistungslegende noch aus den allgemeinen Vorschriften der Gebührenordnungen ergebe sich eine Begründung für die vom SG vertretene Auffassung. Der Wortlaut der Vorschrift spreche vielmehr dagegen. So sei von einer einzigen Chromosomenanalyse aus einer einzigen Kultivierung die Rede, nicht dagegen von mehreren Kultivierungen. Aber auch aus medizinischen Gründen sei die Rechtsauffassung der Vorinstanz nicht zutreffend. Nach den Ausführungen des SG entspreche es medizinischer Notwendigkeit, zwei Kulturen aus Amnionzellen anzulegen und hochzuzüchten, um bei problematischem Befund der ersten Kultur die zweite Kultur überprüfen zu können. Der Leistungsinhalt der Nr 115 BMÄ/E-GO sei aber nicht erst dann erfüllt, wenn das Ergebnis der Chromosomenanalysen hinreichend eindeutig sei, sondern schon dann, wenn eine Analyse durchgeführt worden sei. Nach der Leistungsbeschreibung werde nämlich nicht die Diagnose selbst vergütet, sondern die Arbeitsleistung, die die Analyse ermögliche. Schließlich seien durch die einmalige Abrechnung der Nr 115 BMÄ/E-GO auch nur die Kosten für eine Kultur gedeckt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. November 1993 und die Bescheide der Beklagten vom 15. und 31. Mai 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, die in den Quartalen IV/90 und I/91 gestrichenen Leistungen nach Nr 115 BMÄ/E-GO zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist ein zweiter Ansatz der Gebührenordnungsnummer 115 BMÄ/E-GO im Behandlungsfall nur dann möglich, wenn aufgrund eines suspekten Befundes eine Chromosomenanalyse aus der bisher nicht befundeten Zellart durchgeführt werde. Eine Mehrfachvergütung der Nr 115 BMÄ/E-GO für die Analyse einer Zellart sei aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Gebührenordnung und der Stellungnahme der KÄBV ausgeschlossen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Sie hat bei der zweifachen Chromosomenanalyse von aus einem Punktat gewonnenen Amnionzellen keinen Anspruch darauf, die Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO zweifach abzurechnen. Dies hat die Vorinstanz zutreffend entschieden.

Den Gerichten ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei der Auslegung von Vorschriften über die Bewertung ärztlicher Leistungen in den Bewertungsmaßstäben bzw Gebührenordnungen für ärztliche Leistungen Zurückhaltung auferlegt. Dies beruht auf dem vertraglichen Charakter der Bewertungsmaßstäbe und Gebührenordnungen und dem damit einhergehenden Vorrang der Vertragspartner der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung bei der Festlegung des Inhalts und des Umfangs der vertragsärztlichen Leistungen (s zuletzt Senatsurteil vom 4. Mai 1994 = SozR 3-5533 Nr 1460 Nr 1). Ausnahmen hiervon sind nur in seltenen Fällen denkbar, etwa wenn die zur Bewertung der ärztlichen Leistungen aufgerufenen Selbstverwaltungsorgane ihren Regelungsspielraum überschreiten oder ihre Bewertungskompetenz mißbräuchlich ausüben (BSGE 46, 140, 143 = SozR 5533 Nr 45 Nr 1); denn die Selbstverwaltungsorgane sind nicht befugt, den der Honorierung ärztlicher Leistungen regelmäßig zugrunde liegenden Einheitlichen Bewertungsmaßstab nach Belieben auszugestalten, insbesondere von einer Ergänzung offenbar widersprüchlicher oder lückenhafter Regelungen abzusehen. Willkürliche Benachteiligungen einzelner Ärzte oder Arztgruppen, die sich aus einer fehlerhaften Bewertung ärztlicher Leistungen ergeben können, sind nicht zulässig.

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist die Entscheidung der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Die Auslegung der Gebührenvorschrift der Nr 115 BMÄ/E-GO führt nicht zu dem Ergebnis, daß diese Leistung bei der mehrfachen Chromosomenanalyse aus Amnionzellen, die bei einer Fruchtwasserentnahme gewonnen werden, mehr als einmal abgerechnet werden kann.

Zunächst läßt sich dem Wortlaut der Gebührenvorschrift nicht entnehmen, daß bei dem streitigen Sachverhalt eine Mehrfachabrechnung der Leistung zulässig ist. Zwar wird sowohl der Begriff der Analyse als auch der der Kultivierung in der Singularform verwendet. Daraus läßt sich indessen nicht zwingend herleiten, daß mehrfache Chromosomenanalysen aus Amnionzellen bei einem Behandlungsfall mehrfach zu vergüten seien; denn die Verwendung der Singularform war schon aus anderen Gründen geboten. In der Gebühren-Nr 115 BMÄ/E-GO werden, worauf auch die „oder”-Formulierung hinweist, zwei verschiedene Leistungen erfaßt, nämlich die Chromosomenanalyse aus Chorionzotten und die Chromosomenanalyse aus Amnionzellen. Diese Analysen rechtfertigen jeweils für sich den Ansatz der Nr 115 BMÄ/E-GO. Daß die bei einer Patientin durchgeführte Analyse aus Chorionzotten und aus Amnionzellen jeweils berechnungsfähig ist, verdeutlicht der Wortlaut der Gebühren-Nr dadurch, daß er bei den Begriffen der Analyse und der Kultivierung nicht die Pluralform, sondern die Singularform einsetzt.

Ein Vergleich der Leistungslegende der Nr 115 BMÄ/E-GO mit den Leistungslegenden vergleichbarer oder ähnlicher Gebührenpositionen zeigt hingegen, daß die Leistungsbeschreibungen der Gebührenordnungen in den Fällen, in denen jede Einzeluntersuchung abrechnungsfähig sein soll, dies bereits im Wortlaut der Vorschrift kenntlich machen. Die Vorschriften enthalten nämlich jeweils einen entsprechenden Zusatz, aus dem sich die Abrechnungsfähigkeit pro Einzelanalyse ergibt. So findet sich bei den Leistungsbeschreibungen der Chromosomenanalysen nach den Nrn 174, 4872 und 4873 BMÄ/E-GO jeweils der Zusatz „je Untersuchung”. Dieses Vorgehen zeigt sich auch bei den weiteren zytogenetischen Leistungen der Gebühren-Nrn 4870 und 4871 BMÄ/E-GO. Die Leistungslegenden der Nrn 4875 bis 4880 weisen ebenfalls spezifische Zusätze auf „je notwendiges Verfahren”, „je Fall”, „je Restriktionsenzym”, „je Sonde”), aus denen die Abrechenbarkeit pro Einzelleistung folgt. Eine entsprechende Formulierung enthält die Leistungslegende der Nr 115 BMÄ/E-GO nicht. Es hätte jedoch nahegelegen, sofern die Abrechnungsfähigkeit dieser Leistung pro einzelner Chromosomenanalyse gewollt gewesen wäre, den Zusatz „je Untersuchung” in die Leistungslegende aufzunehmen. Daß dies nicht geschehen ist, läßt nur den Schluß zu, daß bei der Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO alle Untersuchungen, die für das Ergebnis erforderlich sind, mit dem einmaligen Ansatz der Leistung abgegolten sind.

Schließlich lassen sich die Bewertungen der weiteren Chromosomenanalysen nicht für die zweifache Abrechnungsfähigkeit der Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO ins Feld führen. Sollte etwa die Erbringung der mit 3.500 Punkten bzw 4.000 Punkten bewerteten Leistungen nach Nr 4872 und Nr 4873 BMÄ/E-GO wesentlich geringere Schwierigkeiten aufweisen als die Erbringung der Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO, kann dies darauf beruhen, daß die erstgenannten Leistungen zu hoch bewertet sind. Jedenfalls ergibt sich daraus nicht die Berechtigung, die Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO bei zweifacher Chromosomenanalyse von Amnionzellen aus demselben Punktat auch zweifach abzurechnen.

Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei der Beschränkung der Abrechnungsfähigkeit der Chromosomenanalyse aus Amnionzellen auf den einfachen Ansatz der Nr 115 BMÄ/E-GO um eine mißbräuchliche Ausübung der Bewertungskompetenz durch den Bewertungsausschuß handelt, die für ein Eingreifen der Gerichte Voraussetzung ist, sind nicht ersichtlich. Das zeigt sich bereits darin, daß der Umfang der notwendigen Leistungserbringung im Einzelfall nicht feststeht. Zwar ist, worüber kein Streit besteht, das Anlegen zweier Zellkulturen aus einem Punktat aus medizinischen und forensischen Gründen geboten, wobei das Anlegen und Hochzüchten von Zellkulturen für sich allein noch nicht zur Abrechnungsfähigkeit der Leistung führt (vgl A 1 – Allgemeine Bestimmungen BMÄ und E-GO). Nicht ersichtlich ist jedoch, daß es dem medizinischen Standard entspricht, in jedem Behandlungsfall – also auch bei Unauffälligkeit der Chromosomenanalyse der ersten Zellkultur eines Punktats – eine Chromosomenanalyse der zweiten angesetzten Zellkultur vorzunehmen. Als möglich erscheint – wie von der Klägerin zunächst vorgetragen –, daß diese zweite Analyse nur dann zu erfolgen hat, wenn die Untersuchung der ersten Kultur einen auffälligen Befund erbracht hat. Bei diesem Sachverhalt fehlender allgemeinverbindlicher medizinischer Standards liegt eine willkürliche Fehlbewertung der Leistung durch den Bewertungsausschuß fern. Sollte es sich jedoch bei der Chromosomenanalyse aus Amnionzellen nach Nr 115 BMÄ/E-GO zum medizinischen Standard entwickeln, daß generell die zweite angesetzte Zellkultur analysiert werden muß, so könnte es im Hinblick auf den dafür erforderlichen Zeitaufwand sachgerecht sein, in diesen Fällen die zweite Auswertung etwa mit einem Zuschlag zur Leistung Nr 115 BMÄ/E-GO zu vergüten. Die Einführung und Bewertung eines derartigen Zuschlages wäre dann aber Aufgabe des Bewertungsausschusses. Sie obliegt nicht den Gerichten.

Nach allem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174340

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