Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen

 

Normenkette

RVO § 453

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen zu 3) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 1971 wird als unzulässig verworfen.

Die Revisionsklägerin hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

In dem Rechtsstreit geht es um die Frage, ob die Klägerin für die Beigeladenen zu 4) bis 30) Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat.

Die Beklagte forderte von der Klägerin Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge zunächst in Höhe von 9.990,56 DM, die sie aus den in den Monaten Januar bis Oktober 1965 von der Klägerin für Gelegenheitsarbeiter gezahlten Nettolohnsummen errechnete (Bescheid vom 17. Dezember 1965, Widerspruchsbescheid von 20. Juli 1966). Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Mannheim vom 1. März 1967). Auf die Berufung der Klägerin hob das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG insgesamt und den Beitragsbescheid der Beklagten insoweit auf, als er die Beitragsforderungen für die Beigeladenen zu 4), 6) bis 22), 24) und 25) betrifft; im übrigen verwies es den Rechtsstreit an das SG zurück (Urteil vom 25. Juni 1971).

Die vom LSG zugelassene Revision hat lediglich die Beigeladene zu 3) eingelegt. Sie rügt wesentliche Mängel im Verfahren des LSG sowie eine Verletzung des materiellen Rechts.

Die Revision der Beigeladenen zu 3) ist nicht statthaft.

Zwar hat das LSG die Revision zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Gleichwohl ist die Revision nicht zulässig. Das Revisionsgericht hat auch bei zugelassenen Revisionen von Amts wegen zu prüfen, ob die Revisionsklägerin ein Rechtsschutzbedürfnis hat und ob sie durch die ergangene Entscheidung des LSG materiell beschwert ist (vgl. Bundessozialgericht -BSG- in SozR Nr. 8, 11, 13 zu § 160 SGG sowie BSG 6, 160, 162). Da es hier schon an der Beschwer fehlt, kann offen bleiben, ob das Rechtsschutzbedürfnis mit dem Erfordernis der materiellen Beschwer gleichzusetzen ist (so Schönke, Das Rechtsschutzbedürfnis, S. 52; Stein/Jonas/Schönke/Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Einl. II 1 c vor § 511), oder ob beide Institute - Rechtsschutzbedürfnis und materielle Beschwer - selbständige Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels sind (so Baumbach/Lauterbach, ZPO, 30. Aufl., Grundzüge 2 C vor § 511 und Grundzüge 5 vor § 253 ZPO; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, § 97 II 4 und Baur, Festschrift für Lent, S. 230/231; Brox, die Beschwer als Rechtsmittelvoraussetzung in ZZP 81, 379, 409; RGZ 160, 204; BGH in IM Nr. 11 zu § 511 ZPO = NJW 1958, 995). Die Revisionsklägerin braucht - entgegen ihrer Befürchtung - für die von diesem Rechtsstreit erfaßten Beschäftigungsverhältnisse unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nach § 453 der Reichsversicherungsordnung (RVO) keine Beiträge zu entrichten.

Soweit die Beklagte - aus dem Bescheid selbst und dem LSG-Urteil ist dies nicht eindeutig zu entnehmen - Beiträge zur Rentenversicherung oder zur Arbeitslosenversicherung beansprucht, kann eine Beitragspflicht der Revisionsklägerin aus § 453 RVO schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Vorschrift nur Krankenversicherungsbeiträge betrifft. An entsprechenden Regelungen für unständig Beschäftigte fehlt es im Recht der Renten- bzw. Arbeitslosenversicherung. Die RVO sicht für unständig Beschäftigte im Sinne von § 441 RVO in § 1396 Abs. 2 RVO lediglich eine von der Regel abweichende Entrichtungsweise vor; gemäß § 1385 Abs. 4 RVO hat aber unabhängig davon der jeweilige Arbeitgeber den Arbeitgeberbeitrag im Endergebnis stets selbst aus seinen Vermögen zu tragen (vgl. Kommentar zur RVO, herausgegeben von Verband Deutscher Rentenversicherungsträger - Verbandskommentar -, 11. Ergänzung, § 1385 RVO, Anm. 22). Beiträge zur Arbeitslosenversicherung können schon deshalb nicht anfallen, weil unständige Beschäftigungen - mit Ausnahme der Hafenarbeit - nach den bis zum 30. Juni 1969 in Kraft gewesenen § 67 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) versicherungsfrei waren (jetzt § 169 Nr. 7 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG-).

Nachteile wegen einer aus § 453 RVO folgenden Pflicht, Krankenversicherungsbeiträge für die im Verfahren zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisse der beigeladenen Arbeitnehmer zu leisten, scheitern daran, daß die Beschäftigten nach den nicht angegriffenen und gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG nicht in das nach § 442 Abs. 2 RVO von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zu führende Mitgliederverzeichnis eingetragen sind. Gemäß § 442 Abs. 3 RVO beginnt die Mitgliedschaft bei der Kasse erst mit der Eintragung in das Verzeichnis. Abweichend von der sonst gültigen Regel des § 306 RVO genügt für die Entstehung des Versicherungsverhältnisses bei unständig Beschäftigten nicht allein die Aufnahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung, sondern hinzu kommen muß die Eintragung des Versicherungspflichtigen in das Verzeichnis (vgl. BSG 17, 182, 183; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil 2, 36. Nachtrag, § 242 Anm. 4 S. 17/2226; RVO, Gesamtkommentar, 30. TL., § 442 RVO, Anm. 4). Mangels Eintragung der nach Ansicht des LSG unständig Beschäftigten in das Mitgliederverzeichnis fehlt es an einem Versicherungsverhältnis, aus dem Beitragspflichten abgeleitet werden können. Folglich können Krankenversicherungsbeiträge nach § 453 RVO von der Revisionsklägerin nicht verlangt werden.

An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn in Betracht gezogen wird, daß die Beklagte die beigeladenen Arbeitnehmer möglicherweise aufgrund des LSG-Urteils in das Verzeichnis der unständig Beschäftigten gemäß § 442 Abs. 2 RVO aufnimmt. Beitragspflichten aus § 453 RVO für die hier zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnisse des Jahres 1965 können auch dann nicht entstehen, weil diese zeitlich vor dem Beginn der Versicherung liegen. Zwar besteht Versicherungspflicht nach §§ 441, 442 Abs. 1 RVO für unständig Beschäftigte schon vor der Eintragung in das Verzeichnis. Das Versicherungsverhältnis beginnt aber erst mit dem Zeitpunkt der Eintragung, so daß für Zeiten vorher weder Leistungsansprüche erhoben noch Beiträge gefordert werden können (kritisch zu dieser gesetzlichen Regelung: Brockerhoff, Die Beiträge, 1964, S. 268 f; vgl. auch Hoffmann, Krankenversicherung, 80 Aufl., vor § 441, S. 617 und § 442, Anm. 3, S. 621).

Die Möglichkeit, daß die hier beigeladenen Arbeitnehmer nach einer Eintragung in das Verzeichnis erneut in vergleichbarer Weise tätig werden, kann die Zulässigkeit der Revision ebenfalls nicht begründen. Zwar ist nach der Beurteilung des LSG dann an Beitragspflichten aus § 453 RVO zu denken. Die Beschwer eines Beigeladenen liegt aber - wie das BSG mehrfach ausgeführt hat - in der Bindung an ein seiner Ansicht nach unrichtiges Urteil, das mit seinen berechtigten Interessen nicht in Einklang steht (vgl. BSG 6, 160, 162, 8, 293, 294; SozR Nr. 34 zu § 75 SGG). Für künftige Beitragsforderungen kann das hier angefochtene Urteil Bindungswirkung gegenüber den Beteiligten nicht entfallen. Rechtskraft tritt nur ein, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist (§ 141 Abs. 1 SGG). Die Entscheidung über den Streitgegenstand hat zum Inhalt, daß aus einem festgestellten Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge sich ergibt (BSG 13, 181, 184 mit Nachweisen). Damit werden die Grenzen der objektiven Rechtskraft gezogen. Für die Beurteilung eines anderen Sachverhalts besteht mangels Identität des Streitgegenstandes keine Bindungswirkung aus § 141 Abs. 1 SGG. Im vorliegenden Rechtsstreit beschränkt sich die Entscheidung darauf, ob für die im Jahre 1965 bestehenden Beschäftigungsverhältnisse der Beigeladenen zu 4) bis 30) Versicherungsbeiträge von der Klägerin gefordert werden können oder nicht. Nur in bezug darauf sind die Beteiligten bei Rechtskraft des Urteils an die Rechtsauffassung des LSG gebunden. Beitragspflichten aus künftigen unständigen Beschäftigungen - auch der gleichen Arbeitnehmer - würden aus einem hier nicht zu beurteilenden, anderen Sachverhalt folgen, womit es an einer Identität des Streitgegenstandes fehlt (ebenso: BSG-Urteil vom 15. Dezember 1971 - 3 RK 11/69 - in Beitragsrecht, § 44 RVO, S. 545 A 7 a 25).

Daß bei der Beurteilung künftiger Beschäftigungsverhältnisse die gleichen Rechtsfragen zu prüfen sind, rechtfertigt ein anderes Ergebnis nicht. Die für eine Entscheidung maßgebliche rechtliche Beurteilung (Rechtsgrund) nimmt nur als Grund für die jeweils getroffene Entscheidung an der Bindungswirkung teil und wird nicht selbständig als ein gesondertes Rechtsverhältnis bindend festgestellt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Nachtrag, S. 256 f; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 80 Nachtrag, § 141 S. II 253 mit Beispielen und Nachweisen). Mithin ist weder die Revisionsklägerin bei Rechtskraft des LSG-Urteils daran gehindert, in künftigen - auch gleichgelagerten - Fällen sich mit allen hier vorgetragenen Argumenten gegen Beitragsforderungen aus § 453 RVO zu wehren, noch bindet das LSG-Urteil die Gerichte in der Beurteilung der Rechtmäßigkeit solcher künftiger Forderungen (vgl. BSG-Urteil vom 15.12.1971 a.a.O.). Eine auf der Bindungswirkung des Urteils beruhende Beschwer trifft die Revisionsklägerin deshalb nicht.

Nach alledem fehlt es für die Zulässigkeit der Revision an einer materiellen Beschwer. Es kann daher offen bleiben, ob im vorliegenden Rechtsstreit überhaupt ein berechtigtes Interesse der Revisionsklägerin durch die Entscheidung des LSG berührt worden ist, das gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 SGG die Beiladung gerechtfertigt hat. Selbst wenn man das "berechtigte" Interesse im Sinne dieser Vorschrift - anders als das "rechtliche" Interesse im Sinne von § 65 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (vgl. hierzu auch BVerwG 37, 43; 31, 233) - so weit fassen will, daß hierzu auch ein verwaltungsmäßiges oder sogar ein ideelles Interesse zählt (so Brackmann, a.a.O.. S. 234 w V), muß davon die für ein Rechtsmittel notwendige materielle Beschwer durch das angefochtene Urteil unterschieden werden.

Da. für die Revisionsklägerin eine derartige Beschwer fehlt, ist die Revision nach § 169 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß zu verwerfen. Diese Vorschrift nennt die Beschwer zwar nicht ausdrücklich, setzt sie für die Zulässigkeit der Revision aber voraus (vgl. Peters/Sautter/Wolff, a.a.O., Anm. 1 b zu § 169, S. III 182 - 33 - i.V.m. Anm. 2 a zu § 160, S. III 180 - 21 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Es besteht kein Anlaß, der Revisionsklägerin auch die Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 4) bis 30) aufzuerlegen.

 

Unterschriften

Dr. Haug

Geyser

Burger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1455811

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