Leitsatz (amtlich)

Ein sozialgerichtliches Verfahren, in dem eine Ehefrau einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit verfolgt, betrifft eine "persönliche Angelegenheit" der Ehefrau iS des BGB § 1360a Abs 4. Sofern der Ehemann nach dieser Vorschrift verpflichtet ist, seiner Ehefrau die Prozeßkosten vorzuschießen, hat sie keinen Anspruch auf Bewilligung des Armenrechts.

 

Normenkette

SGG § 167 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 1360a Abs. 4 Fassung: 1896-08-18; ZPO § 114 Abs. 1 Fassung: 1950-09-12

 

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht wird abgelehnt.

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Juni 1959 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat gegen das ihr am 27. Juni 1959 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Berlin, das ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juli 1957 zurückgewiesen hat, mit einem beim Bundessozialgericht am 9. Juli 1959 eingegangenen Schriftsatz durch einen nach § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt, die sie mit einem beim Bundessozialgericht am 7. August 1959 eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Ihr Gesuch um Bewilligung des Armenrechts und Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten als Armenanwalt legte sie am 7. August 1959 beim Bundessozialgericht vor.

Der Klägerin konnte das Armenrecht schon deshalb nicht bewilligt werden, weil sie nicht "arm" im Sinne des § 167 SGG i. V. mit § 114 der Zivilprozeßordnung ist. Die Klägerin ist zwar ohne eigenes Einkommen und Vermögen, indessen wäre ihr Ehemann als verpflichtet anzusehen, ihr die Kosten eines nicht aussichtslosen Rechtsstreits über die Gewährung von Invalidenrente vorzuschießen. Nach § 1360 a Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist ein Ehegatte, soweit es der Billigkeit entspricht, verpflichtet, dem anderen Ehegatten die Kosten eines "eine persönliche Angelegenheit" betreffenden Rechtsstreits vorzuschießen, wenn dieser nicht in der Lage ist, sie selbst zu tragen. Das vorliegende Verfahren, in dem die Klägerin die Gewährung von Invalidenrente (§§ 1253, 1254 RVO a. F., §§ 1245 bis 1247 RVO n. F.) anstrebt, betrifft eine solche "persönliche Angelegenheit" der Klägerin (§ 1360 a Abs. 1 BGB). Nach der Auslegung die dieser Begriff bereits in § 1402 BGB a. F. erfahren hatte, ist darunter eine Angelegenheit zu verstehen, die überwiegend eine persönliche Seite betrifft, mag sie auch im übrigen vermögensrechtliche Komponenten umfassen (zu vgl. Pastor, Ehe und Familie, 1958 S. 298 ff. (299) mit Schrifttumshinweisen in Anm. 16). Zu diesen, die Stellung des Ehegatten in der Familie und Gesellschaft tangierenden Angelegenheiten (vgl. Brühl, Ehe und Familie, 1958 S. 197 ff. (199)) gehören insbesondere auch solche, die die "Gesundheit" des Ehegatten (zu vgl. Palandt, Komm. zum BGB (18.) § 1360 a Anm. 3) und seine dadurch bedingte Erwerbsfähigkeit betreffen, deren Beeinträchtigung mit Voraussetzung für die Gewährung der von der Klägerin erstrebten Rente ist. Der Senat hat danach keine Bedenken getragen anzunehmen, daß es der Billigkeit entspricht, wenn ihr Ehemann - mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 453,10 DM bei einer Monatsmiete von 64,75 DM - die außergerichtlichen Kosten der vorliegenden Rechtsverfolgung seiner Ehefrau vorschießt.

Im übrigen müßte der Klägerin das Armenrecht auch deshalb versagt werden, weil ihre Revision keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 167 SGG, § 114 ZPO). Da die Revision vom Landessozialgericht nicht zugelassen ist, könnte sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nur statthaft sein, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel vorgelegen hätte. Das ist aber nicht der Fall. Die Rüge der Klägerin, das Landessozialgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt (§ 103 SGG), weil es "zur Klärung des medizinischen Sachverhalts" kein weiteres Gutachten erhoben habe, entspricht nicht den nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG geltenden Erfordernissen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 16.6.1955, BSG. 1 S. 91 und vom 20.2.1957, SozR. SGG § 103 Bl. Da 5 Ziff 14). Das Vorbringen der Revision läßt nicht erkennen, aus welchen Gründen sich das Landessozialgericht zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. Beschl. des BSG. vom 21.3.1956, SozR. SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7). Das Vordergericht war insbesondere nicht genötigt, den Augenschein durchzuführen und dessen Ergebnis mit der Beurteilung, die sein medizinischer Gutachter getroffen hatte, in Vergleich zu setzen. Denn der Umfang der Beweisaufnahme ist vom Gericht - nach § 103 SGG - unabhängig vom Parteivorbringen von Amts wegen zu bestimmen. Wenn das Landessozialgericht hier aber zu der Überzeugung gelangt war, die im sozialgerichtlichen Verfahren bereits erstatteten Gutachten seien "ausführlich und überzeugend", es habe auch "nicht nur eine Teiluntersuchung stattgefunden, sondern alle Organe sind einer eingehenden Beurteilung unterzogen worden", so bestand für das Landessozialgericht kein Anlaß zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts durch ein weiteres Gutachten. Es hätte in einem solchen Falle jedenfalls näherer Darlegungen in der Revisionsbegründung bedurft, inwiefern das vom Landessozialgericht erhobene Gutachten des Ob.-Reg.Med.-Rats Dr. S vom 6. Februar 1959 unzureichend und eine Ergänzung durch ein weiteres Gutachten notwendig war (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16.6.1955 a. a. O.).

Die Rüge, das Vordergericht habe ein von der Klägerin vorgelegtes Attest, nach dem sie schon im Kriege von jedem Arbeitseinsatz befreit war, völlig ungenügend gewürdigt, geht gleichfalls fehl. Das Vordergericht hat sich bereits im ersten Absatz des Tatbestandes mit dem Gesundheitszustand der Klägerin "1940 bis 1945" befaßt, hat aber vor allem im 5. Absatz des Tatbestandes die Leiden der Klägerin schon "im 12. Lebensjahr" im "17. Lebensjahr", "bis 1934", "während des Krieges" und "in den letzten Jahren" dargestellt. Es hat sich sodann bei seinen Feststellungen mit den von der Klägerin hauptsächlich geltend gemachten Gallen- und Magenbeschwerden befaßt und hat sich dazu der Auffassung der Gutachter angeschlossen, diese Beschwerden gingen auf einen "früher durchgemachten, inzwischen längst abgeschlossenen ulcerösen Prozeß zurück". Diese Feststellung läßt in Verbindung mit der dem Gericht obliegenden "Gesamtbeurteilung" aller prozeßerheblichen Umstände keine Verletzung der Grenzen der dem Gericht nach § 128 Abs. 2 SGG obliegenden freien richterlichen Beweiswürdigung erkennen. Für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage im Urteil eines Berufungsgerichts bedarf es nicht notwendig eines ausdrücklichen Eingehens auf ein einzelnes Vorbringen und einer ausdrücklichen Auseinandersetzung damit, sofern sich, wie dies hier der Fall ist, aus dem Urteil ergibt, daß das Berufungsgericht alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16.6.1955 a. a. O.).

Die Revision ist hiernach als unzulässig zu verwerfen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1960, 502

JR 1960, 318

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge