Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. außer Kraft getretenes Recht. gesteigerte Darlegungspflicht

 

Orientierungssatz

Betrifft die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage - altes, inzwischen außer Kraft getretenes Recht, unterliegt der Beschwerdeführer einer gesteigerten Darlegungspflicht. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist dann aufzuzeigen, daß entweder ausnahmsweise noch über mehrere gleichartige Streitfälle zu entscheiden ist oder daß die zu klärende Rechtsfrage nachwirkt und dadurch weiterhin von allgemeiner Bedeutung ist (vgl BSG vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 = SozR 1500 § 160a Nr 19).

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

SG Konstanz (Entscheidung vom 06.08.1998; Aktenzeichen S 5 KG 196/98)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.07.2000; Aktenzeichen L 1 KG 3356/99)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den formellen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entspricht. Nach dieser Vorschrift muß, wenn - wie hier - die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend gemacht wird, dieser Zulassungsgrund dargelegt werden. Betrifft die mit der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage - wie hier - altes, inzwischen außer Kraft getretenes Recht, unterliegt der Beschwerdeführer einer gesteigerten Darlegungspflicht. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist dann aufzuzeigen, daß entweder ausnahmsweise noch über mehrere gleichartige Streitfälle zu entscheiden ist oder daß die zu klärende Rechtsfrage nachwirkt und dadurch weiterhin von allgemeiner Bedeutung ist (vgl BSG in SozR 1500 § 160a Nr 19; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNr 141; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, RdNr 14c). Daran läßt es die Beschwerde fehlen.

Die von der Klägerin für grundsätzlich erachtete Frage, ob, wenn im Leistungsjahr nach dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid Einkommensteuer zu bezahlen gewesen wäre, diese jedoch vom Finanzamt (aus Billigkeitsgründen) erlassen worden ist, der Kinderfreibetrag als "ausgeschöpft" anzusehen ist, bezieht sich auf die - inzwischen zum 1. Januar 1996 außer Kraft getretene - Regelung des § 11a des Bundeskindergeldgesetzes aF. Nach dieser Regelung (die im wesentlichen auf das Gesetz vom 27. Juni 1985 - BGBl I 1251 zurückging) erhöhte sich das Kindergeld für Kinder, für die dem Berechtigten der Kinderfreibetrag des § 32 Abs 6 Einkommensteuergesetz (EStG) zustand, dann um einen Kindergeldzuschlag, wenn das zu versteuernde Einkommen (vgl § 2 Abs 5 EStG) des Berechtigten geringer war als der Grundfreibetrag nach § 32a Abs 1 Nr 1 EStG, da in diesem Fall der Kinderfreibetrag nicht ausgeschöpft war (vgl Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Stand Mai 1995 RdNr 34 zu § 11a).

Zum 1. Januar 1996 hat der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1250) einen grundlegenden Systemwandel im Kindergeldrecht herbeigeführt (vgl Seewald/Felix, Kindergeldrecht, Einführung, RdNr 1). Das Rechtsgebiet wurde aus dem Sozialrecht ins Steuerrecht verlagert. Das Kindergeld wird nunmehr in aller Regel monatlich als Steuervergütung gezahlt (§ 31 Abs 1 Satz 3 EStG in der seit 1. Januar 1996 geltenden Fassung). Übersteigt das in dieser Weise gezahlte Kindergeld den Betrag, der zur steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich des Betreuungsbedarfs notwendig ist, dient es der Förderung der Familie, dh es verbleibt dem Empfänger (§ 31 Abs 1 Satz 1 und 2 EStG; Schmidt, EstG, 19. Aufl RdNr 15 zu § 31). Wird die gebotene steuerliche Freistellung nicht in vollem Umfang bewirkt, sind bei der Veranlagung der Einkommensteuer die Kinderfreibeträge nach § 32 Abs 6 EStG vom Einkommen abzuziehen, das geleistete Kindergeld wird in entsprechendem Umfang verrechnet (§ 31 Abs 1 Satz 4 und 5 iVm § 36 Abs 2 EStG). Der Kindergeldzuschlag ist seither entfallen (Schmidt, RdNr 1 § 31 EStG).

Die Klägerin unterläßt es darzulegen, inwieweit die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage in der Weise nachwirkt, daß sie für die vorstehend skizzierte, seit 1. Januar 1996 geltende Regelung, noch von Bedeutung ist. Solche Ausführungen sind schon deswegen unentbehrlich, weil nach heutigem Recht bei einem nachträglichen Steuererlaß einerseits dem Steuerberechtigten das bereits gezahlte Kindergeld verbleibt, andererseits aber kein Anspruch auf Kindergeldzuschlag entstehen kann. Was die Anhängigkeit weiterer Streitfälle betrifft, für die noch das alte Recht maßgeblich geblieben ist und für welche die aufgeworfene Rechtsfrage entscheidungserheblich sein könnte, wären ebenfalls substantiierte Darlegungen erforderlich, zumal der Steuererlaß nach § 227 Abgabenordnung seiner Natur nach Ausnahmecharakter trägt.

Das sonach unzulässige Rechtsmittel der Klägerin ist entsprechend § 169 SGG zu verwerfen, ohne daß es der Mitwirkung von ehrenamtlichen Richtern bedarf (BSG SozR 1500 § 160a Nr 1 und 5; BVerfGE 48, 246 = SozR 1500 § 160a Nr 30).

Der Kostenentscheidung liegt § 193 SGG zugrunde.

 

Fundstellen

SozSi 2003, 179

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