Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Besetzungsrüge. gesetzlicher Richter. Befangenheit. Ablehnungsantrag. Willkür

 

Orientierungssatz

Bei einer Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel iS eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO) nur dann vorliegen, wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch die weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG verletzt ist und das Berufungsgericht bei seiner Berufungsentscheidung deshalb unrichtig besetzt war (vgl BSG vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 1 und vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B). Da Art 101 Abs 1 S 2 GG nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, also willkürlichen oder manipulativen Erwägungen für die Zurückverweisung des Ablehnungsgesuchs eingreift (BSG vom 5.8.2003, aaO), muss sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lassen, dass die Entscheidung über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern zumindest willkürlich im Sinne einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; SGG § 60 Abs. 1 S. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO § 42 Abs. 2, § 547 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 12.12.2007; Aktenzeichen L 3 AL 1370/02)

SG Karlsruhe (Urteil vom 19.02.2002; Aktenzeichen S 2 AL 01406/01)

 

Tatbestand

Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 20. Januar bis 21. Dezember 2001 sowie ab 1. Januar 2002.

Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Klage gegen den Bescheid vom 23. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2001, mit dem der Antrag des Klägers auf Alhi wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt worden war, abgewiesen (Urteil vom 19. Februar 2002). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung zurück- und die Klage gegen die weiteren die Zahlung von Alhi ablehnenden Bescheide vom 2. Juli 2002 und 29. November 2002 abgewiesen (Urteil vom 12. Dezember 2007; Aktenzeichen L 3 AL 1370/02). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Senat sei nicht gehindert, in der aus dem Rubrum ersichtlichen Zusammensetzung zu entscheiden. Das mit Telefax vom 22. November 2007 angebrachte Ablehnungsgesuch gegen die Mitglieder des Senats sei missbräuchlich gestellt und unzulässig, da der Kläger unsubstanziiert sämtliche Mitglieder des Senats ablehne und sich inhaltlich auf ein mit Schreiben vom 20. Juni 2007 angebrachtes Ablehnungsgesuch berufe, das bereits mit Beschluss vom 27. Juli 2007 als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Das erneute Ablehnungsgesuch solle das Verfahren offensichtlich verzögern und missliebige Richter von der Entscheidung ausschließen. Auch greife der Vorwurf nicht, mit der Terminsmitteilung sei die Frist des § 110 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gewahrt, da der Kläger in der Streitsache durch einen Bevollmächtigten vertreten und die Terminsmitteilung vom 2. November 2007 an diesen zu richten gewesen sei. Eine verspätete Weiterleitung müsse sich der Kläger als Versäumnis des Bevollmächtigten zurechnen lassen. Das Gericht habe nicht auf die erst am 11. Dezember 2007 bei Gericht eingegangene Fax-Mitteilung des Klägers, sein Bevollmächtigter sei laut dessen schriftlicher Mitteilung vom 8. Dezember 2007 erkrankt, weshalb der Termin vom 12. Dezember 2007 ohnehin zu verlegen sei, mit einer Terminsverlegung reagieren müssen. Die Erkrankung sei weder glaubhaft gemacht noch vom Bevollmächtigten selbst mitgeteilt worden. In der Sache sei die Berufung nicht begründet.

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln, die zu einer Aufhebung der Entscheidung führen müssten. Die Öffentlichkeit des Verfahrens sei nicht gewahrt worden, da ihm die Ladung nicht zugeleitet worden sei. Hierin liege ein Verstoß gegen § 547 Nr 4 Zivilprozessordnung (ZPO). Auch sei ihm die Sitzungsniederschrift nicht übersandt worden. Trotz der Erkrankung seines Bevollmächtigten und des Terminsverlegungs-antrags sei verhandelt worden, ohne dass das Gericht eine Glaubhaftmachung der Erkrankung verlangt habe. Insofern sei er in seinen Rechten aus Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Er gehe weiter davon aus, dass der gegen den Senat gerichtete Befangenheitsantrag nicht als rechtsmissbräuchlich hätte abgelehnt werden dürfen, sondern zulässig und begründet gewesen sei. Das LSG sei deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 547 Nr 1 ZPO). Ferner enthielten die Urteilsgründe die willkürlichen Ausführungen, dass es an einem Rechtsschutzinteresse fehle und Vermögenswerte als verwertbar anzusehen seien, die das Gericht selbst im Jahre 1999 zu geschütztem Vermögen deklariert habe. Ebenso willkürlich habe das LSG mit Verfügung vom 24. Januar 2003 versucht, sein Wohnungseigentum als verwertbares Vermögen anzusehen, dieses Eigentum jedoch in den Urteilsgründen nicht einmal erwähnt.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Nichtzulassungsbeschwerde konnte deshalb ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG verworfen werden.

Macht ein Beschwerdeführer das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann, müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substanziiert dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Fehler beruhen kann, dass also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 ZPO ein Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (BSGE 4, 281, 288; BSG SozR 1500 § 136 Nr 8).

Bei einer - hier in den Urteilsgründen des LSG enthaltenen - Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter kann ein sich auf das angefochtene Urteil selbst auswirkender Mangel im Sinne eines absoluten Revisionsgrundes (§ 547 Nr 1 ZPO) nur dann vorliegen, wenn die Behandlung eines Ablehnungsantrags so fehlerhaft ist, dass durch die weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt ist und das Berufungsgericht bei seiner Berufungsentscheidung deshalb unrichtig besetzt war (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 8; BSG, Beschluss vom 2. November 2007 - B 1 KR 72/07 B -, juris RdNr 5). Da Art 101 Abs 1 Satz 2 GG nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften, also willkürlichen oder manipulativen Erwägungen für die Zurückverweisung des Ablehnungsgesuchs eingreift (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1 RdNr 9f), muss sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lassen, dass die Entscheidung über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern zumindest willkürlich im Sinne einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist. Einen solchen Sachverhalt hat der Kläger nicht dargelegt, da er lediglich eine "willkürliche Umgehung" des Befangenheitsantrags behauptet, ohne Gesichtspunkte dafür zu benennen, warum trotz der bereits mit Beschluss vom 27. Juli 2007 erfolgten Zurückweisung eines früheren Ablehnungsgesuchs als unzulässig die Entscheidung des LSG schlechterdings unverständlich, unvertretbar und damit willkürlich gewesen sein soll.

Mit seinem Vorbringen, dass ihm eine Ladung nicht zugeleitet und trotz der Erkrankung seines Bevollmächtigten und des Terminsverlegungsantrags verhandelt worden sei, macht der Kläger zwar eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) und einen Verstoß gegen § 547 Nr 4 ZPO (mangelnde Vertretung im Prozess) geltend. Auch insofern ist ein Verfahrensmangel jedoch nicht substanziiert bezeichnet, da der Kläger, soweit es die Verletzung des rechtlichen Gehörs betrifft, schon nicht behauptet hat, dass und warum die Entscheidung des Berufungsgerichts auf der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann, wie dies § 160 Abs 2 Nr 3 SGG für relative Revisionsgründe - wie das rechtliche Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren - erfordert (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35). Der Kläger beschränkt sich auf die Benennung des von ihm geltend gemachten Verfahrensfehlers, ohne dazutun, welcher Vortrag in der mündlichen Verhandlung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

Soweit der Kläger hierin außerdem einen Verstoß gegen die Öffentlichkeit (§ 547 Nr 5 ZPO) sieht, ist sein Vorwurf unschlüssig. Gemeint hat er wohl einen Verstoß gegen § 547 Nr 4 ZPO (mangelnde Vertretung im Prozess). Auch insoweit ist jedoch der Verfahrensmangel nicht schlüssig dargelegt. Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 547 Nr 4 ZPO vorliegen kann (s dazu etwa BFHE 125, 28). Jedenfalls genügt nicht die Angabe im Beschwerdeverfahren, der Prozessbevollmächtigte sei erkrankt gewesen und das LSG habe keine Glaubhaftmachung verlangt. Zum einen hat der Kläger nicht vorgetragen, dass er dem LSG nur mitgeteilt hat, sein Anwalt habe ihm (nur) am 8. Dezember 2007 mitgeteilt, erkrankt zu sein und nicht nach Stuttgart kommen zu können; bei dieser Sachlage war aber zum anderen das LSG nicht notwendigerweise - ohne Mitteilung des Anwalts selbst - gehalten, den Termin zu verlegen. Hierzu hätte es weiterer Umstände bedurft, die vom Kläger nicht vorgetragen sind. Hinsichtlich der behaupteten fehlenden Zusendung der Sitzungsniederschrift ist weder dargetan noch überhaupt erkennbar, wieso die Entscheidung des LSG hierauf beruhen kann. Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung darüber, ob dem Kläger überhaupt von Amts wegen und auf Grund welcher Vorschrift die Sitzungsniederschrift übersandt werden muss.

Soweit der Kläger die Urteilsbegründung kritisiert, ist hierdurch ein Verfahrensmangel gemäß § 160a Abs 2 Nr 3 SGG nicht bezeichnet. Zwar formuliert der Kläger, das LSG habe willkürlich entschieden und dadurch sei § 547 Nr 1 ZPO (fehlerhafte Besetzung) verletzt; in der Sache ist dies aber nicht nachvollziehbar, weil die Art der Urteilsbegründung keinen Einfluss auf die Besetzung des Gerichts haben kann. In Wahrheit rügt der Kläger im Wesentlichen nur eine inhaltlich unrichtige Entscheidung des LSG. Dies ist allerdings nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde.

Soweit der Kläger darüber hinaus die Ausführungen des LSG zum Rechtsschutzinteresse und damit uU einen Verfahrensfehler rügt, ist nicht dargetan, wieso dem von ihm angesprochenen Umstand eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses im vorliegenden Verfahren - möglicherweise war das Urteil des LSG mit dem Aktenzeichen L 3 AL 658/04 gemeint - überhaupt Bedeutung zukam. Im Übrigen kann ein Begründungsdefizit (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG) nicht bereits darin gesehen werden, dass sich das LSG nicht mit sämtlichem Vorbringen der Beteiligten befasst hat (Beschluss des Senats vom 4. Juli 2008 - B 7 AL 189/07 B - mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2059555

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