Verfahrensgang

SG Berlin (Entscheidung vom 19.06.2019; Aktenzeichen S 188 R 1705/16 WA)

LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11.05.2023; Aktenzeichen L 22 R 610/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit ist streitig, ob der Kläger in seiner Tätigkeit für eine Schlichtungsstelle von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zu befreien ist.

Der 1980 geborene Kläger ist seit Juni 2009 bei der zu 1. beigeladenen Rechtsanwaltskammer als Rechtsanwalt zugelassen und seit 2007 Pflichtmitglied des zu 2. beigeladenen Versorgungswerks. Am 2.1.2014 nahm er eine zunächst bis zum 31.12.2016 befristete, später unbefristet weitergeführte Anstellung in Vollzeit als "Volljurist/Schlichter" bei der Schlichtungsstelle für den eV (s) auf, einer nach dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz anerkannten Schlichtungsstelle für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten zwischen Reisenden und Verkehrsunternehmen. Seinen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt in dieser Tätigkeit lehnte die Beigeladene zu 1. mit bestandskräftigem Bescheid vom 29.3.2016 ab.

Seinen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV wegen seiner Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2. lehnte die Beklagte ebenso ab (Bescheid vom 4.6.2014, Widerspruchsbescheid vom 23.4.2015) wie die Erstreckung einer Befreiung für die befristete Tätigkeit vom 2.1.2014 bis zum 31.12.2016 (Ergänzungsbescheid vom 5.8.2016) und die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI(Bescheid vom 18.8.2016, Widerspruchsbescheid vom 6.7.2017) .

Die auf Befreiung für die Zeit ab 2.1.2014 gerichtete Klage hat das SG abgewiesen (Urteil des SG Berlin vom 19.6.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe weder nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI noch nach § 6 Abs 5 SGB VI einen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in seiner Tätigkeit als Schlichter bei der s. Diese Tätigkeit sei keine rechtsanwaltliche, sondern eine vermittelnde, streitbeilegende Tätigkeit, die keine vormalige oder gleichzeitige Tätigkeit als Rechtsanwalt erfordere. Er sei in dieser Tätigkeit nicht als Organ der Rechtspflege tätig. Die s sei ein nicht-anwaltlicher Arbeitgeber, der Kläger dort nicht als Rechtsanwalt tätig, sondern daneben als selbstständiger Rechtsanwalt Mitglied der Beigeladenen zu 2. Er sei auch nicht als (Syndikus-)Rechtsanwalt tätig, weil er keine Rechtsangelegenheiten seines Arbeitgebers im Sinne des § 46 Abs 5 BRAO ausübe. Eine Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI scheide mangels Zulassung als Syndikusrechtsanwalt aus (§ 46a Abs 2 Satz 4 BRAO). Ein Anspruch auf Erstreckung einer Befreiung für eine befristete Tätigkeit (§ 6 Abs 5 SGB VI) bestehe schon deshalb nicht, weil dem Kläger für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt eine Befreiung nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB VI nicht erteilt worden sei. Eine Analogie komme nicht in Betracht (Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.5.2023).

Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger wirft folgende Frage auf:

"Handelt es sich bei der Tätigkeit eines zugelassenen Rechtsanwalts als Schlichter in einer öffentlich anerkannten Schlichtungsstelle um eine typische anwaltliche Tätigkeit, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu erteilen ist?"

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit eine abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts mit höherrangigem Recht (vgl BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) oder nicht vielmehr eine solche nach der Anwendung des Gesetzes auf den konkreten Einzelfall formuliert hat. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Selbst wenn aber eine solche Rechtsfrage als aufgeworfen unterstellt würde, wäre jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN).

Eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zu den Voraussetzungen einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk fehlt (vgl BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 3/14 R - juris; BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 9/14 R - juris; BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12; BSG Urteil vom 15.12.2016 - B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13; BSG Urteil vom 7.12.2017 - B 5 RE 10/16 R - BSGE 125, 11 = SozR 4-2600 § 6 Nr 14). Danach ist die anwaltliche Berufsausübung in der äußeren Form der Beschäftigung nach dem bis 31.12.2015 geltenden § 46 BRAO(idF des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2.9.1994, BGBl I 2278) grundsätzlich nicht möglich, weil das gesetzlich normierte Berufsbild des Rechtsanwalts diesem nicht jede Tätigkeit für jeden Arbeitgeber erlaubt und insbesondere eine unabhängige und weisungsfreie Bearbeitung der ihm übertragenen Mandate sowie seine tatsächliche Funktion als unabhängiges Organ der Rechtspflege verlangt (BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 35 ff; BSG Urteil vom 15.12.2016 - B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13, RdNr 42). Fehlt es daran, besteht auch die Mitgliedschaft bei der Versorgungskammer nicht aufgrund der Beschäftigung (§ 7 Abs 1 SGB IV), sondern aufgrund der parallel zur Beschäftigung aufrecht erhaltenen und von dieser zu trennenden (personenbezogenen) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 3/14 R - juris RdNr 26; BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 31 ff mwN). Eine Befreiung (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) von der Rentenversicherungspflicht aufgrund der Beschäftigung (§ 1 Abs 1 Nr 1 SGB VI) kann dann nicht erteilt werden (BSG Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 3/14 R - juris RdNr 34).

Inwieweit die aufgeworfene Frage nicht anhand dieser Rechtsprechung beantwortet werden kann, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend deutlich hervor. Der Kläger setzt sich schon nicht hinreichend mit den das hier streitige Rechtsverhältnis regelnden Normen auseinander. Er legt nicht hinreichend dar, ob § 2 Abs 3 Nr 2 RDG, das die Tätigkeit von Einigungs- und Schlichtungsstellen als keine Rechtsdienstleistung bestimmt, der Einordnung der Tätigkeit als Schlichter in einer öffentlich anerkannten Schlichtungsstelle als typische anwaltliche Tätigkeit entgegen steht. Nach seinem Vortrag komme es auf die BRAO an. Rechtsanwälte übten auch beratende Tätigkeit aus. Der Kläger verweist darauf, dass die Tätigkeit als Schlichter nach § 18 BORA auch von Rechtsanwälten ausgeübt werden könne und dass dann das Berufsrecht gelte. Der Kläger behauptet damit im Kern, das LSG habe die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zutreffend angewandt. Eine (erneute) Klärungsbedürftigkeit zur Auslegung des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI ergibt sich aus diesem Vortrag nicht. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 10 mwN).

Soweit der Kläger ausführt, das BSG habe noch nicht entschieden, "wie eine anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber, die eine typische anwaltliche Tätigkeit für Dritte darstellt, von einer Syndikustätigkeit gemäß § 46 Abs. 2, § 46a BRAO abzugrenzen" sei, wirft er keine weitere Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Inwiefern sich die Frage nach der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk für Rechtsanwälte für die Tätigkeit als angestellter Schlichter in einer öffentlich anerkannten Schlichtungsstelle seit der Änderung des Berufsrechts zum 1.1.2016 anders darstellen soll, wird nicht aufgezeigt. Nach § 46 Abs 1 und 2 BRAO(idF des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, BGBl I 2517) dürfen Rechtsanwälte ihren Beruf als Angestellte solcher Arbeitgeber ausüben, die als Rechtsanwälte oder rechts- oder patentanwaltliche Berufsausübungsgesellschaften tätig sind. Angestellte anderer Personen oder Gesellschaften üben ihren Beruf als Rechtsanwalt aus, sofern sie im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses für ihre Arbeitgeber anwaltlich tätig sind (Syndikusanwälte). Nach § 46 Abs 2 Satz 2 BRAO bedarf der Syndikusanwalt zur Ausübung seiner Tätigkeit der Zulassung nach § 46a BRAO, über die die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer auch für die Beklagte verbindlich entscheidet (§ 46a Abs 2 Satz 1 und 4 BRAO). Der Kläger legt weder hinreichend dar, inwiefern sich durch die Änderung des § 46 BRAO etwas an den vom BSG aufgestellten Grundsätzen ändert noch inwiefern das Gesetz neben den in § 46 Abs 1 und 2 BRAO vorgesehenen Möglichkeiten eine Tätigkeit als beschäftigter Rechtsanwalt zulässt, die zu einer Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2. führen und eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach sich ziehen könnte.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Diese Voraussetzungen hat der Kläger ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Er zitiert zwar die Entscheidung des BSG vom 15.12.2016 (B 5 RE 7/16 R - BSGE 122, 204 = SozR 4-2600 § 6 Nr 13) und entnimmt ihr den Grundsatz, dass eine anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber wohl möglich sei, wenn die weiteren Voraussetzungen vorlägen. Er stellt diesem Grundsatz aber keinen Grundsatz gegenüber, mit dem das LSG dem BSG widersprochen haben soll. Vielmehr rügt er, das LSG habe diese Rechtsprechung des BSG nicht hinreichend beachtet. Damit rügt er wiederum nur die inhaltliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils. Das kann auch nicht zur Zulassung der Revision wegen Divergenz führen (vgl BSG Beschluss vom 4.4.2018 - B 12 R 38/17 B - juris RdNr 10 mwN).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Heinz

Bergner

Padé

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16192677

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