Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des "berechtigten Interesses" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes (SGG § 131 Abs 1 S 3), wenn über die auf Amtspflichtverletzung bei Erlaß des Verwaltungsaktes gestützte Schadensersatzklage schon rechtskräftig entschieden ist.

 

Normenkette

SGG § 131 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1953-09-03; BGB § 839

 

Tenor

In Sachen

wird der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht abgelehnt.

 

Gründe

Das Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) Celle vom 24. August 1955, das der Antragsteller nach Bewilligung des Armenrechts mit der Revision anzufechten beabsichtigt, hat die Abweisung der Klage unter anderem damit begründet, daß der Antragsteller kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 19. Juli 1952 habe, mit dem der Zulassungsausschuß für Zahnärzte und Dentisten in Oldenburg die Zulassung des Antragstellers zu den RVO-Kassen ablehnte: Nachdem der Antragsteller inzwischen die begehrte Zulassung erhalten habe, könnten weder der Umstand, daß der Antragsteller im ordentlichen Rechtsweg Schadensersatzansprüche geltend mache, noch berufsständische oder moralische Erwägungen ein derartiges Interesse begründen.

Der angefochtene Verwaltungsakt - Versagung der Zulassung (Beschluß vom 19. Juli 1952) - hat sich dadurch erledigt, daß der Antragsteller nach Erhebung der Anfechtungsklage zugelassen worden ist. Nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG kann auf Antrag durch Urteil ausgesprochen werden, daß der Verwaltungsakt, der während des Rechtsstreits seine Erledigung gefunden hat, rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

Das LSG. hat zu Recht das berechtigte Interesse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 19. Juli 1952 verneint. Zwar reicht der Begriff des "berechtigten Interesses" weiter als der des "rechtlichen Interesses" in § 256 ZPO. So führt die Regierungsbegründung zu § 4 (= § 55 SGG) des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (Bundestags-Drucks. Nr. 4357) aus, im Gegensatz zu einer zivilprozessualen Feststellungklage (§ 256 ZPO) sei im Sozialrecht neben dem "rechtlichen" Interesse gerade das wirtschaftliche Interesse von entscheidender Bedeutung für die Berechtigten, und diesem Umstand werde dadurch Rechnung getragen, daß die Feststellungsklage schon beim Vorliegen eines "berechtigten" Interesses zulässig sei. Darüber hinaus wird auch ein persönliches Interesse, das objektiv schutzwürdig ist, ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG begründen können. Jedoch genügt nicht schon, wie Hastler (Komm. z. SGG Anm. 2 zu § 55) zutreffend hervorhebt, ein "akademisches oder rein theoretisches Interesse, dem keine praktischen Folgerungen anhaften können" (vgl. auch OVG Hamburg v. 9.2.1952 in Monatsschrift für Deutsches Recht 1952 S. 251). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben nicht die Aufgabe, Rechtsfragen um ihrer selbst willen zu klären.

Aus diesen Erwägungen kann - entgegen der Auffassung des Landesverwaltungsgerichts (LVerwG.) - das Feststellungsinteresse des Antragstellers auch nicht in allgemeinen "berufsständischen Gründen" gefunden werden. Wenn darunter das für alle Verbandsangehörigen gleichermaßen bestehende Interesse an einwandfreier Führung der Verwaltungsgeschäfte durch die Selbstverwaltungsorgane der Kassenzahnärzte verstanden wird, so kann ein solches Interesse für sich allein ohne Hinzutreten besonderer Umstände noch nicht ein Individualinteresse des Antragstellers begründen. Ebensowenig genügt die vom LVerwG. angestellte "moralische Erwägung", daß dem Antragsteller durch die gerichtliche Bestätigung der rechtlichen Unzulässigkeit der ihm zuteil gewordenen Behandlung Genugtuung zu geben ist. Denn es ist nicht Aufgabe des sozialgerichtlichen Verfahrens, den Ehrenschutz der Beteiligten zu übernehmen, abgesehen davon, daß dem Antragsteller durch die bereits wenige Tage nach dem 19. Juli 1952 ausgesprochene Zulassung in diesem Sinne Genugtuung gewährt worden ist.

Allenfalls könnte ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers dann vorliegen, wenn er einen Schadensersatzanspruch geltend machen will, der die Rechtswidrigkeit dieses Verwaltungsakts voraussetzt (vgl. BayVerwGH. vom 26.2.1957 in VerwRechtsp. Bd. 9 S. 638 gegen BVerwG. 3 S. 67). Ob dieser Schadensersatzprozeß "bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten" (BVerwG. 4 S. 177) sein muß, braucht in diesem Zusammenhang nicht erörtert zu werden. Denn im vorliegenden Streitfall ist über die Schadensersatzklage des Antragstellers, mit der die Antragsgegner wegen der behaupteten Amtspflichtverletzung eines Mitglieds des Zulassungsausschusses in Anspruch genommen wurden, bereits rechtskräftig - und zwar zu Ungunsten des Antragstellers - entschieden. Selbst wenn die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts festgestellt würde, könnte diese Feststellung keinen Einfluß auf die Entscheidung über die Schadensersatzpflicht der Antragsgegner ausüben, zumal die zivilgerichtliche Entscheidung auf die von der Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu trennende Begründung gestützt ist, den Mitgliedern des Zulassungsausschusses könne für den hier in Rede stehenden Zeitraum kein Verschulden bei der Ausübung der ihnen dem Antragsteller gegenüber obliegenden Amtspflicht zur Last gelegt werden. Insbesondere würde diese Feststellung nicht geeignet sein, dem Antragsteller die von ihm angestrebte Möglichkeit zu eröffnen, einen neuen Schadensersatzprozeß wegen des gleichen Sachverhalts anzustrengen oder die Wiederaufnahme des rechtskräftig beendeten Verfahrens zu betreiben.

Da ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zulassungsversagung vom 19. Juli 1952 nicht ersichtlich ist, ist die Klage unzulässig. Schon aus diesem Grunde bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 167 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts ist daher abzulehnen.

 

Fundstellen

BSGE, 1

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