Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenz. Verfahrensfehler. Amtsermittlungsgrundsatz. Übergehen eines Beweisantrages

 

Orientierungssatz

1. Divergenz liegt nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B = SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

2. Das Übergehen eines Beweisantrags ist nur dann ein Verfahrensfehler, wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht. Insoweit ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, mit dem sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt wurde, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden sollte, in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt, in dem feststand, dass das LSG von sich aus Ermittlungen nicht mehr durchführen würde, bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl BSG vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B = SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 = SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32 f).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, § 103

 

Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 25.01.2018; Aktenzeichen L 2 R 1141/14)

SG Gotha (Urteil vom 05.06.2014; Aktenzeichen S 11 R 4756/13)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. Januar 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit (Sendungszustellungen und -abholungen) für die klagende GmbH vom 1.7.2012 bis zum 14.4.2013 aufgrund einer Beschäftigung der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlag (Bescheid vom 14.12.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.8.2013). Das SG Gotha hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5.6.2014). Das Thüringer LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Nach dem Gesamtbild der Tätigkeit sei von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. abgeschlossene "Subunternehmervertrag" habe eine auf Dauer angelegte Geschäftsbeziehung und durchsetzbare Leistungspflichten begründet. Die Beigeladene zu 1. habe hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Art und Weise der Tätigkeit nicht über eine maßgebliche Gestaltungsmöglichkeit verfügt (Urteil vom 25.1.2018). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.

II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin misst der Frage,

"ob Subunternehmerverträge des dargestellten Inhalts generell § 7 Abs. 1 SGB IV unterworfen sein können",

eine grundsätzliche Bedeutung bei. Es kann dahingestellt bleiben, ob damit schon keine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - Juris RdNr 11 mwN) formuliert worden ist. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - Juris RdNr 11 mwN). Jedenfalls ist die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dargetan.

Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN). Mit der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung einer Tätigkeit als Beschäftigung iS von § 7 Abs 1 SGB IV oder selbstständige Tätigkeit (vgl ua BSG Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 31 ≪auch zur Beteiligung Dritter≫; BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 30, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil vom 29.6.2016 - B 12 R 5/14 R - Juris) setzt sich die Klägerin aber nicht auseinander. Sie geht insbesondere auf die ständige Rechtsprechung des Senats, wonach zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen ist und den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer/Auftragnehmer sowie Arbeitgeber/Auftraggeber zwar keine allein ausschlaggebende, aber doch eine gewichtige Rolle zukommt (BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 17, 26 mwN), nicht ein. Dementsprechend unterlässt sie auch die gebotene vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, unter welchen Umständen eine von den vertraglichen Vereinbarungen abweichende tatsächliche Vertragsdurchführung eine andere Bewertung zulässt. Hierzu hat der Senat bereits ua wiederholt entschieden, dass den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber vertraglichen Abreden zukommt (vgl BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 16 mwN).

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Unabhängig davon, ob die Klägerin sich widersprechende Rechtssätze mit Blick auf das Urteil des Senats vom 10.8.2000 (B 12 KR 21/98 R - BSGE 87, 53 = SozR 3-2400 § 7 Nr 15) aufgezeigt hat, ist jedenfalls nicht aufgezeigt worden, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG nicht nur nicht beachtet oder unzutreffend angewandt, sondern auch infrage gestellt hätte. Die Behauptung, die Berufungsentscheidung sei inhaltlich unrichtig, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).

3. Schließlich hat die Klägerin einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, nicht hinreichend bezeichnet.

a) Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann eine Beschwerde nur gestützt werden, wenn sich der geltend gemachte Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Das Übergehen eines Beweisantrags ist aber nur dann ein Verfahrensfehler, wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts noch nicht als erfüllt ansieht. Insoweit ist darzulegen, dass ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag, mit dem sowohl das Beweismittel als auch das Beweisthema angegeben und aufgezeigt wurde, über welche Tatsachen im Einzelnen Beweis erhoben werden sollte, in der abschließenden mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung schriftsätzlich zu einem Zeitpunkt, in dem feststand, dass das LSG von sich aus Ermittlungen nicht mehr durchführen würde, bis zuletzt aufrechterhalten oder gestellt worden ist (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 6; BSG Beschluss vom 18.12.2000 - B 2 U 336/00 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 31 S 51 f; BSG Beschluss vom 28.5.1997 - 9 BV 194/96 - SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32 f). Dass die Klägerin Beweisanträge gestellt hätte, ist allerdings nicht dargetan.

b) Auch die Rüge, das LSG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 GG, §§ 62, 128 Abs 2 SGG) verletzt, ist nicht hinreichend aufgezeigt worden. Welches Vorbringen der Klägerin nicht berücksichtigt und inwieweit sie durch die angegriffene Entscheidung überrascht worden sein soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 S 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 S 1 GKG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI12409382

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