Leitsatz (amtlich)

1. Urteile der Landessozialgerichte in Rechtsstreitigkeiten, die nach SGG § 215 Abs 7 von den allgemeinen Verwaltungsgerichten des ersten Rechtszuges als Berufungen auf die Landessozialgerichte übergegangen sind, sind nicht endgültig, können vielmehr mit der Revision angefochten werden, wenn diese nach SGG § 162 Abs 1 statthaft ist.

2. Die falsche Einordnung eines betrieblichen Ereignisses unter den Begriff des Unfalls im Sinne der UV ist keine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall nach SGG § 162 Abs 1 Nr 3.

3. Betriebliche Ereignisse, die nicht jedes für sich, sondern erst zusammen eine meßbare Schädigung zur Folge haben, sind kein Unfall im Sinne der gesetzlichen UV, wenn sie in einer längeren, über eine Arbeitsschicht hinausgehenden Zeit eingetreten sind.

 

Normenkette

SGG § 215 Abs. 7 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03; RVO § 542 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 25. Mai 1954 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat durch ihren Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. ..., gegen das ihr am 16. Juni 1954 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 25. Mai 1954 am 6. Juli 1954 Revision eingelegt, diese begründet und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Klageantrag 1. Instanz zu erkennen.

Die Beklagte hat beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist jedoch nicht statthaft.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind Urteile der Landessozialgerichte in Rechtsstreitigkeiten, die nach § 215 Abs. 7 SGG von den allgemeinen Verwaltungsgerichten des ersten Rechtszuges als Berufungen auf die Landessozialgerichte übergegangen sind, nicht endgültig. Nach § 160 SGG findet gegen die Urteile der Landessozialgerichte die Revision statt, soweit sich aus den dieser Bestimmung folgenden Vorschriften nichts anderes ergibt. Für die Fälle des § 215 Abs. 7 SGG ist eine derartige Sonderbestimmung nicht ergangen. Die entsprechende Anwendung des § 214 Abs. 5 SGG ist nicht möglich, da sich die unter § 214 SGG fallenden Rechtsstreitigkeiten wesentlich von denen, die unter § 215 SGG fallen, unterscheiden. Bei den ersteren handelt es sich um solche, die bei Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes - zumindest praktisch - abgeschlossen waren, weil die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Anrufung des Reichsversicherungsamts nach dem Zusammenbruch entfallen war. Bei den letzteren dagegen handelt es sich um solche, bei denen sich die Beteiligten durch Erhebung der Klage vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten - jedenfalls nach der Ansicht einiger dieser Gerichte - einen neuen, vollen Rechtszug eröffnet hatten, wodurch der Gesetzgeber sich anläßlich des Übergangs ihrer Sachen auf die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit veranlaßt gesehen hat, ihnen einen gleichwertigen, vollen Rechtszug zu gewährleisten.

Zu prüfen ist allerdings, ob die Revision in dem zur Entscheidung stehenden Fall nach § 162 Abs. 1 SGG statthaft ist. Sie ist nach dieser Vorschrift nur dann statthaft, wenn das Landessozialgericht sie zuläßt (Nr. 1), wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (Nr. 2), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes das Gesetz verletzt ist (Nr. 3).

Die Revision ist vom Landessozialgericht nicht zugelassen. Auch ist ein wesentlicher Mangel des Verfahrens von der Klägerin nicht gerügt worden. Sie stützt ihre Revision lediglich auf Nr. 3 und rügt, daß das Landessozialgericht bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs das Gesetz verletzt habe. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es braucht nicht untersucht zu werden, ob Nr. 3 nur den medizinischen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Tode bzw. der Gesundheitsstörung erfaßt oder auch den Kausalzusammenhang zwischen Betrieb und Unfallereignis; denn in dem zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit hat das Landessozialgericht den zuletzt angeführten Kausalzusammenhang bejaht, indem es davon ausgeht, daß die betreffenden Ereignisse Betriebsereignisse sind, und den zuerst angeführten, indem es unterstellt, daß diese betrieblichen Ereignisse das zum Tode des Ehemannes der Klägerin führende Herzleiden mitverursacht haben. Eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs kann daher, zumindest zu Ungunsten der Klägerin, überhaupt nicht vorliegen. Der tragende und in Wirklichkeit von der Klägerin angegriffene Grund des angefochtenen Urteils, daß die in Frage stehenden Ereignisse - die beruflichen Zurücksetzungen und die sonstigen betrieblichen Schwierigkeiten, unter denen der Ehemann der Klägerin zu leiden hatte - nicht als Unfall im Sinne des III. Buches der Reichsversicherungsordnung zu bewerten seien, berührt die Frage des Kausalzusammenhangs nicht; vielmehr handelt es sich hierbei lediglich um die Einordnung der Tatsachenfeststellungen unter den gesetzlichen Begriff des Unfalls. Selbst wenn dem Landessozialgericht hierbei eine Gesetzesverletzung unterlaufen wäre, würden die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG damit noch nicht gegeben sein.

Das Landessozialgericht stützt sich jedoch - offenbar, weil es nicht ganz sicher ist, ob seine Haupterwägung anerkannt wird - am Schluß seiner Urteilsbegründung noch zusätzlich darauf, daß der Tod des Ehemannes der Klägerin wegen des vorliegenden schweren Herzleidens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch ohne die betrieblichen Ereignisse eingetreten wäre. Ob das Landessozialgericht hierdurch "bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs gegen das Gesetz verstoßen hat", ob also hierdurch die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG erfüllt sein könnten, brauchte, da es sich offensichtlich nur um eine Hilfsfeststellung für den Fall handelt, daß die Haupterwägung nicht durchgreifen sollte, nur untersucht zu werden, wenn der Haupterwägung nicht zugestimmt werden könnte. Das Landessozialgericht hat sich aber ohne Rechtsirrtum auf den Standpunkt gestellt, daß die in Frage stehenden Ereignisse nicht als Unfallereignis anzusehen sind. Diese Ereignisse erstrecken sich nach dem festgestellten Sachverhalt, an den das Revisionsgericht gebunden ist, über einen längeren Zeitraum und sind, jedes für sich betrachtet, nicht derart, daß es eine meßbare Schädigung herbeigeführt haben könnte. Die Häufung kleinerer Schädigungen, die nicht in einer Arbeitsschicht; sondern erst in längerer Zeit einen meßbaren Grad erreicht haben, stellen aber keinen Unfall im Sinne des III. Buches der Reichsversicherungsordnung dar. Auch die letzten Vorkommnisse am Todestag des Ehemannes der Klägerin stellen nur das Endglied einer Kette von durchaus alltäglichen betrieblichen Ereignissen dar, die allmählich auf den seelischen Zustand des Ehemanns der Klägerin eingewirkt haben, ohne daß sie in ihrer Bedeutung in nennenswertem Umfang über das hinausgingen, was der Ehemann der Klägerin auch vorher schon an betrieblichen Aufregungen erlitten hatte.

Da somit die Voraussetzungen der Nr. 3 des § 162 Abs. 1 SGG nicht vorliegen, ist die Revision nicht statthaft. Sie mußte daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373451

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