Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme

 

Orientierungssatz

Die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme steht unter dem Vorbehalt, daß sie nicht verwirkt sein darf.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 202; ZPO § 295

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.04.1988; Aktenzeichen L 4 Kr 3/87)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Der Kläger macht in erster Linie den Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geltend. Hierzu trägt er vor, das Landessozialgericht (LSG) habe den Sachverhalt nicht ausreichend erforscht und damit § 103 SGG verletzt; es sei seinen in erster Instanz gestellten Beweisanträgen, die er in seiner Berufungsschrift vom 29. Dezember 1986 in Bezug genommen habe, ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Damit ist indes ein Verfahrensmangel, der auch vorliegt, nicht dargelegt. Der Kläger hätte seine in erster Instanz gestellten Beweisanträge, wenn er sie aufrechterhalten wollte, spätestens bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vor dem LSG wiederholen müssen. Er hatte sie von vornherein lediglich insofern in das Berufungsverfahren eingeführt, als er in der Berufungsschrift vom 29. Dezember 1986 pauschal auf den Sachvortrag erster Instanz Bezug genommen und ihn zum Sachvortrag im Berufungsverfahren gemacht hatte. Eine weitere Begründung der Berufung, die er damals einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten hatte, ist während des mehr als einjährigen Berufungsverfahrens auch auf eine Erinnerung des LSG hin nicht erfolgt. Schon hiernach war fraglich, ob der Kläger seine Beweisanträge noch weiterverfolgen wollte. Jedenfalls aber war aus der Terminsmitteilung über die mündliche Verhandlung am 14. April 1988, die der Bevollmächtigte laut Empfangsbekenntnis am 29. März 1986 erhalten hat, ersichtlich, daß das LSG eine Zeugenvernehmung nicht beabsichtigte. Wenn der Kläger sich daraufhin weder schriftlich geäußert hat noch in der mündlichen Verhandlung vertreten war, mithin auch jetzt noch nicht auf seine Beweisanträge zurückgekommen ist, so kann er jetzt den erwähnten Verfahrensmangel nicht mehr mit Erfolg geltend machen. Hinsichtlich der Beweisanträge ist auch eine Divergenz zu dem vom Kläger erwähnten Beschluß des Großen Senats des Bundessozialgerichts in BSGE 30, 192, 205 nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung läßt nicht erkennen, in welcher Rechtsfrage das LSG insoweit vom BSG abgewichen sein soll. Eine etwaige Verletzung der Amtsermittlungspflicht begründet keine Divergenz und kann im übrigen nur nach Maßgabe des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen.

Der Kläger rügt als weiteren Verfahrensmangel, das LSG habe den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) verletzt, indem es Zeugen nicht vernommen, sondern Angaben aus beigezogenen Akten wie Zeugenaussagen verwertet habe. Auch diese Rüge greift nach den Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens nicht durch. Zwar hat das LSG für seine Entscheidung auch Angaben aus beigezogenen Akten verwendet. Der Senat hat das in seinem Urteil vom 15. Dezember 1983 (SozR 1500 § 117 Nr 3) grundsätzlich nur bei Zustimmung der Beteiligten für zulässig gehalten. Ferner ist hier ein an sich zulässiger Verzicht auf die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme oder eine rügelose Einlassung nach § 295 der Zivilprozeßordnung iVm § 202 SGG nicht erfolgt. Doch steht andererseits die erfolgreiche Geltendmachung einer Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme unter dem Vorbehalt, daß sie nicht verwirkt sein darf. Dieses ist hier jedoch der Fall. Nachdem sich bereits die Beklagte in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf den Inhalt beigezogener Akten gestützt hatte, hat auch der Kläger selbst in seinem erstinstanzlichen Vorbringen - ungeachtet eigener Beweisantritte und dem Antrag, die Akten noch einsehen zu wollen - mit dem Inhalt anderer Vorgänge argumentiert. Die Beiziehung von Akten ist ihm in erster und zweiter Instanz mitgeteilt worden. Vor allem aber hat schon das SG in seinem Urteil Aussagen in anderen Verfahren als Zeugenaussagen verwendet. Dieses hat der Kläger weder gerügt noch sonst zu erkennen gegeben, daß er hiermit nicht einverstanden sei. Unter diesen Umständen konnte das LSG aus dem Verhalten des Klägers, der während des gesamten Berufungsverfahrens nahezu untätig geblieben ist, entnehmen, daß er gegen die Verwertung des Inhalts der beigezogenen Akten nichts einzuwenden habe.

Soweit der Kläger am Ende der Beschwerdebegründung den Zulassungsgrund der Abweichung des LSG von mehreren Urteilen des BSG (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend macht, genügt sein Vorbringen den an eine Divergenzrüge zu stellenden Anforderungen nicht. Hierzu bedarf es der Darlegung der Rechtsfrage, die das BSG in den angeführten Entscheidungen entschieden hat, und Ausführungen dazu, inwiefern das LSG dieselbe Rechtsfrage anders entschieden hat. Daran fehlt es.

Soweit der Kläger die Frage als grundsätzlich bedeutsam bezeichnet, wieweit "die Tätigkeit innerhalb und für einen fremden Betrieb ein eigenständiges Kriterium für die Bejahung der abhängigen Arbeit ist", reicht das zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht aus. Dazu wären Ausführungen dazu erforderlich gewesen, inwiefern es angesichts der umfangreichen Rechtsprechung zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit einer weiteren Klärung der aufgeworfenen Frage bedarf. Im Hinblick auf die Mitteilung der Beklagten, daß sie den Kläger als Mitglied ansehe, ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht aufgezeigt.

Hiernach erwies sich die Beschwerde als unzulässig. Sie war daher entsprechend § 169 SGG zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1664086

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