Verfahrensgang
SG Heilbronn (Entscheidung vom 14.09.2021; Aktenzeichen S 6 R 1322/21) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 14.12.2022; Aktenzeichen L 5 R 3013/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte gewährte dem Kläger rückwirkend eine Rente und hielt die Rentennachzahlung iHv 300,60 Euro zunächst ein. Mit Schreiben vom 18.2.2021 teilte sie ihm mit, die Agentur für Arbeit S habe einen Erstattungsanspruch iHv 263,12 Euro geltend gemacht; der verbleibende Betrag zuzüglich Zinsen (insgesamt 41,08 Euro) werde auf sein Konto überwiesen. Der Kläger erhob Widerspruch gegen die Abrechnungsmitteilung. Daraus ergebe sich nicht die Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs. Die Beklagte übersandte dem Kläger wie erbeten die Erstattungsanforderung der Arbeitsagentur. Den Widerspruch wies sie als unzulässig zurück. Bei der Abrechnungsmitteilung handle es sich schon nicht um einen Verwaltungsakt (Widerspruchsbescheid vom 5.5.2021).
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe seinem Widerspruch abgeholfen, indem sie ihre Abrechnungsmitteilung durch Übersenden der Erstattungsanforderung nachträglich begründet habe. Das SG hat seine auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 14.9.2021). Das LSG hat die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung mit Urteil vom 14.12.2022 zurückgewiesen. Zwar handle es sich bei der Abrechnungsmitteilung um einen Verwaltungsakt. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers habe jedoch keinen Erfolg gehabt, weil die Abrechnungsmitteilung nicht abgeändert worden sei. Es liege auch kein Fall des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X vor. Sollte die Abrechnungsmitteilung erst mit Übersendung der Erstattungsanforderung hinreichend begründet worden sein, wäre die darin liegende Heilung des Begründungsmangels jedenfalls nicht kausal für die Erfolglosigkeit des Widerspruchs gewesen.
Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die er nach antragsgemäßer Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 28.2.2023 mit Schriftsatz vom 27.2.2023 begründet hat. Er hat sich zudem mit Schriftsätzen vom 8.3.2023 und 22.3.2023 geäußert.
II
1. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe wird anforderungsgerecht dargetan.
a) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nicht hinreichend dargelegt. Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss in der Beschwerdebegründung darlegen, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es ist daher eine Rechtsfrage zu formulieren und deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufzuzeigen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung wird diesen Darlegungsanforderungen nicht gerecht.
Der Kläger erachtet folgende Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig.
"Ist nach einem geheilten Verfahrensfehler (§ 35 Abs. 1 S. 1 iVm § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X) die Anwendung der Vorschrift des § 42 mit der Folge ausgeschlossen, dass nach § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X Kosten nicht zu erstatten sind"?
Der Senat geht zu seinen Gunsten davon aus, dass der Kläger trotz der missverständlichen Formulierung (doppelte Verneinung) in der Sache geklärt wissen will, ob die Regelung in § 42 Satz 1 SGB X Anwendung auch auf Fälle findet, in denen ein Begründungsfehler gemäß § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X nachträglich geheilt worden ist. Die Klärungsbedürftigkeit der so verstandenen Rechtsfrage wird nicht anforderungsgerecht dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Der Kläger bringt vor, der Senat habe im Urteil vom 6.7.2022 (B 5 R 21/21 R) die Anwendung des § 42 SGB X auch bei einer Heilung eines Begründungsfehlers bejaht. Damit räumt er eine bereits erfolgte Klärung der Frage ein.
Der Kläger zeigt auch nicht hinreichend auf, dass die aufgeworfene Rechtsfrage erneut klärungsbedürftig geworden sein könnte. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden; erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl zB BSG Beschluss vom 7.9.2022 - B 6 KA 37/21 B - juris RdNr 16; BSG Beschluss vom 14.11.2022 - B 1 KR 96/21 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Zur Darlegung einer erneuten Klärungsbedürftigkeit einer höchstrichterlich bereits geklärten Rechtsfrage ist daher aufzuzeigen, dass und mit welchen Gründen der höchstrichterlichen Rechtsauffassung in der Rechtsprechung oder in der Literatur widersprochen worden ist oder dass sich völlig neue, bislang nicht erwogene Gesichtspunkte ergeben haben, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (vgl zB BSG Beschluss vom 25.8.2022 - B 5 R 11/22 B - juris RdNr 16 mwN). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen nicht.
Der Kläger trägt unter Hinweis auf eine Vielzahl von Literaturstimmen, auf die Ausführungen in der BT-Drucks VI/1173, 75 f - der Begründung zum Entwurf des VwVfG - und auf eine Entscheidung des LSG vom 16.5.2001 (L 5 KA 2481/00) vor, die Anwendung von § 42 SGB X sei bei der Heilung eines Verfahrensfehlers ausgeschlossen. Damit zeigt er nicht auf, inwiefern der BSG-Entscheidung vom 6.7.2022 mit gewichtigen Einwendungen entgegengetreten worden ist. Die von ihm genannte Entscheidung des LSG war schon zeitlich zuvor ergangen. Das gilt auch auf die angeführte Gesetzesbegründung, die im Übrigen nicht unmittelbar das Sozialverwaltungsverfahren betrifft. Hinsichtlich des angeführten Schrifttums stellt der Kläger nicht dar, dass darin auch auf die BSG-Entscheidung vom 6.7.2022 eingegangen wird. Ebenso wenig zeigt er schlüssig Gesichtspunkte auf, die in der zum Thema ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht berücksichtigt worden sein könnten. Hierzu hätte es einer näheren Auseinandersetzung mit den Ausführungen im Urteil des BSG vom 6.7.2022 bedurft, wonach § 42 SGB X auch im Fall eines nach § 41 SGB X geheilten Begründungsfehlers zur Anwendung gebracht wird, trotz der vom BSG selbst angeführten anderslautenden Stimmen im Schrifttum (vgl BSG Urteil vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R - BSGE (vorgesehen), SozR 4-1300 § 63 Nr 32 juris RdNr 33).
Der Kläger stellt im Kern der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich seine eigene Rechtsauffassung gegenüber, indem er ausführlich zur Auslegung und Anwendung von § 42 SGB X vorträgt sowie dazu, warum nach seinem Dafürhalten selbst geheilte Form- und Verfahrensfehler im Rahmen der Kostenerstattung Beachtung finden müssen. Auf die darin liegende Rüge, die mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung übereinstimmende angefochtenen Entscheidung sei unrichtig, kann die Nichtzulassungsbeschwerde indes nicht gestützt werden (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 13.8.2020 - B 5 R 61/20 B - juris RdNr 8 mwN). Gleiches gilt für sein Vorbringen, das angegriffene Berufungsurteil sei nicht mit den Erwägungen in Entscheidungen des BSG vom 12.6.2013 (B 4 AS 68/12, richtig: B 14 AS 68/12 R); 16.3.2017 (B 10 LW 1/15 R); 24.10.2018 (B 6 KA 34/17 R) und 24.9.2020 (B 9 SB 4/19 R) vereinbar.
b) Ebenso wenig wird insoweit der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) anforderungsgerecht dargelegt. Divergenz liegt vor, wenn der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, und die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen. Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.7.2022 - B 5 R 87/22 B - juris RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger bringt vor, das LSG habe auf Seite 7 des Berufungsurteils den tragenden Rechtssatz aufgestellt, dass bei einer nachgeholten Begründung ein Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X nicht bestehe. Dies stehe im Gegensatz zu Entscheidungen des BSG vom 12.6.2013 (B 14 AS 68/12 R), 16.3.2017 (B 10 LW 1/15 R), 24.10.2018 (B 6 KA 34/17 R) und 24.9.2020 (B 9 SB 4/19 R), wonach "bei einem nachgeholten Begründungsmangel § 63 Abs. 1 S. 2 SGB X anzuwenden" sei und in aller Regel eine Kostenerstattung zu erfolgen habe. Auf dieser Abweichung beruhe das Urteil des LSG. Es sei dahingestellt, ob der Kläger damit hinreichend sich widersprechende Rechtssätze aufzeigt. Er versäumt es jedenfalls, den tatsächlichen und rechtlichen Kontext darzustellen, in dem die angeblich divergierenden Rechtssätze jeweils stehen (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 9.8.2018 - B 5 RE 3/18 B - juris RdNr 14 mwN; BSG Beschluss vom 13.12.2017 - B 5 R 256/17 B - juris RdNr 8 mwN). Eine Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachverhalt auch der Entscheidungen des BSG gehört zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können, weil eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen kann, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind (vgl BSG Beschluss vom 28.3.2023 - B 12 BA 19/22 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 25.10.2019 - B 9 SB 40/19 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 9.8.2018 - B 5 RE 3/18 B - juris RdNr 14).
Soweit der Kläger mit Schriftsätzen vom 8.3.2023 und 22.3.2023 darüber hinaus geltend macht, das LSG sei von Rechtssätzen des BVerfG im Beschluss vom 4.4.1962 (2 BvL 9/60) sowie im Beschluss vom 8.2.2023 (1 BvR 311/22) abgewichen, kann dieser Vortrag nicht berücksichtigt werden. Es handelt sich um Vorbringen, das die Divergenzrüge erweitert und erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim BSG eingegangen ist (vgl dazu, dass eine nach Fristablauf eingehende Begründung nur zu berücksichtigen ist, wenn sie das bisher Vorgetragene lediglich verdeutlicht, zB BSG Beschluss vom 13.1.2023 - B 12 BA 5/22 B - juris RdNr 4 mwN). Auch insofern fehlt es im Übrigen an einer näheren, am jeweiligen Kontext orientierten Auseinandersetzung mit den zitierten Entscheidungen.
c) Ein Verfahrensmangel wird nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Der Kläger rügt eine Verkennung des Streitgegenstands. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels, der in der Verkennung des Rechtsmittel- bzw Streitgegenstands liegt, erfordert die lückenlose Darlegung des Verfahrensgangs unter Auslegung der den Rechtsmittel- bzw Streitgegenstand bestimmenden Entscheidungen und Erklärungen sowie die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Regelungsgehalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen, dem Klagebegehren, der Entscheidung erster Instanz und dem Berufungsbegehren (vgl zB BSG Beschluss vom 8.5.2019 - B 14 AS 86/18 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 24.11.2022 - B 5 R 146/22 B - juris RdNr 13). Diesen Anforderungen entspricht das Beschwerdevorbringen schon deswegen nicht, weil die den Streitgegenstand formenden Entscheidungen und Erklärungen nicht hinreichend dargestellt und bewertet werden.
Der Kläger bringt vor, Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sei "nach den Ausführungen im gesamten Verfahren" nur der Widerspruchsbescheid gewesen. Indem das LSG § 42 SGB X zur Anwendung gebracht habe, habe es letztlich über einen Streitgegenstand entschieden, der "dem ausdrücklichen Willen des Klägers widersprach". Begehrt worden sei nur eine nachträgliche Begründung der Abrechnungsmitteilung. Damit ist nicht hinreichend aufgezeigt, was der Kläger insbesondere im Berufungsverfahren erklärt und vorgebracht hat. Mangels Ausführungen zu seinen (sinngemäßen) Anträgen setzt der Kläger sich insbesondere nicht damit auseinander, dass das LSG in der mündlichen Verhandlung, bei der der Bevollmächtigte des Klägers zugegen gewesen ist, einen Antrag aufgenommen hat, wonach die Aufhebung (nur) des erstinstanzlichen Urteils und des Widerspruchsbescheids vom 5.5.2021 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens begehrt werde.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15757884 |