Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Verfassungswidrigkeit - Begründung

 

Orientierungssatz

Wird in einer Nichtzulassungsbeschwerde Verfassungswidrigkeit geltend gemacht, so ist ua die Darlegung erforderlich, aus welchen Gründen Verfassungsnormen verletzt worden sind (hier Verletzung der Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Berufsfreiheit).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 2 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 12 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1968-06-24

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 23.02.1993; Aktenzeichen L 15 Kr 14/92)

SG Berlin (Entscheidung vom 27.03.1992; Aktenzeichen S 72 Kr 23/91-7)

 

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist in entsprechender Anwendung des § 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als unzulässig zu verwerfen, weil Revisionszulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheids über Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Diesen hat die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse erlassen, weil sie Transportdienste, die der Beigeladene zu 7) für die Klägerin erbracht hat, im Gegensatz zu dieser als versicherungspflichtige Beschäftigung in der Kranken- und Rentenversicherung und als beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit wertet. Die Vorinstanzen haben die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß die für die Klägerin geleisteten Dienste des Beigeladenen zu 7) Merkmale sowohl der Selbständigkeit als auch der Abhängigkeit aufwiesen, daß aber bei der erforderlichen Gesamtwürdigung die Gesichtspunkte, die für eine abhängige und damit versicherungspflichtige Beschäftigung sprechen, überwögen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Hierzu trägt sie ua vor: Der vorliegende Fall sei von allgemeiner Bedeutung und berühre damit das Interesse der Allgemeinheit an einer Rechtsfortbildung, weil es hier im Grunde um die Reichweite von Vertragsfreiheit in der Haupterscheinungsform von Privatautonomie als Teil des Grundrechts nach Art 2 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) gehe, die das LSG auf ein nach seiner Ansicht notwendigerweise versicherungsrechtlich relevantes Vertragsverhältnis einenge. Auch im Lichte von Art 12 Abs 1 Satz 1 GG sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob Vertragsparteien in ihrer Entscheidung frei sind, eine Vereinbarung der streitgegenständlichen Art zu treffen, ohne sich dem Vorwurf eines rechtlichen Formmißbrauchs auszusetzen und damit einer Handlungsweise zur unerlaubten Umgehung rechtlicher Gebote. Des weiteren führt die Klägerin im wesentlichen noch aus, die Entscheidung in dem Rechtsstreit habe Auswirkungen auf zahlreiche Bereiche, in denen Subunternehmer eingesetzt würden, insbesondere stelle sich im Transportgewerbe häufig die Rechtsfrage, unter welchen Bedingungen von einer selbständigen Tätigkeit gesprochen werden könne, ohne die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung zu erfüllen.

Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn eine Rechtsfrage auftritt, die sich nicht auf den Einzelfall beschränkt und deren Klärung dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 7 und 65). Voraussetzung hierfür ist stets, daß eine Rechtsfrage zur Entscheidung ansteht, die klärungsbedürftig (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4) ist und in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 54). Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß die in diesem Sinne zu verstehende Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Das erfordert die Bezeichnung der konkreten Rechtsfrage, die sowohl für die Entscheidung des Berufungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich sein wird (Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Januar 1994 - 2 BU 164/83 - nicht veröffentlicht; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNr 108 mwN; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Ferner genügt nicht die Darlegung, die Sache habe in tatsächlicher Hinsicht eine über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung; diese Voraussetzung ist vielmehr nur dann erfüllt, wenn die Rechtssache eine höchstrichterlich bisher noch nicht geklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher, dh allgemeiner Bedeutung aufwirft (Kummer aaO RdNr 126 mwN). Dieses muß in der Beschwerdebegründung dargelegt werden.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie legt nicht dar, welche konkrete Rechtsfrage die Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig hält. Dazu reicht das Vorbringen nicht aus, der vorliegende Fall sei von allgemeiner Bedeutung. Auch mit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, unter welchen Bedingungen von einer selbständigen Tätigkeit gesprochen werden könne, ohne die Kriterien einer abhängigen Beschäftigung zu erfüllen, ist eine konkrete Rechtsfrage nicht dargelegt; denn mit ihr wird nur das allgemeine Problem, nicht aber eine Rechtsfrage bezeichnet, die angesichts der zahlreichen Entscheidungen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit noch offen ist und die für die Entscheidung des Berufungsgerichts von Bedeutung war und in einem Revisionsverfahren entscheidungserheblich sein wird.

Darüber hinaus hat die Klägerin nicht die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Fragen hinreichend dargelegt. Das LSG hat in seinem Urteil unter Zitierung der entsprechenden Entscheidungen die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten typischen Merkmale für die abhängige Beschäftigung einerseits und für die selbständige Tätigkeit andererseits aufgezeigt und ist unter Anlegung dieser vom BSG aufgestellten Maßstäbe zu dem Ergebnis gekommen, daß im vorliegenden Fall ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit wäre daher ein substantiierter Vortrag dazu erforderlich gewesen, daß trotz dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung eine entscheidungserhebliche Frage zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit noch geklärt werden muß. Hierzu hat die Klägerin aber nichts vorgetragen.

Soweit die Klägerin geltend macht, das Urteil des LSG verstoße gegen Art 2 Abs 1 und Art 12 Abs 1 Satz 1 GG, genügt sie nicht den formalen Voraussetzungen für eine Nichtzulassungsbeschwerde. Während sie zu Art 12 Abs 1 Satz 1 GG keine Ausführungen gemacht hat, hat sie zu Art 2 Abs 1 GG lediglich vorgetragen, es gehe hier um die Reichweite von Vertragsfreiheit in der Haupterscheinungsform von Privatautonomie. Inwiefern durch das Berufungsurteil die Vertragsfreiheit in verfassungswidriger Weise verletzt sein könnte, ist jedoch weder den Ausführungen der Klägerin noch dem Urteil selbst zu entnehmen. Ernsthafte Zweifel, daß die diese Freiheit einschränkenden öffentlich-rechtlichen Pflichten wie die Versicherungspflicht in der Kranken- und Rentenversicherung und die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit nicht zur Disposition privater Vertragspartner stehen dürfen, bestehen nicht und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht. Auch ist nicht ersichtlich, daß die vom LSG angewandten rechtlichen Maßstäbe zur Ermittlung der Frage, ob der Beigeladene zu 7) selbständig tätig oder abhängig beschäftigt war, verfassungsmäßig zu beanstanden wären. Diese Maßstäbe entsprechen der Rechtsprechung des BSG. Danach hängt bei einem Nebeneinander von Merkmalen, die für und gegen eine selbständige Tätigkeit bzw abhängige Beschäftigung sprechen, die Entscheidung, ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSGE 45, 199, 200 mwN = SozR 2200 § 1227 Nr 8). Das LSG ist unter Anwendung dieser Rechtsprechung zu dem Ergebnis gekommen, daß nicht nur nach den tatsächlichen Verhältnissen, sondern auch nach dem Inhalt des zwischen der Klägerin dem Beigeladenen zu 7) abgeschlossenen Vertrags die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung überwiegen, und brauchte deshalb nicht die Frage zu entscheiden, wie zu verfahren ist, wenn die tatsächlichen Verhältnisse zu anderen Ergebnissen führen als der Vertragsinhalt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (SozR 1500 Nrn 11 und 17), die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt worden ist (SozR 1500 Nr 45), ist bei der Geltendmachung von Verfassungswidrigkeit in einer Nichtzulassungsbeschwerde ua die Darlegung erforderlich, aus welchen Gründen Verfassungsnormen verletzt worden sind. Hierzu hätte die Klägerin unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG substantiiert vortragen müssen, inwiefern das Urteil des LSG trotz voller Berücksichtigung des Vertragsinhalts das die Vertragsfreiheit umfassende Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit verletzt und aus welchen Gründen es gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit verstößt. Derartige Ausführungen hat die Klägerin nicht gemacht.

Die Beschwerde konnte somit keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

RegNr, 21697 (BSG-Intern)

BR/Meuer SGG § 160a, 05-05-94, 12 BK 38/94 (OT1)

USK, 9474 (T)

Die Beiträge 1994, 597-599 (T)

HVBG-INFO 1995, 2740-2742 (OT1)

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