Verfahrensgang

AG Potsdam (Entscheidung vom 16.09.2020; Aktenzeichen 88 OWi 4133 Js-OWi 33212/20 (336/20)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 16. September 2020 wird zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 16. September 2020 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-scheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Potsdam zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam -Bußgeldstelle- setzte mit Bescheid vom 22. Juli 2020 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h, begangen am ... Mai 2020 um ... : ... Uhr in P... auf der ...straße Brücke bis T..., Fahrtrichtung ..., ein Bußgeld in Höhe von 80,00 € fest. Nach form- und fristgerechtem Einspruch des Betroffenen beraumte die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Potsdam mit Verfügung vom 24. August 2020 Termin zur Hauptverhandlung auf den 16. September 2020 an, die Ladung wurde dem Betroffenen am 01. September 2020 zugestellt. Mit Anwaltsschreiben vom 15. September 2020 hatte der Betroffene die Fahrereigenschaft eingeräumt, ausdrücklich erklärt, weitere Einlassungen zur Sache nicht zu machen und beantragt, von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden zu werden.

Der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von seiner Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung der Akte beilag, ist nicht beschieden worden.

Nachdem der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin am 16. September 2020 nicht erschienen war, verwarf das Amtsgericht Potsdam mit Urteil vom selben Tag gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juli 2020.

Hiergegen wendet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit dem er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, zugleich erhebt er Rechtsbeschwerde.

II.

1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden, wobei bei Geldbußen von nicht mehr als 100,- Euro gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG mit der Verfahrensrüge nur die Versagung rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden kann. Denn ansonsten wird die Rechtsbeschwerde bei Geldbußen von nicht mehr als 100,- Euro nur zur Fortbildung des Rechts bei Anwendung materieller Rechtsnormen zugelassen.

Die Antragsbegründung enthält insoweit eine den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge, mit der die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird.

2. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs - vorläufigen - Erfolg. Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde wegen Versagung rechtlichen Gehörs zu (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Auf die Rechtsbeschwerde wird das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Potsdam aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Potsdam zurückverwiesen.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Pflicht zu Erscheinen in der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft unbeschieden gelassen.

§ 74 Abs. 1 OWiG gestattet die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Betroffenen durchzuführen, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden war. Die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung setzt einen Antrag des Betroffenen voraus, der sich - wie vorliegend - auf die konkret bevorstehende Hauptverhandlung bezieht und im Falle der Aussetzung der Hauptverhandlung wiederholt werden muss (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 08.l05.2006 - 4 Ss OWi 217/06; KG Beschluss vom 07.09.2000 - 2 Ss 184/00 -, jeweils: in Juris).

Im Falle der Verwerfung eines Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG muss sich das Gericht im Urteil auch mit Bedenken gegen eine Verwerfung auseinandersetzen, wozu insbesondere ein Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gehört. Dies gilt umso mehr, wenn dieser Antrag - wie hier - vor der Verwerfung des Ein-spruchs nicht beschieden worden ist (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 273). Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Der Betroffene hat einen Anspruch auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen. Ob der Betroffene auf seinen Antrag von der Pflicht zum Erscheinen zu entbinden ist, steht nämlich nicht gänzlich im Ermessen des Gerichts; vielmehr ist dem Antrag zu entsprechen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG - wie im vorliegenden Fall - vorliegen (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Mai 2009 -1 Ss...

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