Verfahrensgang

LG Cottbus (Entscheidung vom 31.03.2004; Aktenzeichen 23 A Ns 33/03)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Cottbus vom 31. März 2004 aufgehoben.

Das Verfahren wird vorläufig eingestellt.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Senftenberg - 55 Ds 1940 Js 21458/01 (380/01) - verurteilte den Angeklagten am 21. Januar 2002 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in drei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein.

Am 16. Mai 2003 verurteilte ihn wiederum das Amtsgericht Senftenberg -56 Ls 1940 Js 33126/01 (64/02)- wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen das letztgenannte Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein.

Nachdem das Landgericht durch Beschluss vom 11. August 2003 beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, verurteilte es den Angeklagten am 1. Dezember 2003 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in sieben Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr. Gegen das Berufungsurteil legte der Angeklagte Revision ein.

Am 29. Januar 2004 wurde das schriftliche Urteil dem Verteidiger zugestellt. Die Unterrichtung des Angeklagten von der an seinen Verteidiger erfolgten Zustellung unter Beifügung einer in die vietnamesische Sprache übersetzten Urteilsausfertigung scheiterte, weil der Angeklagte bereits am 26. Januar 2004 "mit unbefristeter Wirkung" abgeschoben worden war. Die Revision wurde vom Verteidiger nicht mehr begründet.

Mit Beschluss vom 31. März 2004 hat das Landgericht "das Verfahren gemäß § 206 a StPO eingestellt, weil der Angeklagte ... am 26. Januar 2004 mit unbefristeter Wirkung abgeschoben worden ist".

Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die der Auffassung ist, die Revision des Angeklagten sei als unzulässig zu verwerfen, weil sie nach § 55 Abs. 2 JGG unstatthaft und außerdem nicht rechtzeitig begründet worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg tritt dem Rechtsmittel bei und trägt ergänzend vor, dass kein unbehebbares Verfahrenshindernis vorläge.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist nur zum Teil begründet.

1.

Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass der Fortführung des Revisionsverfahrens die durch seine Abschiebung herbeigeführte Abwesenheit des Anklagten entgegensteht. Durch die am 26. Januar 2004 erfolgte Abschiebung ist die Fähigkeit des Angeklagten, sich im Revisionsverfahren angemessen verteidigen zu können, derart eingeschränkt worden, dass eine Fortführung des Verfahrens aus rechtsstaatlicher Sicht jedenfalls derzeit nicht möglich ist.

Der Anspruch des Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 EMRK) verlangt, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dabei gelten im Revisionsverfahren andere Anforderungen als im Verfahren vor dem Tatgericht:

In der Tatsacheninstanz ist die Einlassung des Angeklagten wesentliches Beweismittel. Der Angeklagte kann selbst Anträge stellen und Zeugen befragen. Er wird vor Entscheidungen des Gerichts neben seinem Verteidiger angehört. Diese Rechte geben dem Angeklagten die Möglichkeit, das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitzugestalten und sich so zu verteidigen.

Das Revisionsverfahren bietet ein anderes Bild. Dieses Verfahren dient ausschließlich der rechtlichen Überprüfung des tatrichterlichen Urteils auf richtige Anwendung des sachlichen Rechts und des Verfahrensrechts. Erörterungen tatsächlicher Art finden hier nicht statt. Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten, sind gering. Selbst kann der Angeklagte das Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle) vornehmen (§ 344 Abs. 1 StPO). Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 StPO erforderliche Begründung der Revision. In der Revisionshauptverhandlung hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte das Recht auf Anwesenheit und auf Gewährung des letzten Wortes. Jedoch kann er auch dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen nach § 344 StPO, die nach § 345 StPO nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen, nicht wirksam abgeben.

Dass der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte keinen Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht hat, ist wegen der skizzierten Ausgestaltung des Revisionsverfahrens unbedenklich, wenn er einen Verteidiger hat und dieser in der Hauptverhandlung anwesend ist.

Nach diesen Grundsätzen wird es im Revisi...

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