Leitsatz (amtlich)

Die nach dem Erlass einer Entscheidung zur elterlichen Sorge in Kraft getretene Änderung des § 1626a II BGB hat die Rechtslage wesentlich verändert und kommt als triftiger Grund für eine Änderung der Entscheidung in Betracht (§ 1696 I 1 BGB).

Mit der gesetzlichen, wenn auch widerleglichen Vermutung des Vorzuges der gemeinsamen Sorge (§§ 1626a II BGB, 155a FamFG) ist ein rechtlich verbindliches Leitbild errichtet. Dem entspricht es, einer nach § 1696 I 1 BGB zu prüfenden Änderung mit dem Antragsziel der gemeinsam Sorge überwiegende Vorteile zuzuschreiben, wenn dies in den konkreten Verhältnissen des Einzelfalles irgendeine Bestätigung findet.

 

Verfahrensgang

AG Zossen (Aktenzeichen 6 F 188/14)

 

Tenor

Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin ..., beigeordnet.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG Zossen vom 14.10.2014 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Teilhabe des Antragstellers an der elterlichen Sorge für ein gemeinsames Kind.

I.1. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des im September 2005 geborenen Kindes. Sie trennten sich im Jahr 2009. Das Kind wohnt seitdem bei der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller scheiterte 2012 mit einem ersten Antrag, die elterliche Sorge auf ihn und die Antragsgegnerin gemeinsam zu übertragen, weil nicht zu erwarten sei, dass dies dem Kindeswohl entspräche (§ 1626a BGB in der damals geltenden Fassung nach der Maßgabe der Nr. 2 des Beschlusses des BVerfG v. 21.7.2010 - 1 BvR 420/09 -, BGBl. I, 1173 = BVerfGE 127, 132). Die Meinungsverschiedenheiten um Unterhalt, Umgang und Sorge ließen nicht erwarten, dass Antragsteller und Antragsgegnerin die Entscheidungen im Rahmen der Sorge einvernehmlich treffen könnten oder in der Lage wären, Differenzen in angemessener Zeit mit einem Ergebnis zu beheben, das den Streit in den Hintergrund treten lasse und den Interessen des Kindes den angemessenen Platz im Mittelpunkt des Interesses einräume. Dem Verfahren seien nicht ausreichend viele Einigungsbemühungen vorausgegangen. Beratungsgespräche unter professioneller Anleitung, Beteiligungen an den mit der Sorgeausübung zusammenhängenden Fragen etwa durch Bevollmächtigungen, detaillierte Vorschläge, wie ein solches Vorgehen und die angestrebte zukünftige gemeinsame Sorge gestaltet werden sollte, müssten dem Verfahrensbeginn vorausgehen, um deutlich werden zu lassen, dass Einigungsmöglichkeiten bestünden (Senat, Beschl. v. 16.5.2012 - 13 UF 50/12).

2. Der Antragsteller hat erneut beantragt, die elterliche Sorge auf ihn und die Antragsgegnerin gemeinsam zu übertragen. Er hat darauf verwiesen, frühere Meinungsverschiedenheiten seien beigelegt und der Umgang werde entsprechend einer gerichtlichen Regelung wahrgenommen.

Die Antragsgegnerin hat gegen den Antrag eingewandt, der Antragsteller werde die Mitsorge dazu ausnutzen, auf das Kind einzuwirken, und dadurch einen Loyalitätskonflikt auslösen.

Der Verfahrensbeistand hat von Gesprächen mit dem Kind und mit den Eltern berichtet. Für die Entwicklung des Kindes und für seine Beziehungen zu beiden Eltern sei es gut, beide Eltern als gemeinsam verantwortlich erleben zu können. Mit Unterstützung durch Beratungen könne die gemeinsame Sorge gelingen (Bl. 102 ff.).

Das Jugendamt hat auf seine Beratungsangebote verwiesen, weil es den Eltern noch immer schwerfalle, notwendige Entscheidungen miteinander auszuhandeln (Bl. 97 f.).

3. Das AG hat die Eltern und das Kind persönlich angehört (Bl. 105 f.). Mit dem angefochtenen Beschluss hat es die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam übertragen. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem die Alleinsorge der Mutter gegen den Willen des Vaters gerechtfertigt werden könne, sei nicht gegeben. Es könne nicht festgestellt werden, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung trotz gestörter Kommunikation und trotz Ablehnung der gemeinsamen Sorge durch die Antragsgegnerin nicht möglich sei. Zwischen dem Antragsteller und dem Kind bestehe eine enge, verfestigte, positive Bindung. Gravierende Differenzen bestünden zwischen den Eltern in wesentlichen Fragen nicht. Insbesondere sei der Aufenthalt des Kindes bei der Antragsgegnerin nicht umstritten. Streitigkeiten zu Unterhalt und Umgang seien beigelegt. Die Antragsgegnerin habe ihre strikte Ablehnung der Mitsorge nicht sachlich nachvollziehbar begründen können. Das AG hat zudem triftige Gründe bejaht, die zum Wohle des Kindes die Mitsorge rechtfertigten: Das Kind zeige, dass es unter der Trennung der Eltern leide, und es zeichneten sich Bindungsstörungen im Verhältnis zur Antragsgegnerin ab. Eine Beendigung der Ausgrenzung des Antragstellers könne zu einer Entlastung des Kindes beitragen.

4. Mit ihrer Beschwerde wendet die Antragsgegnerin ein, seit der Ablehnung der gemeinsamen Sorge habe sich nichts geä...

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