Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 17.08.2022 und das Verfahren, auf dem er beruht, aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Zossen zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

4. Der Beschwerdeführerin wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ... in Zossen beigeordnet.

5. Der Antrag des Beschwerdegegners auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten um die Übertragung des Sorgerechts für ihren sechsjährigen Sohn, für den bisher die Mutter das alleinige Sorgerecht innehatte.

Nachdem das Jugendamt das Kind wegen Kindeswohlgefährdung im Haushalt der Mutter in Obhut genommen hat, lebt es derzeit beim Vater.

Der Antragsteller hat beantragt,

ihm das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen und im Übrigen ihm die elterliche Sorge zur gemeinsamen Ausübung mit der Antragsgegnerin zu übertragen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen, hilfsweise ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

Durch den angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug nimmt, hat das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der beteiligten Eltern und des Jugendamtes sowie nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens dem Antrag des Antragstellers zur gemeinsamen Sorge stattgegeben, die wechselseitigen Anträge zum Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückgewiesen und den Lebensmittelpunkt des Kindes beim Vater begründet.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde und beantragt,

die Sache unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Zossen vom 17.08.2022 und des ihm zugrundeliegenden Verfahrens zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Zossen zurückzuverweisen.

Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Eine erneute Anhörung der Beteiligten ist entbehrlich, wenn der angefochtene Beschluss in jedem Fall aufzuheben ist (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger/Roßmann, FamFG, 5. Aufl., § 68 Rn. 41 m.w.N.).

II. Die nach §§ 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg insoweit, als sie zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über das Sorgerecht und gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht führt.

Das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft gegen seine Pflicht zur Bestellung eines geeigneten Verfahrensbeistandes für das Kind verstoßen. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands nach § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG ist regelmäßig erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, wobei für die Erforderlichkeit eines Verfahrensbeistands nach § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG bereits die Möglichkeit des Bestehens eines Interessengegensatzes ausreicht. Ein erheblicher Interessengegensatz ist anzunehmen, wenn es nach dem Sachverhalt naheliegt, dass die Eltern vornehmlich ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen oder aufgrund der Intensität ihres Konflikts die Gefahr besteht, dass sie die Interessen des Kindes aus dem Blick verlieren, wobei - wie hier - entgegengesetzte Sachanträge der Eltern ein Indiz für das Bestehen eines solchen Interessengegensatzes sind (vgl. Hammer in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 158 Rn. 16, 17, mwN; Zorn in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 158 Rn. 8). Deshalb werden von § 158 Abs. 3 Nr. 1 FamFG vor allem stark konfliktträchtige Sorge- und Umgangsrechtsverfahren getrennt lebender Eltern erfasst (vgl. MüKoFamFG/Schumann, 3. Aufl., § 158 FamFG Rn. 8, mwN; OLG Saarbrücken, NJOZ 2020, 616 Rn. 19, beck-online).

Sieht das Gericht trotz Vorliegens eines Regelbeispiels nach § 158 Abs. 3 FamFG ausnahmsweise von der Bestellung eines Verfahrensbeistands ab, so ist dies in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen (Abs. 3 S. 2). Aus der Begründung muss sich ergeben, dass sich das Gericht mit den Gegebenheiten des Einzelfalls bezogen auf das Kriterium der Erforderlichkeit der Bestellung auseinandergesetzt hat. Fehlt die Begründung oder ist sie unzureichend, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führt (Zorn in: Bork/Jakobi/Schwab, aaO., § 158, Rn. 16; MüKoFamFG/Schumann, aaO, § 158 Rn. 22, 24).

So liegt der Fall auch hier. Das Amtsgericht hat entgegen § 158 Abs. 3 Satz 2 FamFG die fehlende Bestellung eines Verfahrensbeistandes auch nicht hinreichend begründet.

Es ist nicht ausreichend, dass das Familiengericht meint, den Kindeswillen bereits zu kennen. Die Rolle des Verfahrensbeistands ist es gerade...

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