Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls bei Nichterscheinen im Berufungstermin gemäß §§ 329 Abs. 4, 230 Abs. 2, 216 StPO bei Ladung im Ausland. Formulierung der Belehrung nach Nr. 116 Abs. 1 und 4 RiVASt

 

Verfahrensgang

LG Neuruppin (Entscheidung vom 24.01.2014)

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Angeklagten .... werden die gegen sie ergangenen Haftbefehle der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 24. Januar 2014 aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die den Angeklagten hierin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

 

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Perleberg vom 12. Juli 2013 ist gegen den Angeklagten ... wegen Diebstahls eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, gegen den Angeklagten ... eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten und gegen den Angeklagten ... eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt worden. Die Angeklagten sind am Tag der Urteilsverkündung aus der jeweils seit 05. März 2013 andauernden Untersuchungshaft entlassen worden. Aufgrund der Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft Neuruppin hat die Vorsitzende der 2. kleinen Strafkammer die Angeklagten mit Schreiben vom 28. Oktober 2013 jeweils unter ihrer polnischen Adresse zur Berufungshauptverhandlung am 24. Januar 2014 geladen. In den Ladungen findet sich jeweils der folgende Hinweis: "Wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann über die Berufung der Staatsanwaltschaft auch ohne Sie verhandelt werden. Es kann jedoch auch Ihre Vorführung oder Verhaftung angeordnet werden." Des Weiteren wird den Angeklagten unter Hinweis auf Art. 12 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen freies Geleit zugesichert. Die Ladungen sind den Angeklagten jeweils in polnischer Übersetzung im Wege des Einschreibens mit Rückschein übersandt worden. Der Angeklagte ... hat den Empfang am 20. November 2013, der Angeklagte ... am 21. November 2013 jeweils mit seiner Unterschrift bestätigt. Mit Schreiben vom 02. Dezember 2013 beantragte der Angeklagte ... wegen Mittellosigkeit die Finanzierung seiner Anreise, woraufhin ihm am 02. Januar 2014 eine Zugfahrkarte mit einfacher Post übersandt wurde.

Zur Hauptverhandlung am 24. Januar 2014 erschienen die Angeklagten nicht. Die 2. kleine Strafkammer hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass von Haftbefehlen gem. § 112 StPO verworfen und gegen die Angeklagten Haft gem. § 230 Abs. 2 StPO angeordnet.

Mit seiner Beschwerde vom 25. Februar 2014 macht der anwaltlich vertretene Angeklagte ... geltend, er habe anlässlich seiner Terminsladung seine Bereitschaft zum Erscheinen bekundet und sei nur aufgrund Mittellosigkeit nicht zum Termin erschienen. Die Fahrkarte sei kurz vor der Hauptverhandlung übersandt worden und habe ihn nicht erreicht. Der Angeklagte ... begehrt mit Anwaltsschriftsatz vom 30. Januar 2014 die Aufhebung des Haftbefehls. Eine Ladung mit Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens sei ihm nicht zugegangen. Der Angeklagte ... hat kein Rechtsmittel eingelegt. Das Landgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 27. März 2014 beantragt, die Beschwerden als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gem. § 304 StPO zulässigen Beschwerden sind begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls gem. § 230 Abs. 2 StPO, oder hier: § 329 Abs. 4 StPO, gegen die dauerhaft im Ausland wohnenden Angeklagten sind nicht erfüllt.

Die Anordnung der Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO setzt, neben dem unentschuldigten Nichterscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten gem. § 216 StPO voraus, wonach in der Ladung zwingend auf die Möglichkeiten der Vorführung und Anordnung der Untersuchungshaft hingewiesen werden muss. Ein derartiger Hinweis ist - nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur - allerdings bei einer im Ausland zu bewirkenden Ladung schlechthin unzulässig, sofern in der Warnung die Vorführung und Anordnung der Haft im Ausland ausgesprochen wird. Eine derartige Warnung geht ins Leere, da die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staats unzulässig ist und bereits die Androhung der Ausübung von Zwangsmitteln auf fremdem Staatsgebiet einen Eingriff in dessen Souveränität darstellt und dem Territorialsprinzip zuwider läuft (vgl. Senat mit Beschluss vom 21. Mai 2007 - 1 Ws 92/07- zur früheren Fassung von Nr. 116 Abs. 1 RiVASt; KG Berlin, B. v. 15. April 2013, (1) 3 StE 6/11 - 1 (3/11), zitiert nach juris; Saarländisches OLG, B. v. 13. November 2009, 1 Ws 207/09, zitiert nach juris; OLG Rostock, B. v. 29. Februar 2008, 1 Ws 60/08, zitiert nach juris; Meyer-Goßner, 56. A. 2013, § 216 Rn 4; Gmel in KK-StPO, 7. A. 2013, § 216 Rn 5). Die Haft gem. §§ 329 Abs. 4, 230 Abs. 2 StPO kann gegen einen im Ausland wohnhaften Angeklagten nur angeordnet werden, wenn - übereinstimmend...

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