Leitsatz (amtlich)

1. Das dringende Bedürfnis zum sofortigen, einstweiligen Einschreiten (§ 49 FamFG) besteht, wenn die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, dem Hauptsacheantrag aber stattgegeben wird, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch vorläufige Maßnahmen eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln sind, wenn der Antrag in der Hauptsache erfolglos bleibt.

2. Ein mehrfacher Wechsel des elterlichen Haushalts und ein weitgehender Abbruch der Beziehung zu seiner bisherigen Hauptbezugsperson belasten ein 6-jähriges Kind, regelmäßig deutlich stärker, als die Verzögerung eines Wechsels in den Haushalt des anderen Elternteils und des Aufbaus einer Beziehung zu ihm als neuer Hauptbezugsperson um wenige Monate.

3. Ein abrupter Wechsel in der Kontinuität seiner Erziehung und Betreuung und namentlich eine schwerwiegende Beziehungsbeeinträchtigung zur bisherigen Hauptbezugsperson belasten ein Kind umso mehr, je jünger es ist; erst mit wachsender Reife gewinnt die Umgebungskontinuität gegenüber der Beziehungskontinuität an Gewicht (vgl. BeckOGK/Fuchs BGB § 1671 Rn. 272).

 

Verfahrensgang

AG Zossen (Aktenzeichen 6 F 275/18)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 11.07.2018 abgeändert:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind ..., geboren ...2011, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - Amtsgericht Zossen 6 F 220/18 - der Antragsgegnerin allein übertragen.

II. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die beschwerdeführende Antragsgegnerin erstrebt gegenüber dem Antragsteller in einem einstweiligen Anordnungsverfahren - parallel zu einem von ihr als Antragstellerin geführten Hauptsacheverfahren, AG Zossen 6 F 220/18 - die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes für ihren Sohn auf sich.

Die Beteiligten heirateten 2011, sind Eltern des ...2011 geborenen ..., und trennten sich 2016. Der Sohn verblieb im Haushalt seiner Mutter. Der hiesige Antragsteller hatte aufgrund einer Elternvereinbarung vom 04.02.2016 das Recht, das Kind an jedem 2. Wochenende jeweils freitags aus der Kita bis Sonntag 18:00 Uhr zu sich zu nehmen (vgl. 29 BA). Die Ehe wurde mit Rechtskraft zum 30.05.2017 geschieden. Nach der Scheidung zog sich der Vater aufgrund finanzieller und gesundheitlicher Probleme vom Umgang zurück, nahm diesen jedoch ab Oktober 2017 wieder auf (vgl. 159 BA). Nachdem die Mutter aus Sorge über ... Gesundheitsfürsorge beim Kindesvater nach dem letzten Umgang zu Weihnachten 2017 weitere Umgänge unterband (vgl. 195 R BA), schlossen die Eltern in einem daraufhin vom Vater eingeleiteten Umgangsverfahren - 6 F 9/18 AG Zossen - im Termin am 30.01.2018 einen Vergleich, wonach der Vater im Wesentlichen im bisherigen Turnus zum Umgang berechtigt war und darüber hinaus zum Umgang mittwochs beginnend zwischen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr und endend um 18:00 Uhr (vgl. 47 BA).

In Ansehung eines Umzugs der Mutter nach Pirna erstrebt jeder Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht nach mündlicher Verhandlung die elterliche Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsteller übertragen. Die Beibehaltung seiner bisherigen Lebensumstände entspreche ... Wohl am besten.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde macht die Mutter im Wesentlichen geltend, die Beibehaltung der elterlichen Sorge in ihrem Haushalt und mit ihr als Hauptbezugsperson entspreche dem Kindeswohl am besten.

Vater, Jugendamt und Verfahrensbeistand verteidigen den angefochtenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat, dem die Akten des Hauptsacheverfahrens vorlagen, auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Die Berichte des Jugendamtes und des Verfahrensbeistandes vermitteln mit den Termins- und Anhörungsprotokollen ein ausreichend verlässliches und vollständiges Bild der Beteiligten, das jedenfalls die Beurteilung einer einstweiligen Anordnung zulässt. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren und besseren Erkenntnisse der Senat durch eine eigene Anhörung gewinnen könnte. Insbesondere steht prognostisch aus Sicht des Senats (§ 159 Abs. 3 S. 1 FamFG) der durch eine persönliche Anhörung ... zu erwartende Erkenntnisgewinn in keinem vertretbaren Verhältnis zu den damit verbundenen Belastungen des erst 6-jährigen Kindes, bei dem nach der Befundung durch das Diagnostikzentrum DBZ Vivantes vom 05.07.2018 eine motorische und geistige Entwicklungsverzögerung von anderthalb bis 2 Jahren vorliegt, das nach den Bekundungen seines Vaters sehr feinfühlig ist, und das sich nach den Ausführungen im ...

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