1. Rechtsnatur

 

Rz. 90

Der Pflichtteil gewährt eine dingliche Beteiligung am Nachlass, indem den Pflichtteilsberechtigten ein entsprechender Anteil der Erbschaft zusteht (Art. 30 Abs. 1 ErbG FBuH, Art. 31 ErbG RS, Art. 34 Abs. 1 ErbG BD BuH), und nicht lediglich einen Geldanspruch gegen den Erben. Diese gesetzliche Bestimmung ist aber nicht zwingend, so dass der Erblasser bestimmen kann, dass der Pflichtteilsberechtigte seinen Anteil in bestimmten Sachen, Rechten oder in Geld erhalten kann. Deckt sich der Wert des dem Pflichterben zugewendeten bestimmten Gegenstands mit der Höhe seines Pflichtteils, hat er keinen Anspruch, sich auf irgendwelche Art und Weise an der Erbmasse zu beteiligen. In der Föderation BuH und BD BuH wurde hier eine neue Bestimmung zugefügt. Auf Antrag einer Partei im Nachlassverfahren kann das Gericht bzw. der Notar die gleiche Anordnung treffen, wenn das Gericht bzw. der Notar dies für angemessen hält, Art. 30 Abs. 2 ErbG FBuH, Art. 34 Abs. 2 ErbG BD BuH.

2. Pflichtteilsberechtigung und Pflichtordnungen

 

Rz. 91

Pflichtteilsberechtigte Personen sind grundsätzlich diejenigen Personen, die im konkreten Fall die gesetzlichen Erben wären, wenn es kein Testament gäbe, Art. 28 Abs. 3 ErbG FBuH, Art. 29 Abs. 3 ErbG RS, Art. 32 Abs. 3 ErbG BD BuH. Bei der Ermittlung der Pflichtteilsberechtigten im konkreten Fall sollten als erstes die vermeintlichen gesetzlichen Erben festgestellt werden. Dieser Schritt ist auch notwendig, weil sich auch die Höhe des Pflichtteils aufgrund der Höhe des vermeintlichen gesetzlichen Teils errechnet. Die Pflichtteilsberechtigten sind in zwei Pflichtordnungen aufgeteilt, die sich stark an den zwei ersten gesetzlichen Erbordnungen anlehnen, aber sich auch von diesen unterscheiden.

 

Rz. 92

Die erste Pflichtordnung ist mit der ersten gesetzlichen Ordnung identisch, so dass Pflichtteilsberechtigte im Rahmen dieser Gruppe, der überlebende Ehegatte, leibliche Kinder des Erblassers und alle ihre Abkömmlinge, volladoptierte Kinder und alle ihre Abkömmlinge, Kinder aus nicht vollständiger Adoption und alle ihre Abkömmlinge, sind. So gesehen deckt sich der Kreis der gesetzlichen und der Pflichteilserben. Eine bedeutende Einschränkung gibt es aber insofern, als nicht alle Angehörigen dieser Gruppe unter gleichen Bedingungen das Recht auf den Pflichtteil haben. Dem Ehegatten, leiblichen Kindern und volladoptierten Kindern steht der Pflichtteil ohne Erfüllung zusätzlicher Bedingungen zu (absolute Pflichtteilsberechtigte). Allen anderen steht der Pflichtteil nur zu, wenn sie dauerhaft erwerbsunfähig und bedürftig sind (relative Pflichtteilsberechtigte), Art. 28 Abs. 2 ErbG FBuH, Art. 29 Abs. 2 ErbG RS Art. 32 Abs. 2 ErbG BD BuH.[76]

 

Rz. 93

Die zweite Pflichtordnung ist enger als die zweite gesetzliche Erbordnung. Dazu gehören nur der Ehegatte, falls er der alleinige Erbe innerhalb der ersten Ordnung geblieben ist, die Eltern des Erblassers und deren Kinder bzw. Geschwister des Erblassers. Der Ehegatte ist auch hier absoluter Pflichtteilsberechtigter; dagegen steht der Pflichtteil den Eltern und den Brüdern und Schwestern des Erblassers nur zu, wenn sie dauerhaft erwerbsunfähig und bedürftig sind, Art. 28 Abs. 2 ErbG FBuH, Art. 29 Abs. 2 ErbG RS, Art. 32 Abs. 2 ErbG BD BuH. Die Kinder oder weitere Abkömmlinge der Geschwister des Erblassers sind unter keiner Bedingung Pflichtteilsberechtigte.

[76] In der Republik Srpska, wie früher in der Sozialistischen Republik BuH, ist die gesetzliche Bestimmung über die Aufzählung der Pflichterben unglücklich konstruiert. Die Lehre war bereits damals einstimmig, dass diese Bestimmung trotz fehlerhafter Redaktion auf die oben erwähnte Art und Weise auszulegen ist. Siehe Blagojević, S. 215; Bago/Traljić/Petrović/Povlakić, S. 60. In der Föderation BuH und im Brčko Distrikt BuH wurde dieser redaktionelle Fehler korrigiert.

3. Umfang des Pflichtteils

 

Rz. 94

Die Höhe des Pflichtteils errechnet sich nach dem gesetzlichen Erbteil. Den absoluten Pflichtteilsberechtigten (Ehegatte, leibliche Kinder und volladoptierte Kinder) ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil vorbehalten. Der Pflichtteil anderer Pflichtteilberechtigten (relative Pflichteilberechtigte) beläuft sich auf ein Drittel ihres gesetzlichen Erbteils, Art. 29 Abs. 2 ErbG FBuH, Art. 30 Abs. 2 ErbG RS Art. 33 Abs. 2 ErbG BD BuH.

4. Schutz des Pflichtteils

a) Erbschaftsrechnungswert

 

Rz. 95

Den Pflichtteilsberechtigten sollte nicht nur ein bestimmter Anteil an der Erbschaft, sondern auch ein bestimmter Wert dieses Anteils garantiert werden. Zu diesem Zweck wird ein Erbschaftsrechnungswert errechnet. Dieser wird in der Weise berechnet, dass auf den reinen Nachlass (Nachlass abzüglich aller Kosten, wie z.B. Verfahrenskosten, Nachlasssicherungskosten, Beerdigungskosten, Testamentsvollstreckungskosten, und aller Pflichten) der Wert bestimmter Schenkungen, welche der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, angerechnet wird. In Betracht kommen die Schenkungen des Erblassers an gesetzliche Erben unabhängig von der Zeit der Schenkung, auch wenn diese ihren Anteil ausgeschlagen haben, sowie Schenkungen an Dritte Personen innerhalb des letzten ...

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