Rz. 1

Die Quellen des internationalen Erbrechts bzw. des Erbrechts im Allgemeinen sind im Bosnischen und Herzegowinischen Recht spezifisch aufgrund der spezifischen verfassungsrechtlichen Ordnung Bosnien und Herzegowinas. Als selbstständiger Staat existiert Bosnien und Herzegowina seit 1992 nach der Abspaltung Bosnien und Herzegowinas von dem ehemaligen Jugoslawien.[1] Die Unabhängigkeitserklärung löste Aggression und Krieg in Bosnien und Herzegowina aus, die durch das Daytoner Friedensabkommen beendet wurden.[2] Annex 4 zu diesem Abkommen stellt die aktuelle Verfassung Bosnien und Herzegowinas dar. Nach dieser Verfassung besteht Bosnien und Herzegowina aus zwei Entitäten – der Föderation Bosnien und Herzegowina (nachfolgend auch: FBuH) und der Republik Srpska (nachfolgend auch: RS). Das Gebiet um die Stadt Brčko wurde durch die Entscheidung der internationalen Arbitrage zum Brčko Distrikt Bosnien und Herzegowinas erklärt (nachfolgend auch: BD BuH), der mit umfassenden gesetzgeberischen Zuständigkeiten ausgestattet ist. Die drei Teile Bosnien und Herzegowinas haben diese Kompetenzen im Bereich des Erbrechts wie folgt auch genutzt:

In der Föderation BuH gilt seit 2014 ein neues Erbgesetz, das sowohl das materielle Recht als auch das Verfahrensrecht regelt: das Erbgesetz der Föderation BuH (nachfolgend: ErbG FBuH).[3]
In der Republik Srpska wurden zwei Gesetze verabschiedet: das Erbgesetz der Republik Srpska (nachfolgend: ErbG RS),[4] welches das materielle Erbrecht regelt, und das Außerstreitverfahrensgesetz (nachfolgend: AußstVG RS), welches das Nachlassverfahren regelt.[5]
In dem Brčko Distrikt BuH wurden dann im Jahre 2017 das bislang geltende Gesetz über Außerstreitverfahren[6] und das alte Erbgesetz der Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina vom 19.7.1973, das ursprünglich in ganz BuH galt, durch ein neues Erbgesetz (nachfolgend: ErbG BD BuH)[7] ersetzt. Auch dieses Gesetz (Geltung ab April 2018) regelt sowohl das materielle Erbrecht als auch das Verfahrensrecht und ist fast identisch mit dem ErbG FBuH.
 

Rz. 2

Das internationale Privatrecht bzw. internationale Erbrecht ist in Bosnien und Herzegowina primär durch das "Gesetz zur Lösung von Gesetzeskollisionen mit den Vorschriften anderer Staaten bezüglich bestimmter Verhältnisse" (Zakon o rješavanju sukoba zakona sa propisima drugih zemalja – nachfolgend: IPRG) geregelt.[8] Es handelt sich um ein Gesetz des ehemaligen Jugoslawien, das in Bosnien und Herzegowina nach der Unabhängigkeitserklärung übernommen worden ist und bis heute angewendet wird.[9] Obwohl dieses Gesetz im gesamten Bosnien und Herzegowina angewendet wird, ist die Grundlage hierfür unterschiedlich und spiegelt den komplexen Staatsaufbau Bosnien und Herzegowinas, der mit dem Daytoner Friedensabkommen festgelegt wurde, wider:

In der Föderation BuH ist es zur Übernahme einzelner Gesetze des ehemaligen Jugoslawien gekommen, darunter auch des IPRG.[10]
Dagegen bestimmt in der Republik Srpska Art. 12 des Verfassungsgesetzes zur Durchführung der Verfassung der Republik Srpska aus dem Jahr 1992, dass alle Gesetze des ehemaligen Jugoslawien weiterhin in der Republik Srpska angewendet werden, somit auch das IPRG.[11]
Das Statut des Brčko Distrikts BuH sieht vor, dass alle bisher geltenden Gesetze gemäß der Entscheidung des Supervisors für Brčko Distrikt Bosnien und Herzegowinas vom 4.8.2006 weiter als Gesetze des Distrikts gelten.[12]

Auf die beschriebene Weise gilt das IPRG des ehemaligen Jugoslawien noch immer in unveränderter Form in allen Teilen von BuH. Eine Reform des IPRG ist noch nicht geplant, obwohl dies zweifellos in mancher Hinsicht notwendig wäre.[13]

[1] Die Unabhängigkeit wurde am 1.3.1992 erklärt.
[2] Am 21.11.1995 wurde in Dayton das Friedensabkommen paraphiert und am 14.12.1995 in Paris unterzeichnet.
[3] Amtsblatt der Föderation BuH [Službene novine FBiH] 80/2014.
[4] Amtsblatt der Republik Srpska [Službeni glasnik RS] 1/2009, 55/2009, 91/2016.
[5] Amtsblatt der Republik Srpska [Službeni glasnik RS] 36/2009, 91/2016.
[6] Amtsblatt des Brčko Distrikts BuH [Službeni glasnik BD BuH] 5/2001.
[7] Amtsblatt des Brčko Distrikts BuH [Službeni glasnik BD BuH] 36/2017.
[8] Amtsblatt der Föderativen Sozialistischen Republik Jugoslawien [Službeni list SFRJ], 43/1982, 72/1982. Deutsche Übersetzung: Lipowscheck, S. 544–567.
[9] Die gleiche Situation gab es in anderen Nachfolgestaaten nach der Abspaltung von dem ehemaligen Jugoslawien. Inzwischen wurden in Slowenien, Mazedonien, Kroatien und Montenegro neue IPR-Gesetze verabschiedet.
[10] Das IPRG wurde durch die Verordnung mit Gesetzeskraft in die Rechtsordnung Bosnien und Herzegowinas (damals Republik Bosnien und Herzegowina) übernommen (Amtsblatt der Republik BuH [Službeni list RBiH] 2/1992), die später durch das Gesetz über die Bestätigung der Verordnungen mit Gesetzeskraft (Amtsblatt der Republik BuH [Službeni list RBiH] 13/1994) als Gesetz bestätigt wurde.
[11] Amtsblatt der Republik Srpska [Službeni glasnik RS] 21/1992.
[12] Art. 7...

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