Rn 1

Betriebsverfassungsrechtlich war es bislang unerheblich, ob Betriebsänderungen im Zusammenhang mit einer Insolvenz durchgeführt wurden. Das Betriebsverfassungsgesetz galt uneingeschränkt.[1]

Diese Rechtslage ist durch die Insolvenzordnung modifiziert worden. Zwar hat der Insolvenzverwalter den Betriebsrat nach wie vor über die geplante Betriebsänderung umfassend zu unterrichten und mit ihm zu beraten (§ 111 Satz 1 BetrVG). Das Vermittlungsverfahren nach § 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist jedoch durch § 121 verkürzt worden und unter den Voraussetzungen des § 122 kann bei dem Interessenausgleich das Einigungsstellenverfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG auch ganz entfallen.

Das Verfahren nach § 122 ist allerdings – wie in der dortigen Kommentierung ausgeführt wird – an enge Voraussetzungen geknüpft und für den Verwalter mit nicht unerheblichen Risiken verbunden. Das "traditionelle" Interessenausgleichsverfahren nach § 112 BetrVG wird daher auch nach Einführung der Insolvenzordnung seinen Stellenwert behalten.

Mit dem Betriebsrat ist in Verhandlungen über einen Interessenausgleich einzutreten, sobald eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG geplant ist.

[1] BAG 13.12.1978 AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, 267; Lakies, BB 1999, 206.

1. Allgemeine Voraussetzungen einer betriebsverfassungsrechtlich relevanten Betriebsänderung

 

Rn 2

Die allgemeinen Voraussetzungen einer Betriebsänderung sind in § 111 Satz 1 BetrVG geregelt. Danach erhält eine Betriebsänderung nur bei einer Betriebsgröße von in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, betriebsverfassungsrechtliche Relevanz.

1.1 Betrieb und Betriebsgröße

 

Rn 3

Anknüpfungspunkt für die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei Betriebsänderungen ist nicht das Unternehmen, das rein wirtschaftliche Zwecke verfolgt, sondern der Betrieb. Der Betrieb im Sinne des § 1 BetrVG wird definiert als "die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und materiellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen".[2] Ein selbständiger Betrieb liegt immer dann vor, wenn die menschliche Arbeitskraft durch einen einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird.[3]

 

Rn 4

Für die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung von Nebenbetrieben und Betriebsteilen gilt § 4 BetrVG.

Im Gegensatz zu Betriebsteilen sind Nebenbetriebe organisatorisch selbständige Betriebe, die unter eigener Leitung auch einen eigenen Betriebszweck verfolgen, also alle Voraussetzungen eines Betriebes erfüllen, jedoch in ihrer Aufgabenstellung meist auf Hilfeleistung für einen Hauptbetrieb ausgerichtet sind und den dort erstrebten Betriebszweck unterstützen.[4] Anders als Betriebsteile sind Nebenbetriebe betriebsverfassungsrechtlich selbständig, es sei denn, sie beschäftigen in der Regel weniger als fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer. In diesem Fall sind sie dem Hauptbetrieb zuzuordnen (§ 4 Satz 2 BetrVG).

Betriebsteile sind nur dann als selbständige Betriebe anzusehen, sofern sie in der Regel mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer ständig beschäftigen, sie räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind (§ 4 Satz 1 BetrVG).

 

Rn 5

Bei der Berechnung der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer werden nur Arbeitnehmer im Sinne der §§ 5 Abs. 1, 6 BetrVG berücksichtigt. Leitende Angestellte gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG sind in die Berechnung ebenso wenig einzubeziehen wie auf der Grundlage eines Werkvertrags beschäftigte freie Mitarbeiter. Mitzuzählen sind demgegenüber Teilzeitbeschäftigte sowie aufgrund befristeter Verträge Beschäftigte.[5]

 

Rn 6

Mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer sind in einem Betrieb beschäftigt, wenn mindestens 21 Arbeitnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 7 BetrVG), tatsächlich in ihm arbeiten.[6] Bei der Ermittlung der Zahl der regelmäßig Beschäftigten ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG[7] von dem Zeitpunkt auszugehen, in dem die fraglichen Beteiligungsrechte des Betriebsrates entstehen. Allerdings ist hierfür nicht entscheidend, wie viele Arbeitnehmer dem Betrieb zufällig zu dieser Zeit angehören. Vielmehr ist auf die normale Zahl der Beschäftigen abzustellen, also auf die Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Dies erfordert regelmäßig sowohl einen Rückblick als auch eine Prognose. Im Fall einer Betriebsstilllegung kann allerdings nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage kommen.[8]

 

Rn 7

Wie weit dieser Rückblick in die Vergangenheit zu reichen hat, hängt von den Gegebenheiten ab, die im Einzelfall die Entwicklung des Betriebs kennzeichnen. Zum einen enthält der Begriff "in der Regel" ein zeitliches Element, so dass für einen als normal anzusehenden Personalbestand eine gewisse Dauer zu fordern ist. Zum anderen hängt die Beurteilung, welche Belegschaftsstärke für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist, auch von den personalwirtsch...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge