Rn 11

Sofern ein gemeinsamer Vertreter für die Schuldverschreibungsgläubiger bis zur Verfahrenseröffnung noch nicht bestellt ist, hat das Insolvenzgericht von Amts wegen zum Zweck seiner Bestellung eine Gläubigerversammlung einzuberufen (§ 19 Abs. 2 Satz 2). Insoweit knüpft die Vorschrift an § 18 Abs. 3 SchVG 1899 an, der einen ähnlichen Regelungsgehalt aufwies. Anders als nach dem SchVG 1899 besteht nach § 19 Abs. 2 Satz 2 die Einberufungspflicht für das Insolvenzgericht aber auch dann, wenn es die Anleihegläubiger vor Verfahrenseröffnung bereits abgelehnt hatten, einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen.[16] Diese gesetzliche Änderung dürfte damit zusammenhängen, dass – auch wenn die Gläubiger zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nicht verpflichtet sind – der Gesetzgeber die Vertreterbestellung in aller Regel als wünschenswert erachtet.[17]

Haben die Anleihegläubiger schon vor Verfahrenseröffnung einen gemeinsamen Vertreter bestellt, besteht eine Einberufungspflicht für das Insolvenzgericht nicht. Gerichtlich noch nicht geklärt ist hingegen die Frage, ob die Pflicht zur Einberufung der Gläubigerversammlung auch dann entfällt, wenn die Anleihegläubiger nach Insolvenzeröffnung, aber noch bevor das Insolvenzgericht die Versammlung einberuft, einen gemeinsamen Vertreter bestellen. Sinn und Zweck von § 19 Abs. 2 Satz 2 dürften dafür streiten, dass in dieser Konstellation die Einberufungspflicht entfällt.[18] Ebenfalls noch offen ist, ob die "Bestellung" des gemeinsamen Vertreters nur meint, dass es einen Bestellungsbeschluss und die Annahmeerklärung der gewählten Person gibt, oder ob es auch erforderlich ist, dass der Bestellungsbeschluss vollziehbar ist (vgl. § 21 Abs. 2). Die h.M. spricht sich richtigerweise für letztere Auffassung aus, da der gemeinsame Vertreter die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht wahrnehmen kann, wenn der Bestellungsbeschluss nicht vollziehbar ist.[19]

[16] Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169 ff.
[17] Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 16/12814, S. 25. Soweit es dort heißt, "Im Gesetz kommt aber zum Ausdruck, dass dies … wünschenswert wäre", kann dem nicht gefolgt werden. Das Gesetz selbst äußert sich in diesem Sinne nicht.
[18] Zum Streitstand: Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169 ff. m.w.N.
[19] Ausführlich: Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169 ff. m.w.N.; anders Rüberg, Die Anleihe in der Insolvenz, S. 136, die danach differenziert, ob bis zur Insolvenzeröffnung bereits Anfechtungsklage gegen den Bestellungsbeschluss erhoben wurde.

4.1 Art, Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung

 

Rn 12

Zum Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters hat das Insolvenzgericht eine Präsenzgläubigerversammlung einzuberufen, eine Abstimmung ohne Versammlung (§ 18) reicht nicht aus. Anders als noch nach § 18 Abs. 4 SchVG 1899 können weder der Insolvenzverwalter noch der Gläubigerausschuss (bzw. eine Gläubigerminderheit i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 2) oder eine Aufsichtsbehörde vom Insolvenzgericht die Einberufung der Versammlung verlangen.

 

Rn 13

Aus dem Umstand, dass das Insolvenzgericht die Versammlung einberuft (§ 19 Abs. 2 Satz 2) und auch leitet, folgt zugleich, dass im Rahmen eines laufenden Insolvenzverfahrens eine Durchführung der Gläubigerversammlung außerhalb des deutschen Staatsgebiets nach § 11 Satz 2 nicht in Betracht kommt.[20]

 

Rn 13a

Die Einberufung der Gläubigerversammlung richtet sich nach den Vorschriften des SchVG. Das gilt namentlich für § 10 Abs. 1 (Mindesteinberufungsfrist von 14 Tagen), § 10 Abs. 2 und 3 (Legitimationsnachweise) und §§ 12, 13 (Formalien der Einberufung).[21] Allerdings muss das Insolvenzgericht keine Beschlussvorschläge, insb. für die Wahl einer bestimmten Person zum gemeinsamen Vertreter unterbreiten. Etwas anderes wäre mit der Neutralitätspflicht des Gerichts nicht vereinbar. Angesichts dessen wird das Gericht allenfalls die ihm bekannten Kandidaten für die Vertreterwahl mit der Einberufung bekanntmachen.[22]

Auf die Durchführung der Gläubigerversammlung findet hingegen nicht das SchVG Anwendung. Stattdessen gelten die Vorschriften der InsO.[23]

[20] So auch Cranshaw, BKR 2008, 504 (510).
[21] Hierzu auch FK-Friedl, § 19 SchVG Rn. 26; Thole, ZIP 2014, 293 (296).
[22] Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169 ff. m.w.N.
[23] BGH, Urt. v. 16.11.2017, IX ZR 260/15, NZI 2018, 133; Fischer, WM 2018, 1529; Gloeckner/ Bankel, ZIP 2015, 2393; a.A.: Vogelmann/Käppler, ZInsO 2018, 2169 ff. (Geltung des SchVG).

4.2 Zeitpunkt der Einberufung

 

Rn 14

Auf die Frage, wann das Gericht die Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger einzuberufen hat, findet sich im Gesetz keine Antwort. Es wird insbesondere – anders als noch in § 18 Abs. 3 Halbsatz 1 SchVG 1899 – keine unverzügliche Einberufung verlangt.[24] Hieraus könnte man im Umkehrschluss entnehmen, dass die Einberufung nicht ohne schuldhaftes Zögern nach Insolvenzeröffnung zu erfolgen hat. Hierfür könnte auch die Tatsache sprechen, dass das Gesetz, obwohl es an mehreren anderen Stellen[25] unverzügliches Handeln verlangt, dies in § 19 Abs. 2 Satz 2 nicht fordert. Dennoch wird im Schrifttum[26] mit Recht vom Insolv...

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