Rn 1

Wenn in Deutschland ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, obwohl in einem anderen Mitgliedstaat bereits ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners anhängig ist (etwa aus Unkenntnis des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens oder weil das deutsche Insolvenzgericht irrtümlich eine Zweigniederlassung als Hauptniederlassung gewertet hat[1]), so darf gemäß Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 2 EGInsO dieses Verfahren nicht fortgesetzt werden. Es ist nach Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 1 EGInsO von Amts wegen einzustellen.

 

Rn 2

Auf die Einstellung findet § 215 InsO (mit Ausnahme des § 215 Abs. 2 InsO, vgl. Art. 102 § 4 Abs. 3 Satz 4 EGInsO) entsprechende Anwendung. Damit wird sichergestellt, dass das ausländische Insolvenzverfahren in Deutschland eine erste öffentliche Bekanntmachung findet.[2] Das Insolvenzgericht hat gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1, §§ 31-33 InsO die dort genannten Register zu informieren, so dass dort der Insolvenzvermerk gelöscht werden kann.[3]

 

Rn 3

Bevor der deutsche Insolvenzverwalter wegen der Einstellung seines Verfahrens sein Amt verliert, muss er gemäß § 209 InsO analog die im Inland begründeten Masseverbindlichkeiten berichtigen.[4] Die Berichtigung muss im Interesse der deutschen Massegläubiger erfolgen, weil sie ihre Vorzugstellung im ausländischen Verfahren eventuell nicht geltend machen können.[5]

 

Rn 4

Vor der Einstellung soll das deutsche Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter, den Schuldner und – gegebenenfalls – den Gläubigerausschuss hören, Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 2 EGInsO. Die funktionelle Zuständigkeit liegt bei dem Richter, nicht bei dem Rechtspfleger, vgl. § 19a Nr. 1 RPflG.[6]

 

Rn 5

Die Einstellung des deutschen Hauptinsolvenzverfahrens greift trotz der Möglichkeit, ein deutsches Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen, in die Rechte der Gläubiger ein.[7] Sie haben deshalb gemäß Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 3 EGInsO eine Beschwerdebefugnis. Diesbezüglich ist das statthafte Rechtsmittel die sofortige Beschwerde, dies ergibt sich aus der analogen Anwendung des § 216 Abs. 1 InsO.[8]

[1] Wimmer, Einpassung der EU-Insolvenzverordnung in das deutsche Recht durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, in: Gerhardt/Haarmeyer/Kreft, Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für Hans-Peter Kirchhof, S. 521 (526).
[2] Wimmer, a. a. O; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301 f.
[3] Wimmer, a. a. O.; Nerlich/Römermann-Commandeur, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 3.
[4] MünchKomm-Reinhart, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 9; Andres/Leithaus/Dahl, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 2.
[5] Wimmer, a. a. O., 521 (527); Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301 (303); HK- Stephan, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 5.
[6] BGH, Beschl. v. 29.05.2008, IX ZB 102/07, NZI 2008, 572 (574); BGH, Beschl. v. 29.05.2008, IX ZB 103/07, BeckRS 2008, 12737.
[7] MünchKomm-Reinhart, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 8. 8 Nerlich/Römermann-Commandeur, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 6. 9 Pannen-Frind, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 6; FK-Wenner/Schuster, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 2.
[8] RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BT-Drs. 15/16, S. 15.

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