Rn 1

Durch Art. 1 Nr. 16 des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13.4.2007[1] ist der letzte Teilsatz von § 99 Abs. 1 Satz 1 neu gefasst worden. Nach Art. 3 Nr. 2 dieses Gesetzes (= § 103c Abs. 1 EGInsO) sind auf Insolvenzverfahren, die vor dem 1. Juli 2007 eröffnet worden sind, mit wenigen Ausnahmen (zu denen § 99 nicht gehört) die bis dahin geltenden Vorschriften weiter anzuwenden. Welche praktische Bedeutung die Änderung im Wortlaut des § 99 Abs. 1 Satz 1 hat, wird unten bei Rn. 11 behandelt.

Schon nach § 121 KO bestand die Möglichkeit, gegen den Schuldner eine Postsperre anzuordnen. Dieses Instrument stellt insbesondere in der Anfangsphase eines Verfahrens für den Verwalter oftmals eine unverzichtbare Quelle für Ermittlungen nach dem Verbleib von Vermögensgegenständen dar, vor allem solange sich der Schuldner noch nicht auf diese Beschränkung einrichten konnte. Die gegen § 121 KO vereinzelt immer wieder vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 GG wurden vom Bundesverfassungsgericht für unbegründet erklärt.[2] Insbesondere genügte die Fassung der konkursrechtlichen Vorschrift dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten gesetzlichen Bestimmtheitsgebot. Dies war bei der rudimentären Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 GesO schon eher zweifelhaft.

Den gegen die bisherigen Regelungen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken und den von der Rechtsprechung zu diesen Regelungen entwickelten Anwendungsgrundsätzen genügt die ausführliche Vorschrift des § 99, in der nunmehr auch die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu erfüllenden Mindestanforderungen gesetzlich konkretisiert wurden. Gleichwohl war auch diese Vorschrift im Gesetzgebungsverfahren nicht unumstritten. So war noch nach dem Regierungsentwurf einer Insolvenzordnung in dem entsprechenden § 112 RegEInsO vorgesehen, dass der Verhängung einer Postsperre zwingend die Anhörung des Schuldners vorauszugehen habe. Mit Rücksicht auf die mit einer solchen "Warnung" des Schuldners verbundene praktische Entwertung dieser Sicherungsmaßnahme hat der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren zutreffend verlangt, dass die Postsperre im Einzelfall auch ohne vorherige Anhörung des Schuldners verhängt werden kann. Dieser Argumentation hat sich dann die Bundesregierung dem Grunde nach angeschlossen, jedoch wiederum einige Einschränkungen vorgenommen, um zu verhindern, dass sich die Postsperre als Regelfall herausbildet.[3] Auf Initiative des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages wurde dann das Instrumentarium der vorherigen und nachträglichen Anhörung des Schuldners mit Rücksicht auf die praktischen Bedürfnisse flexibler gestaltet und die Vorschrift in ihre jetzige Form gebracht.

 

Rn 2

Diese Sicherungsmaßnahme kann nicht nur bei natürlichen Personen, sondern auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit angewandt werden. Bei juristischen Personen und Personengesellschaften wird das Bedürfnis nach einer Postsperre verschiedentlich als gering bezeichnet oder ganz verneint, da geschäftliche Schreiben (eine Privatsphäre und Privatpost gibt es bei diesen Gebilden ja nicht) wegen des Verwaltungsrechts nach § 80 Abs. 1 "im Insolvenzverfahren auch ohne die Anordnung einer Postsperre dem Insolvenzverwalter zugehen und von ihm geöffnet werden dürfen"[4] Indessen ist es zweierlei, ob ein Insolvenzverwalter darauf angewiesen ist, dass Schreiben, die etwa in seiner Abwesenheit im Betrieb des Insolvenzschuldners eingehen, ihm auch vorgelegt werden, oder ob ein Postunternehmen veranlasst wird, die Schreiben von vornherein an eine vom Insolvenzverwalter gewünschte Adresse umzuleiten. Das Letzte ist schwerlich von § 80 Abs. 1 gedeckt[5] (ganz abgesehen von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Außerdem können bei juristischen Personen und Personengesellschaften Postsperren nach § 101 Abs. 1 Satz 1 auch gegen Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners verhängt werden.[6] Dagegen kann eine Postsperre gegen ausgeschiedene Vertretungs- und Aufsichtsorgane sowie gegen Angestellte des Schuldners nicht angeordnet werden. Grundsätzlich kommt § 99 über die generelle Verweisungsvorschrift in § 270 auch für das Verfahren einer insolvenzrechtlichen Eigenverwaltung des Schuldners zur Anwendung, jedoch soll in diesem Fall die Verhängung einer Postsperre nicht angebracht sein.[7] Ungeachtet dieser Zweckmäßigkeitserwägungen dürfte sie aber gleichwohl im Einzelfall zulässig sein, soweit die in § 99 Abs. 1 normierten Voraussetzungen vorliegen.[8]

 

Rn 3

§ 99 gilt i.V.m. § 101 Abs. 1 Satz 1 nunmehr ausdrücklich auch für das Insolvenzeröffnungsverfahren; vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 4[9]. Bereits vor dieser gesetzlichen Klarstellung ging der Gesetzgeber von einer Zulässigkeit der Verhängung einer vorläufigen Postsperre nach der Generalklausel des § 21 Abs. 1 aus.[10] Um dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheits...

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