Rn 8

Wie bei zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht fälligen Forderungen wird auch bei nicht auf Geld gerichteten Individualansprüchen von Insolvenzgläubigern nicht die lediglich zur Erleichterung des Forderungsfeststellungsverfahrens geltende Umrechnungsvorschrift des § 45 angewandt. Damit sollten systemwidrige Wertungswidersprüche vermieden werden, die sich oft zufällig daraus ergaben, wem nun gerade der Naturalanspruch und wem der Geldanspruch zustand.[33] Gleichzeitig sollte in Anlehnung an die allgemeinen Vorschriften das Vertrauen des Insolvenzgläubigers auf das zukünftige Entstehen einer Aufrechnungslage geschützt werden. Insofern erscheint die getroffene Regelung mit Blick auf die künftige Gleichartigkeit der sich aufrechenbar gegenüberstehenden Forderungen fragwürdig. Wie Häsemeyer[34] zutreffend feststellt, verwandeln sich Individualansprüche in Geldforderungen meist aufgrund atypischer, nicht vertrauensschutzwürdiger Voraussetzungen. So könnte zumindest nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 1 Satz 1 der gezielte Vertragsbruch dem Insolvenzgläubiger erst eine unter Vertrauensgesichtspunkten geschützte Aufrechnungslage verschaffen, indem er die ihm obliegende Naturalleistung aus einem Schuldverhältnis mit dem Insolvenzschuldner nachhaltig verweigert, bis sich seine Verbindlichkeit in einen Geldanspruch umgewandelt hat, gegen den er nunmehr mit seiner eigenen, auf Geld gerichteten Insolvenzforderung aufrechnen kann. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein derartiges Vorgehen schutzwürdiges Vertrauen auf die sich daraus ergebende Aufrechnungslage entstehen lassen kann. Vielmehr wird man dieses Vorgehen als unzulässige Rechtsausübung nach § 242 BGB anzusehen haben, wenn man den Anwendungsbereich des § 95 Abs. 1 Satz 1 nicht schon durch eine teleologische Reduktion einschränkt. Im Übrigen wird dieser Regelungsfall in der Insolvenzpraxis keine große Bedeutung erlangen. Zu dem Fall, dass sich der Freistellungsanspruch eines Bürgen (oder sonstigen Drittsicherers) gegen den Hauptschuldner bei einer Gläubigerbefriedigung während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners in einen Zahlungsanspruch gegen diesen verwandelt, also mit etwaigen Zahlungsansprüchen des Hauptschuldners gegen den Bürgen gleichartig wird, siehe schon oben Rn. 5: Hier lässt sich eine Aufrechnungsbefugnis des Bürgen ebenso damit begründen, dass mit der Gläubigerbefriedigung der zunächst "rechtsbedingte" Regressanspruch = Zahlungsanspruch unbedingt geworden ist. Wenn aber der Gläubiger erst nach Durchsetzbarkeit der Forderung des Hauptschuldners befriedigt wird, scheitert die Aufrechnung nach beiden Begründungen an § 95 Abs. 1 Satz 3.

[33] Vgl. Rn. 1 sowie BegrRegE, in: Kübler/Prütting, Bd. I, S. 276 erster Absatz.
[34] Häsemeyer, Rn. 19.25; ders., in: Kölner Schrift, S. 645 (653 f. Rn. 26): mit dem Wort "nur" statt – wie hier – "meist" operierend; ebenso Kübler/Prütting-Lüke, § 95 Rn. 36; Dieckmann, in: Leipold, Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 211 (228); ähnlich wie hier differenzierend MünchKomm-Brandes, § 95 Rn. 32.

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