Rn 39

Dass ein Darlehen in der Krise die Befriedigungsaussichten der Gesellschaftsgläubiger verschlechtert, stimmt zwar im Regelfall, durchaus aber nicht immer. Gewährt beispielsweise ein Gesellschafter der Gesellschaft ein Darlehen am Tag vor der Insolvenzeröffnung, dann stellen sich die Gesellschaftsgläubiger hierdurch in aller Regel besser als ohne die Darlehensgewährung. Dennoch wird der Zusammenhang zwischen Darlehensgewährung und Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen von der ganz h.M. unwiderleglich vermutet. Mit dem Einwand, dass durch die Kreditgewährung den Gläubigern überhaupt kein Nachteil entstanden sei, wird der Gesellschafter im Zusammenhang mit der Finanzierungsfolgeverantwortung daher grundsätzlich nicht gehört.[143] Hiervon gibt es jedoch im Einzelfall Ausnahmen.

[143] BGHZ 133, 298, 306; Scholz-K. Schmidt, §§ 32a, 32b Rn. 69.

3.3.2.1 Der Überbrückungskredit

 

Rn 40

In früheren Entscheidungen hat der BGH – in Form von obiter dicta – ausgesprochen, dass "ganz kurzfristige Überbrückungskredite" nicht dem Kapitalersatzrecht unterfallen.[144] Bei einem Überbrückungskredit handelt es sich um ein Darlehen, das der Gesellschaft zur Überbrückung eines nur kurzfristigen Finanzbedarfs gewährt wurde. Für die Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die subjektive Einschätzung des Gesellschafters, sondern darauf an, ob mit der kurzfristigen Ablösung des Kredits objektiv zu rechnen war. Diese Ausnahme wird in der Literatur zum Teil heftig, in der Sache aber zu Unrecht kritisiert;[145] denn entscheidend für die "wirtschaftliche Gleichsetzung" i.S.d. § 32a Abs. 3 Satz 1 GmbHG ist die Geeignetheit der Hilfe, den "Todeskampf" der Gesellschaft zu verlängern, andere Gläubiger zu täuschen bzw. den Konkurrenzkampf der Gläubiger untereinander zu verschärfen. All dies wird man aber bei einem kurzfristigen Überbrückungskredit – typischerweise – nicht annehmen können. Gleiches gilt für ein cash-management-System innerhalb eines Konzerns, wenn dieses weniger dazu dient, ein strukturelles Liquiditätsproblem auszugleichen als vielmehr eine optimierte Nutzung der bei den Teilnehmern vorhandenen Liquidität zu gewährleisten.[146]

[144] Vgl. BGHZ 75, 334, 337; BGH NJW 1995, 457, 458 [BGH 28.11.1994 - II ZR 77/93]; NJW-RR 1990, 230, 232 [BGH 27.11.1989 - II ZR 310/88]; LG Kiel ZInsO 2001, 326, 327; s. auch Scholz-K. Schmidt, §§ 32a, 32b Rn. 43; Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 34; Jaeger-Henckel, § 32a Rn. 38; Uhlenbruck-Hirte, § 135 Rn. 13.
[145] Hommelhoff/Goette/Kleindiek, Rn. 39; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 36.
[146] Blöse, GmbHR 2002, 675 ff.

3.3.2.2 Das Sanierungsprivileg

 

Rn 41

Der BGH hat ein Sanierungsprivileg im Kapitalersatzrecht stets abgelehnt.[147] In der Literatur wurde diese Rechtsprechung mitunter als sanierungsfeindlich kritisiert.[148] Der Gesetzgeber hat diese Kritik teilweise aufgegriffen und in § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG ein Sanierungsprivileg eingeführt,[149] dass auch im Rahmen des § 135 Anwendung findet.[150] Danach unterfällt der Darlehensgeber, der in der Krise der Gesellschaft Geschäftsanteile zum Zweck der Überwindung der Krise erwirbt, hinsichtlich der bestehenden und der neu zu gewährenden Kredite nicht den Regeln über den Eigenkapitalersatz. Die durch das KonTraG eingeführte Vorschrift soll – so der Gesetzgeber –[151] dem Kreditgeber ermöglichen, in der Krise der Gesellschaft Geschäftsanteile und unternehmerische Kontrolle zu übernehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass seine stehen gelassenen Alt-Kredite, die u.U. gut besichert sind, in eigenkapitalersetzende Gesellschafterleistungen unqualifiziert werden. Zu beachten ist freilich, dass über § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG nicht der Sanierungskredit als solcher, sondern nur der Sanierungskredit in Verbindung mit einem Beteiligungserwerb privilegiert ist.

[147] BGHZ 81, 311, 315; 105, 168, 175; s. auch MünchKomm-Stodolkowitz, § 135 Rn. 22.
[148] Nachweise bei Dörrie, ZIP 1999, 12, 13.
[149] s. hierzu ausführlich v. Gerkan/Hommelhoff-Dauner-Lieb, Rn. 4.9 ff.; MünchKomm-Stodolkowitz, § 135 Rn. 22 ff.
[150] Häsemeyer, Rn. 30.65a; v. Gerkan/Hommelhoff-Dauner-Lieb, Rn. 4.21.
[151] Vgl. Seibert, GmbHR 1998, 309, 310; s. auch Dauner-Lieb, DStR 1998, 1517, 1518 ff.; v. Gerkan/Hommelhoff-Dauner-Lieb, Rn. 4.10 f.

3.3.2.3 Der Kontokorrentkredit

 

Rn 42

Einer Korrektur des sachlichen Anwendungsbereichs bedarf es auch in den Fällen des "Kontokorrentkredits", um die Gläubiger infolge der Finanzierungsfolgenverantwortung nicht über Gebühr besser zu stellen. In der Praxis kommt es mitunter vor, dass es der Gesellschafter – mit oder ohne Stundungsabrede – zulässt, dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten ihm gegenüber (etwa aus einer ständigen Geschäftsbeziehung) fortlaufend verspätet begleicht. Um hier den Umfang der Vermögensbindung zugunsten der Gläubigergesamtheit und die tatsächlich eingetretene Gläubigerbeeinträchtigung in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, nimmt die ganz h.M. eine Gesamtbetrachtung vor. Nicht jede einzelne (stehen gelassene) Forderung wird danach der Vermögensbindung unterworfen, sondern nur die Höhe des durchschnittlich...

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