Rn 34

Eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit – im Hinblick auf den Normzweck des Kapitalersatzrechts – liegt insbesondere bei solchen Gesellschafterleistungen nahe, die – ähnlich wie die Darlehensgewährung – Kreditfunktion haben, d.h. die Liquidität der Gesellschaft stützen und damit letztlich einen Beitrag zur Unternehmensfortführung leisten. Hierzu zählt etwa der Fall, dass der Gesellschafter der Gesellschaft außerhalb der Krise ein Darlehen gewährt, das in der Krise fällig wird und die Vertragsparteien in der Krise der Gesellschaft eine Stundungsabrede treffen.[113] Gleiches gilt, wenn der Gesellschafter – auch ohne ausdrückliche Stundungsvereinbarung – das Darlehen in der Krise einfach stehen lässt, d.h. nicht geltend macht.[114] Stehen lassen in diesem Sinne kann der Gesellschafter nicht nur Ansprüche auf Darlehensrückzahlung, sondern auch Gewinne,[115] Abfindungsguthaben,[116] Gehaltsansprüche oder Forderungen aus sonstigen Geschäften mit der Gesellschaft[117]. Freilich wird man von einem Stehenlassen in diesen Fällen nur dort sprechen können, wo das Belassen der Hilfe über die jeweils verkehrsüblichen Gepflogenheiten hinausgeht (Höchstfrist in alle Regel aber drei Wochen).[118] Der Darlehensgewährung vergleichbar ist auch eine geleistete stille Beteiligungen;[119] denn der (typische) stille Gesellschafter nimmt nach § 236 HGB mit seiner den Anteil am Verlust übersteigenden Einlage als gewöhnlicher Insolvenzgläubiger an der Insolvenz der Gesellschaft teil. Damit unterscheidet sich die typische stille Einlage – wirtschaftlich gesehen – nicht von einem Kredit. Eine vergleichbare Kreditfunktion wie die Darlehensgewährung hat auch das unechte Factoring, bei dem der Gesellschafter zwar eine Forderung der Gesellschaft erwirbt, jedoch nicht das Risiko der Verwirklichung der Forderung trägt.[120] Gleiches gilt auch, wenn die Mittel einem Treuhandkonto zugeführt werden, das der Treuhänder für die GmbHG führt.[121] Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass im Einzelfall auch eine in der Krise gegebene "bindende Hilfszusage" eine dem Darlehen vergleichbare Gesellschafterleistung darstellt.[122] Mit der Grundannahme, dass das Kapitalersatzrecht lediglich ein Abzugsverbot nicht aber ein Zuführungsgebot statuiert,[123] ist dies freilich kaum vereinbar. Richtiger Ansicht nach können derartige Zusagen allenfalls unter dem Aspekt des gewillkürten Eigenkapitals (siehe oben Rn. 10) erfasst werden.

 

Rn 35

Die Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Kapitalersatzrechts auf andere Gesellschafterleistungen mit Kreditfunktion entbindet freilich nicht davon, die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen des "Grundtatbestands" (siehe oben Rn. 15 ff.) sorgsam zu prüfen. In den Fällen des "Stehenlassens" ist dabei auf das Tatbestandsmerkmal der Finanzierungsentscheidung (siehe oben Rn. 20 ff.) besonderes Augenmerk zu legen. Das betrifft sowohl die objektive als auch die subjektive Seite des Tatbestandsmerkmals. Während in den Fällen der aktiven Kreditgewährung kaum fraglich sein kann, dass dem Gesellschafter die Handlungsalternativen (Fortführung und Liquidation) objektiv zur Verfügung stehen,[124] gilt Gleiches nicht für die der Darlehensgewährung gleichgestellten Fälle des "Stehenlassens". Hier ist – gerade im Hinblick auf die rechtsgeschäftlichen Gestaltungsinstrumente (siehe oben Rn. 21) – besonders zu prüfen, ob der Gesellschafter die Möglichkeit hatte, die außerhalb der Krise gewährte Gesellschafterhilfe in der Krise (durch Kündigung des der Gesellschafterhilfe zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses) wieder abzuziehen.[125] Dies hängt von der Ausgestaltung des der Gesellschafterhilfe zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses ab. Handelt es sich beispielsweise um einen Darlehensvertrag, so steht dem Gesellschafter – wenn sich die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft wesentlich verschlechtert – in aller Regel ein außerordentliches Kündigungsrecht zu (§ 490 BGB). Macht er dieses in der Krise der Gesellschaft nicht geltend, um seine Hilfe abzuziehen, trifft er eine Finanzierungsentscheidung. Die h.M. räumt dem Gesellschafter freilich eine angemessene Zeitspanne für die Entscheidung ein, ob er das Darlehen in der Gesellschaft belassen will.[126]

[113] BGH NJW 1995, 457, 458 [BGH 28.11.1994 - II ZR 77/93]; ZIP 1997, 1375, 1376 [BGH 16.06.1997 - II ZR 154/96]; Roth/Altmeppen, § 32a Rn. 190; Kübler/Prütting-Paulus, § 135 Rn. 24.
[114] Vgl. BGH ZIP 1996, 273, 275 [BGH 11.12.1995 - II ZR 128/94]; ZIP 1994, 1934, 1937 [BGH 07.11.1994 - II ZR 270/93]; ZIP 1993, 311, 317; NJW 1980, 592, 593 [BGH 26.11.1979 - II ZR 104/77]; OLG München ZIP 2002, 1210, 1212; Uhlenbruck-Hirte, § 135 Rn. 22; Scholz-K. Schmidt, §§ 32a, 32b Rn. 31, 47 ff.; Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 143 ff.; Roth/Altmeppen, § 32a Rn. 191.
[115] Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 150.
[116] Rowedder-Pentz, § 32a Rn. 149.
[117] Vgl. BGH NJW 1995, 457, 458 [BGH 28.11.1994 - II ZR 77/93]; Lutter/Hommelhoff, §§ 32a, 32b Rn. 45; Hommelhoff/Goette/Kleindiek, Rn. 91.
[118] BGHZ 121, 31, 41 f...

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