Rn 18

Liegen neben den allgemeinen Prozessvoraussetzungen auch die besonderen Antragsvoraussetzungen vor, erteilt das Arbeitsgericht gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 die Zustimmung, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird. Entsprechend dem Aufbau des Gesetzes hat das Arbeitsgericht in einem ersten Schritt zu prüfen, ob es die wirtschaftliche Lage des Unternehmens erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorgeschaltetes Einigungsstellenverfahren durchgeführt wird. Ist das der Fall, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens dennoch gebietet.[21]

[21] Caspers, Rn. 401.

2.1 Wirtschaftliche Lage des Unternehmens

 

Rn 19

Aus den Gesetzesmaterialien zu § 122 ergibt sich zur Erläuterung dieses Zustimmungskriteriums wenig Erhellendes. Aus der Begründung des Rechtsausschusses[22] ergibt sich lediglich, dass es nicht Aufgabe des Arbeitsgerichts sein soll, zu prüfen, ob die beabsichtigte Betriebsänderung wirtschaftlich sinnvoll ist. Im Vordergrund der arbeitsgerichtlichen Entscheidung stehe die Eilbedürftigkeit der geplanten Maßnahme.

 

Rn 20

Nur eine insolvenzspezifische Auslegung wird dem Merkmal "wirtschaftliche Lage des Unternehmens" gerecht.[23]

Ziel des Insolvenzverfahrens ist es, die Insolvenzgläubiger aus dem Schuldnervermögen gemeinschaftlich zu befriedigen (§§ 1, 35). Dementsprechend ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens aus dem Blickwinkel der Gläubiger zu beurteilen. Deren Interessen gehen dahin, dass die Insolvenzmasse vollständig verwertet werden kann. Für das Arbeitsgericht ergibt sich daher die Fragestellung, welche Nachteile der Insolvenzmasse entstehen, wenn eine Betriebsänderung durch ein Einigungsstellenverfahren verzögert wird.

 

Rn 21

Im Rahmen der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast muss der Insolvenzverwalter daher zunächst vortragen, welche fiktiven Massebelastungen bis zum Abschluss eines Einigungsstellenverfahrens entstehen. Bei einem Produktionsbetrieb wird die Substanziierungspflicht es beispielsweise erfordern, dass der Verwalter den bis dahin prognostizierten Umsatz darlegt, der um den Materialaufwand, die Personal- und sonstigen Kosten zu bereinigen ist. Für den gleichen Zeitraum ist alternativ das Betriebsergebnis darzustellen, das sich bei einer vorzeitigen Umsetzung der geplanten Betriebsänderung errechnet.

Ergibt sich aus einem Vergleich dieser Betriebsergebnisrechnungen, dass die Fortführung des Betriebs ohne Betriebsänderung bis zur Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zu einer nicht unerheblichen Schmälerung der Masse führt, hat das Arbeitsgericht die beantragte Zustimmung zu erteilen. Ein vorgeschaltetes Einigungsstellenverfahren ist mit der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens insbesondere dann nicht zu vereinbaren, wenn die laufenden Betriebskosten von den Einnahmen nicht gedeckt werden können und wenn die Gefahr einer Masseunzulänglichkeit oder der Einstellung des Verfahrens mangels kostendeckender Masse besteht.[24] Wirtschaftliche Belange des Unternehmens sind ebenfalls dann betroffen, wenn die mit der Durchführung des Einigungsstellenverfahrens verbundene Verzögerung der Betriebsänderung eine Betriebsveräußerung gefährdet oder sonstige wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen zur Insolvenzbewältigung verhindert werden oder weniger effizient durchgeführt werden können.[25]

[22] Rechtsausschuss zu § 140 RegE = § 122 InsO, BT-Drucks. 12/7302, S. 171, abgedruckt in: Kübler/Prütting, Bd. I S. 321.
[23] vgl. grundlegend Caspers, Rn. 404.
[24] Giesen, ZIP 1998, 142, 144; Caspers, Rn. 413; Kübler/Prütting-Moll, § 122 Rn. 33.
[25] Caspers, a.a.O.; Kübler/Prütting-Moll, a.a.O.; zu weitgehend Bichelmeier/Oberhofer, AiB 1997, 161, 165, die einen "Konkurs im Konkurs" fordern.

2.2 Soziale Belange der Arbeitnehmer

 

Rn 22

Gebietet die wirtschaftliche Lage des Unternehmens die Durchführung der Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG, hat das Arbeitsgericht in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die sozialen Belange der Arbeitnehmer ein Einigungsstellenverfahren dennoch erfordern. Da das Arbeitsgericht nicht über die Betriebsänderung als solche entscheidet, sondern ausschließlich über den Zeitpunkt ihrer Durchführung, muss es sich um soziale Belange der Arbeitnehmer handeln, die überwiegend für die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens sprechen. Ein solcher relevanter sozialer Belang ist daher nicht darin zu sehen, dass die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens die Realisierung der Betriebsänderung verzögert und infolgedessen die Kündigungstermine der betroffenen Arbeitnehmer hinausgeschoben werden.[26]

Dem Betriebsrat obliegt daher die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass durch Einschaltung der Einigungsstelle sozialverträglichere Lösungen gefunden werden können.[27]

Der Betriebsrat muss dabei Alternativkonzepte darlegen, die den sozialen Belange...

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