Rn 1

Die Normierung des § 56b ist eine Konsequenz der jüngsten gesetzgeberischen Entwicklungen im Bereich des "Konzerninsolvenzrechts" und soll zur Lösung eines auch danach fortbestehenden Kernproblems beitragen.

 

Rn 2

Dieses wird allgemein darin gesehen, dass das Insolvenzrecht nach der InsO wie auch nach vielen ausländischen Insolvenzgesetzen und insbesondere nach der EUInsVO rechtsträgerbezogen konzipiert ist,[1] d.h. nach dem Grundsatz "eine Person, ein Vermögen, eine Insolvenz". Bei mehreren Rechtsträgern ist demnach jeweils ein gesondertes Insolvenzverfahren durchzuführen (sog. Trennungsprinzip).[2] Das gilt selbst dann, wenn mehrere Rechtsträger wirtschaftlich betrachtet ein einheitliches Unternehmen bilden, wie es etwa bei der GmbH & Co KG häufig der Fall ist. Eine rechtsträgerübergreifende "Unternehmensinsolvenz" oder "Gruppeninsolvenz" gibt es neben der einzelnen Rechtsträger- bzw. Gesellschaftsinsolvenz nach geltendem Recht nicht.

 

Rn 3

Die "Konzerninsolvenz", also die Insolvenz einer Unternehmensgruppe bzw. genauer gesagt mehrerer miteinander verbundener Unternehmen verschiedener Gesellschaften ist immer vor dieser Prämisse zu sehen.[3] Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist in solchen Gruppen- oder Konzerninsolvenzen eine effiziente Unternehmensabwicklung oder auch -sanierung im Insolvenzfalle oft nur gesellschafts- bzw. gruppenübergreifend sinnvoll, da unterschiedlichste Verflechtungen der Gruppengesellschaften miteinander bestehen. Dies beginnt mit einem typischerweise zentralisierten Konzernmanagement, einer gruppenübergreifenden Liquiditätsplanung und -steuerung (echtes oder unechtes Cash-Pooling), geht weiter über ein zentralisiertes Beschaffungswesen für die konzernweite Betriebs- und Produktionsmittelversorgung, etwaige enge gruppeninterne Lieferbeziehungen zwischen den einzelnen Gruppengesellschaften (ggf. unter Einbeziehung eines Verrechnungswesens), bis hin zu gesellschaftsübergreifender Produktion, d.h. Teilfertigungen (einzelner Produktkomponenten) in einzelnen Konzerngesellschaften, sowie einem einheitlichen Vertrieb. Dennoch steht ein die Unternehmensgruppe insgesamt, d.h. sämtliche Gruppengesellschaften umfassendes, einheitliches Insolvenzverfahren nach der InsO und EUInsVO nicht zur Verfügung.

 

Rn 4

Diese insolvenzrechtlich strikte Rechtsträgerbezogenheit ist gefestigt und unumstritten, eine Tendenz hin zu einer rechtsträgerübergreifenden "Gruppeninsolvenz" ist auf absehbare Zeit nicht erkennbar. Daher wird für Fälle einer "Konzern- bzw. Unternehmensinsolvenz" stattdessen ermöglicht, die einzelnen Gesellschaftsinsolvenzverfahren innerhalb der Unternehmensgruppe einerseits stärker zu konzentrieren (Stichwort: "Gruppengerichtsstand", § 3a ff.) und andererseits besser aufeinander abzustimmen (Stichwort: Verfahrenskoordination § 269a ff.). Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Verfahrenskoordinierung, auf eine weitergehende formale oder materielle Konsolidierung der Konzerngesellschaftsverfahren wurde allerdings ausdrücklich verzichtet.[4]

 

Rn 5

Im Zuge dieser Bestrebungen hat man auf die Erkenntnis zurückgegriffen, dass eine effektive Koordinierung der formal getrennten lnsolvenzverfahren im Hinblick auf eine Betriebsfortführung, Sanierung und Verwertung auch ohne Einleitung eines Koordinationsverfahrens nach §§ 269a ff. vor allem durch Bestellung nur einer Person als Verwalter der insolventen gruppenangehörigen Unternehmen gewährleistet werden kann.[5] Die Bestellung einer Person zum Insolvenzverwalter für mehrere oder alle Rechtsträger eines Konzerns wurde bereits nach bisherigem Recht als grundsätzlich zulässig angesehen und entsprach – soweit alle Verfahren bei demselben Gericht anhängig waren – einer vielfach geübten Praxis.[6] Allerdings führt dies erfahrungsgemäß regelmäßig zu Interessenkollisionen und damit zu einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Verwalters in einzelnen Verfahren. Um die damit im jeweiligen Einzelfall verbundenen, oftmals sehr komplexen Probleme in den jeweiligen Gruppeninsolvenzverfahren vorab zu prüfen bzw. zu bewerten, normiert die vorliegende Vorschrift nun eine Pflicht der ggf. an verschiedenen Standorten beteiligten Insolvenzgerichte, sich über die Bestellung eines Gruppeninsolvenzverwalters oder einzelner Verwalter in dem jeweiligen Gruppeninsolvenzverfahren zu verständigen, um die Verfahren bestmöglich zu koordinieren.

 

Rn 6

Auf europarechtlicher Ebene ergibt sich eine zur vorliegenden Regelung spiegelbildliche Verpflichtung der Insolvenzgerichte in den einzelnen Mitgliedsstaaten aus Art. 57 der reformierten EUInsVO 2015,[7] die seit 26.06.2017 gilt. Die Koordination der Insolvenzverfahren von Gruppenunternehmen in einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten wurde durch die Einführung eines sog. "Gruppen-Koordinierungsverfahrens" nach Art. 61 ff. EUInsVO gewährleistet. Auf nationaler Ebene wurde – in dieselbe Richtung weisend – durch das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen[8] unterhalb der §§ 269a ff. zur "Koordinierung der...

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