Leitsatz (amtlich)

1. Der Senat schließt sich der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts an, wonach bei der Anwendung des HGB § 142 eine besondere Zurückhaltung geboten ist und die Zubilligung eines Übernahmerechts bei einer umfassenden Berücksichtigung aller Umstände gleichsam das letzte Mittel darstellt, um die aus dem Verhalten des anderen Gesellschafters drohenden Gefahren zu bannen.

2. Als wichtiger Grund im Sinne des HGB § 142 ist nicht nur eine schwerwiegende Gefährdung des Gesellschaftsunternehmens in seiner wirtschaftlichen Ertragsfähigkeit, sondern auch die entscheidende Zerstörung der persönlichen Vertrauensgrundlage unter den Gesellschaftern zu betrachten.

 

Tatbestand

Die Parteien sind Brüder und betreiben in Form einer offenen Handelsgesellschaft das von ihrem Vater ererbte Unternehmen.

Schon bald nach Abschluß des Vertrages kam es zu persönlichen Spannungen zwischen den Parteien. Diese Spannungen erledigten sich zunächst dadurch, daß der Kläger im November 1939 als Soldat einberufen wurde und erst im Jahre 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. In der Zwischenzeit führte der Beklagte das Unternehmen allein weiter. Bald nach der Rückkehr des Klägers in die Heimat lebten aber die Streitigkeiten zwischen den Parteien wieder auf und nahmen schließlich ein solches Ausmaß an, daß der Kläger die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Beklagten durch diesen als gefährdet und schließlich als unmöglich ansah.

Der Kläger ist der Auffassung, daß eine verständige Zusammenarbeit mit dem Beklagten durch dessen schuldhaftes Verhalten unmöglich geworden sei. Er hat daher beantragt, ihn für berechtigt zu erklären, das Geschäft ohne Liquidation mit Aktiven und Passiven zu übernehmen. Zur Begründung seines Klagebegehrens hat er vorgetragen, der Beklagte habe durch ständige maßlose Beschimpfungen, und zwar auch in Anwesenheit von Betriebsangehörigen, seine Gesellschaftspflichten verletzt und durch sein unbeherrschtes, anmaßendes und aufbrausendes Wesen eine Zusammenarbeit völlig unmöglich gemacht; er habe ferner ihn – den Kläger – durch eine beabsichtigte Denunziation bei der Militärregierung, durch einseitige Anweisungen an die Belegschaft, durch bewußt eigenmächtige Entschließungen in grundsätzlichen Fragen der Betriebsführung aus der Geschäftsleitung auszuschließen versucht, er habe ihn Jahre hindurch wirtschaftlich geschädigt, indem er ohne sein – des Klägers – Wissen Firmengelder und Firmeneinrichtungen für persönliche Zwecke verwendete, und schließlich habe er das Ansehen der Firma in der Geschäftswelt durch seine persönliche Lebensweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen, indem er sich immer wieder maßloser Trunkenheit hingegeben und in aller Öffentlichkeit ein ehewidriges oder sogar ehebrecherisches Verhältnis mit der Schwester seiner – des Beklagten – Frau unterhalten habe.

Der Beklagte hat gesellschaftswidriges Verhalten des Klägers in Form von Tätlichkeiten und Beleidigungen, von Eigenmächtigkeiten und ungerechtfertigten Bereicherungsversuchen behauptet und schließlich ausgeführt, daß seine Ausschließung aus dem Fabrikunternehmen eine grobe Unbilligkeit darstelle, wenn man berücksichtige, daß sein Vater im wesentlichen nur durch seine – des Beklagten – Mitarbeit das Fabrikunternehmen zur Höhe gebracht und daß er es selbst allein in der schweren Kriegs- und Nachkriegszeit weiter ausgebaut und vergrößert habe.

Landgericht und Oberlandesgericht haben dem Klagebegehren entsprochen. Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Bei der Anwendung des § 142 HGB knüpft das Berufungsgericht in zutreffender Weise an die in der Rechtsprechung des Reichsgerichts entwickelten und gefestigten Rechtsgrundsätze für die Zubilligung eines Übernahmerechts gemäß § 142 HGB an. Das Übernahmerecht stellt in noch stärkerem Maße als die Ausschließung eines Gesellschafters nach § 140 HGB eine überaus weitgehende Maßnahme mit bedeutsamen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen für den davon betroffenen Gesellschafter dar. Es entspricht dieser Sachlage, wenn das Reichsgericht deshalb bei der Anwendung des § 142 HGB einen strengen Maßstab (RGZ 24, 136 (139)) anlegt und eine besondere Zurückhaltung (RG LZ 1932, 1145) für geboten hält. Die Zubilligung des Übernahmerechts stellt unter diesen Umständen gleichsam das letzte Mittel (RGZ 153, 275 (280)) dar, dessen Anwendung nur dann gerechtfertigt ist, wenn bei Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht andere den Gegner weniger hart treffende Maßnahmen zum Ziele führen. Es muß sich bei der Anwendung des § 142 HGB um Gründe in der Person des anderen Gesellschafters handeln, die schwerwiegender Art sind und bei objektiver Würdigung in entscheidender Form den Fortbestand der Gesellschaften berühren. In diesem Zusammenhang sind die gesamten Umstände des einzelnen Falles umfassend zu berücksichtigen, weil nur auf diese Weise eine billige und gerechte Abwägung nach Lage der Sache möglich ist. Es ist daher im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses auch das Verhalten und die Persönlichkeit des Gesellschafters zu prüfen, der das Übernahmerecht für sich in Anspruch nimmt. Hat sich dieser ebenfalls gesellschaftswidrig verhalten, so wird er sich in der Regel eher einen Verstoß seines Mitgesellschafters gefallen lassen müssen als jemand, der seine Gesellschaftspflichten treu und sorgfältig erfüllt hat (RG JW 1925, 245; HRR 1941, 777). Dabei ist es im wesentlichen eine Frage des tatrichterlichen Ermessens, welches Gewicht etwaigen Verstößen des klagenden Gesellschafters gegenüber den Verstößen des anderen Gesellschafters beizumessen ist. Es kann dabei durchaus der Schluß gerechtfertigt sein, daß diese gegenüber den Verstößen des anderen Gesellschafters völlig in den Hintergrund treten und deshalb die Zubilligung des Übernahmerechts nicht ausschließen (RG DR 1942, 733). Weiterhin ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, ob der klagende Gesellschafter nach seiner Persönlichkeit und nach seinen Fähigkeiten in der Lage ist, das Geschäftsunternehmen allein weiterzuführen (RG HRR 1941, 777). Auf seiten des Gegners kann bei der billigen und gerechten Abwägung der gesamten Umstände zu seinen Gunsten nicht unberücksichtigt bleiben, in welchem Umfange er für den Aufbau und die Fortführung des Unternehmens Geld und Arbeit aufgewendet hat. Dabei ist bei einem Unternehmen der vorliegenden Art auch der Charakter des Familienunternehmens gebührend zu beachten. Führt eine solche die Verhältnisse beider Gesellschafter umfassende Beurteilung der gesamten Umstände des einzelnen Falles zu einer Bejahung des wichtigen Grundes, so ist bei einer Anwendung des § 142 HGB ferner noch zu prüfen, in welcher Weise sich der vorliegende wichtige Grund auf den Bestand des Gesellschaftsverhältnisses ausgewirkt hat. Nur bei einer solchen Prüfung kann die weitere notwendig zu stellende Frage beantwortet werden, ob auch weniger einschneidende Maßnahmen wie etwa der Ausschluß des anderen Gesellschafters von der Geschäftsführung oder eine Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft oder eine stille Gesellschaft in ausreichender Form die aus dem Verhalten des anderen Gesellschafters drohenden Nachteile bannen können (RGZ 146, 169 (180/81); RGZAkDR 1938, 638; HRR 1941, 777).

II. Die Revision glaubt, daß das Berufungsgericht diese bei der Anwendung des § 142 HGB allgemein gebotenen Grundsätze im einzelnen nicht in ausreichendem Maße beachtet habe und überdies bei der Prüfung nach dem Vorliegen eines wichtigen Grundes von einer rechtlich fehlsamen Annahme ausgegangen sei.

1. Die Revision rügt zunächst, daß das Berufungsgericht den Begriff des wichtigen Grundes im Sinne der §§ 142, 140, 133 HGB verkannt habe. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts sei es hierbei nicht schon ausreichend, daß die persönlichen Zerwürfnisse unter den Gesellschaftern ein ersprießliches Zusammenwirken zwischen ihnen unmöglich machten, vielmehr sei es notwendig, daß die Zerwürfnisse den Bestand der Gesellschaft selbst gefährdeten. Eine solche Gefährdung des Gesellschaftsbestandes könne aber im Hinblick auf den Gesellschaftszweck nur dann angenommen werden, wenn der Betrieb des Gesellschaftsunternehmens durch die Zerwürfnisse in Frage gestellt werde. Eine solche Auswirkung habe das Berufungsgericht nicht festgestellt; im Gegenteil, das Handelsunternehmen der Gesellschaft blühe und gedeihe und habe bisher unter den beanstandeten Handlungen des Beklagten in keiner Weise gelitten.

Diesen Ausführungen der Revision kann nicht gefolgt werden. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung OGHZ 2, 254 (260) dargelegt hat, ist es nicht möglich, für die Frage nach dem Bestand einer Personalgesellschaft allein auf den Geschäftserfolg des Unternehmens abzustellen. Die Gesellschaft ist mit dem von ihr betriebenen Unternehmen nicht gleichzusetzen. Die Gesellschaft fußt auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Gesellschafter. Das gedeihliche Zusammenwirken der Gesellschafter zur gemeinsamen Erreichung des Gesellschaftszwecks ist ein wesentliches und notwendiges Erfordernis der Personalgesellschaft. Die Zerstörung des gegenseitigen Vertrauens beseitigt die Grundlage, auf der die Gesellschaft gegründet ist. Es kann daher auch der Geschäftserfolg in dem Unternehmen für den Bestand der Gesellschaft nicht allein entscheidend sein. Im kaufmännischen Alltag spielt bei einem gemeinsam betriebenen Unternehmen neben dem Geschäftserfolg die ersprießliche Zusammenarbeit und die in jedem Zusammenleben und Zusammenwirken gebotene persönliche Rücksichtnahme und persönliche Achtung vor dem anderen eine gewiß ebenso entscheidende Rolle. Das Fehlen einer solchen Zusammenarbeit vermag in ähnlicher Weise wie das Ausbleiben eines Geschäftserfolges den Fortbestand der gemeinsamen Arbeit, dh den gemeinsamen Betrieb des Unternehmens zu gefährden und in Frage zu stellen. Der Bestand einer Personalgesellschaft wird demgemäß nicht nur von den gemeinsamen wirtschaftlichen Zielsetzungen, sondern ebenso auch von den persönlichen Voraussetzungen und dem persönlichen Verhalten der Gesellschafter zu einander bestimmt. Es ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die Zerstörung der Vertrauensgrundlage zwischen den Gesellschaftern, die nach dem festgestellten Sachverhalt durch den Beklagten schuldhaft herbeigeführt ist, als wichtigen Grund für das Übernahmeverlangen des Klägers angesehen hat.

2. In ihren weiteren Ausführungen macht die Revision geltend, daß die vom Berufungsgericht festgestellten Verfehlungen des Beklagten nicht als wichtiger Grund für das Übernahmeverlangen des Klägers angesehen werden könnten.

a) Die Revision wendet sich dabei zunächst gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die festgestellten ehewidrigen Beziehungen des Beklagten zu seiner Schwägerin, zu einer Schwester seiner Frau, als gesellschaftswidrig zu betrachten seien. Für eine solche Annahme genüge, wie die Revision meint, der Hinweis des Berufungsgerichts, daß durch dieses Verhalten der Ruf und das Ansehen der Betriebsleitung herabgesetzt werde, allein nicht. Die Annahme des Berufungsgerichts könne auch nicht mit der Erwägung begründet werden, daß dem Kläger nicht zuzumuten sei, daß der Beklagte durch sein Verhalten den Namen der Parteien in Mißkredit bringe. Das ergebe sich schon daraus, daß der Kläger keinen Anspruch darauf habe, daß der Beklagte ein ehewidriges Verhalten unterlasse. Der Revision ist zuzugeben, daß die Ausführungen des Berufungsgerichts rechtlich nicht ohne weiteres bedenkenfrei erscheinen. Verfehlungen eines Gesellschafters, die sich ihrem Wesen nach in dem persönlichen Lebensbereich eines Gesellschafters ereignen, werden im allgemeinen als gesellschaftswidrig nur dann betrachtet werden können, wenn sie sich – wie etwa bei ehebrecherischen Beziehungen zu der Ehefrau des Mitgesellschafters – unmittelbar gegen den persönlichen Lebensbereich des anderen Gesellschafters richten und daher eine schwere Verletzung der gebotenen Achtung des anderen Gesellschafters darstellen, oder wenn sie sich auch auf den geschäftlichen Bereich der Gesellschaft unmittelbar auswirken und zu einer feststellbaren Schädigung des Gesellschaftsunternehmens führen. Es mag fraglich erscheinen, ob die Ausführungen des Berufungsgerichts diesen Anforderungen genügen. Allein einer abschließenden Beurteilung dieser Frage bedarf es hier nicht, da auf der Berücksichtigung dieser Verfehlung des Beklagten die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht beruht (wird ausgeführt).

Aus dem gleichen Grunde bedarf auch der Revisionsangriff gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die festgestellte Trunksucht des Beklagten stelle eine gesellschaftswidrige Verfehlung dar, keiner abschließenden Prüfung. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die ungünstigen Auswirkungen des Alkoholmißbrauchs auf das Gesellschaftsverhältnis keiner eingehenderen Begründung bedürften und die Schädigung des Ansehens der Firma durch ein solches Verhalten des Beklagten auf der Hand liege, mag in ihrer allgemeinen Formulierung zu gewissen rechtlichen Zweifeln Anlaß geben. Jedoch auch hierauf kommt es wie bei der ehewidrigen Verfehlung des Beklagten für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.

c) Das Berufungsgericht würdigt zu Lasten des Beklagten einen Vorfall, wonach sich dieser mit dem Gedanken getragen hat, den Kläger bei der Militärregierung wegen einer Äußerung in einem Feldpostbrief von der Ostfront während des Krieges anzuzeigen und wonach er hierüber mit einem Bekannten nach der Rückkehr des Klägers aus russischer Kriegsgefangenschaft gesprochen hat. Die Revision meint, daß das Berufungsgericht hierbei eine Tatsache als Ausdruck der Gesinnung des Beklagten gegenüber dem Kläger würdige, obwohl die Gesinnung allein niemals einen wichtigen Grund zur Auflösung einer Gesellschaft darstellen könne. Bei der Beurteilung dieser Revisionsrüge kann es offen bleiben, ob ein derartiger schwerwiegender Vorfall, wie er hier von dem Berufungsgericht festgestellt ist, schon allein als wichtiger Grund zur Auflösung der Gesellschaft angesehen werden kann, da jedenfalls das Berufungsgericht diese Schlußfolgerung nicht gezogen hat. Daß aber ein solcher Vorfall zu Lasten des Beklagten bei der Entscheidung über die Zubilligung des Übernahmerechts für den Kläger berücksichtigt werden kann, kann aus Rechtsgründen schlechterdings nicht bezweifelt werden. Es steht hierbei nicht die reine Gesinnung des Beklagten gegenüber dem Kläger, also nicht ein innerer seelischer Vorgang des Beklagten, in Frage, sondern eine Gesinnungsäußerung des Beklagten, die dem Kläger bekannt geworden ist, und die angesichts der nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Parteien in einer besonders nachdrücklichen Weise das Vertrauen zwischen den beiden Brüdern und Gesellschaftern zu untergraben geeignet ist.

3. Das Berufungsgericht hat sich bei der Anwendung des § 142 HGB auch mit den Behauptungen des Beklagten auseinandergesetzt, wonach dem Kläger im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses Verfehlungen zur Last zu legen seien. Die rechtliche Bedeutung solcher Verfehlungen für eine etwaige Anwendung des § 142 HGB ergibt sich aus den Ausführungen unter I.. Bei einer Würdigung der gesamten Umstände und bei der Frage, ob dem Kläger danach die Fortführung des Gesellschaftsverhältnisses zuzumuten sei, kann das etwaige Vorliegen solcher Verfehlungen nicht ohne Einfluß sein. Bei dieser Prüfung kommt das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, daß die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe zum größten Teil nicht stichhaltig seien und daß es sich im übrigen weitgehend um Abwehr- und Vergeltungsmaßnahmen sowie Entgleisungen des Klägers handele, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem groben gesellschaftswidrigen Verhalten des Beklagten ständen und die zusammenfassend gegenüber den Verstößen des Beklagten nur unerheblich seien und nicht ins Gewicht fielen.

Gegenüber diesen Ausführungen meint die Revision, das Berufungsgericht habe bei der Beurteilung der vom Kläger begangenen Verfehlungen verkannt, daß sie auch dann die Zubilligung eines Übernahmerechts für den Kläger ausschließen könnten, wenn sie selbst keinen wichtigen Grund für die Begründung einer Auflösungsklage aus der Person des Klägers darstellen würden. Es müsse auch hier der allgemeine Rechtsgedanke, der in § 254 BGB seinen Ausdruck gefunden habe, zur Anwendung gebracht werden. An dem Ausgangspunkt dieser Revisionsrüge ist – ohne daß es eines Hinweises auf § 254 BGB bedarf (vgl dazu die ablehnende Stellungnahme des Reichsgerichts in HRR 1938, 964) – so viel richtig, daß die Berücksichtigung von Verfehlungen des Klägers im Rahmen der gebotenen Billigkeitsabwägung nicht allein dann erforderlich ist, wenn diese ebenfalls einen wichtigen Grund für eine Auflösungsklage in der Person des Klägers bilden. Ihre Berücksichtigung ist nach der zutreffenden Auffassung des Reichsgerichts an einen solchen starren Maßstab nicht gebunden. Entgegen der Auffassung der Revision lassen aber die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht erkennen, daß dieses bei der Ausübung seines tatrichterlichen Ermessens von einer solchen rechtlich unzutreffenden Annahme ausgegangen wäre. Das Berufungsgericht ist vielmehr bei der Würdigung der beiderseitigen Verfehlungen, wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt, zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die nur unerheblichen Verfehlungen des Klägers gegenüber dem groben gesellschaftswidrigen Verhalten des Beklagten nicht ins Gewicht fallen und daher das Übernahmeverlangen des Klägers nicht auszuschließen vermögen.

Eine solche Beurteilung hält sich im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bei der Berücksichtigung eigener Verfehlungen des klagenden Gesellschafters (vgl RG DR 1942, 733).

Der hauptsächliche Angriff der Revision richtet sich in diesem Zusammenhang dagegen, daß die Beurteilung der Verfehlungen des Klägers von dem tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts nicht gedeckt sei und daher aus Rechtsgründen beanstandet werden müsse. Die Revision rügt hierbei eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, indem sie ausführt, das Berufungsgericht habe bei der Beurteilung der Verfehlungen des Klägers und bei der Beurteilung der Verfehlungen des Beklagten mit zweierlei Maß gemessen. Während die Verfehlungen des Beklagten in jedem einzelnen Fall als eine schwere Verletzung seiner gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen angesehen worden seien, seien etwa gleichliegende Verfehlungen des Klägers beschönigt und in ihrer Bedeutung für die Trübung der persönlichen Beziehungen zwischen den Parteien als geringfügig oder unwesentlich erachtet worden. Diese ungleichmäßige Beurteilung trete besonders augenfällig bei den Verfehlungen zutage, die sich auf die persönliche Zusammenarbeit in dem Unternehmen, auf die beiderseitigen Eigenmächtigkeiten in der Firma und auf die persönlichen Bereicherungen zu Lasten des Geschäftes bezögen. Der Revision mag zugegeben werden, daß einige Formulierungen in dem Berufungsurteil zu Beanstandungen in dem gerügten Sinn Anlaß geben mögen. Im Ergebnis kann ihrer Rüge einer ungleichmäßigen Beurteilung der beiderseitigen Verfehlungen jedoch nicht gefolgt werden. Was die Beurteilung des persönlichen Verhaltens des Klägers zu dem Beklagten und des Beklagten zu dem Kläger betrifft, so ist nicht zu verkennen, daß die offenbar völlig verschiedenen Temperamente der beiden Brüder auch eine entsprechende Berücksichtigung bei der Beurteilung erfordern. Gegenüber der wohl heißblütigen und aufbrausenden Art des Beklagten fallen Verstöße des anscheinend beherrschteren und nüchterneren Klägers bei einer menschlichen Beurteilung, die im Rahmen des § 142 HGB geboten ist, stärker ins Gewicht. Denn was bei dem einen Ausdruck einer augenblicklichen Gemütsaufwallung sein kann, die ebenso schnell vergeht, wie sie gekommen ist, ist bei dem anderen das Ergebnis einer nüchternen verstandesmäßigen Überlegung. In diesem Zusammenhang wirft gerade vom Standpunkt einer solchen Betrachtungsweise aus der Umstand, daß der Kläger in ruhiger Sachlichkeit über die Verfehlungen des Beklagten Buch geführt hat, kein günstiges Licht auf diesen. Auch mag nicht übersehen werden, daß bei Spannungen zwischen zwei Gesellschaftern, deren tieferer Grund in der Verschiedenartigkeit ihrer Charaktere zu suchen ist, eine gewisse Rücksichtnahme jedenfalls dann geboten ist, wenn es sich um Brüder handelt und sie nach dem Willen ihres Vaters das von diesem ererbte Unternehmen gemeinsam führen. Eine solche auch den menschlichen Verhältnissen gerecht werdende Abwägung bei der Beurteilung des persönlichen Verhaltens der Parteien zueinander tritt in dem Berufungsurteil nicht in jedem Fall in der gebotenen Weise hervor. Wenn aber trotzdem dieser Revisionsangriff im Ergebnis keinen Erfolg haben kann, so deshalb, weil die abschließende Beurteilung des Berufungsgerichts gerade auch im Vergleich zu dem Verhalten des Klägers von diesem Mangel nicht beeinflußt ist.

Die zusammenfassenden Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben ein ungewöhnliches Ausmaß von Beschimpfungen des Klägers durch den Beklagten, deren gravierenden Charakter das Berufungsgericht zu Recht mit dem Hinweis hervorhebt, daß sie sich im Lauf des Prozesses nicht etwa gemindert, sondern sogar noch weiter gesteigert haben. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht sie abschließend nicht als augenblickliche Gemütsaufwallungen des Beklagten mildernd beurteilt, sondern in ihnen den Ausdruck eines hemmungslosen Hasses gegen des Kläger gesehen hat. Auch bei voller Berücksichtigung des beherrschten und kühlen Wesens des Klägers, bei Beachtung des von der Revision hervorgehobenen Umstandes, daß sich erst an den völlig verschiedenartigen Temperamenten der Parteien die Gegensätzlichkeiten und Zerwürfnisse in voller Schärfe entzündet haben, muß das keineswegs immer korrekte Verhalten des Klägers gegenüber den maßlosen Anwürfen des Beklagten zurücktreten. Es kann bei einer umfassenden Beurteilung, worauf das Berufungsgericht anhand seiner tatsächlichen Feststellungen ohne Rechtsirrtum hinweist, nicht an der Tatsache vorbeigegangen werden, daß es bei den zahlreichen Zusammenstößen stets der Beklagte gewesen ist, der ohne begründeten oder entschuldbaren Anlaß gegen den Kläger ausfällig geworden ist. Mag die Zurückhaltung, die der Kläger bei solchen Verfehlungen bewiesen hat, auch in seiner nüchternen und kühlen Veranlagung ihre entscheidende Erklärung finden, so kann sie bei einer abschließenden Abwägung des beiderseitigen Verhaltens doch unmöglich zugunsten des Beklagten und zu Lasten des Klägers Berücksichtigung finden. Es bleibt bei einer menschlich umfassenden Berücksichtigung der zahlreichen Unwägbarkeiten, die bei einem tiefgreifenden persönlichen Zerwürfnis der vorliegenden Art immer eine gewichtige Rolle spielen, die Tatsache bestehen, daß die vollständige Zerstörung des beiderseitigen Vertrauens und die Unmöglichkeit einer weiteren verständnisvollen Zusammenarbeit zwischen den Parteien unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens ganz überwiegend auf das Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist. Auch ein Vergleich zwischen den Eigenmächtigkeiten in der Geschäftsführung, die sich die Parteien gegenseitig vorgeworfen haben, unterstreicht diese Beurteilung. Wenn auch in diesem Zusammenhang die Formulierung des Berufungsurteils nicht immer ganz glücklich sein mag, so kann nicht übersehen werden, daß im Ergebnis das Verhalten des Beklagten auch hier erheblich schwerer wiegt als das Verhalten des Klägers. Während der Beklagte sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in entscheidenden Fragen der Geschäftsführung bewußt über die Wünsche und Auffassungen des Klägers hinweggesetzt hat, beziehen sich die Vorwürfe des Beklagten in diesem Zusammenhang auf verhältnismäßig geringfügige Vorkommnisse, denen das Berufungsgericht im Ergebnis ohne ersichtlichen Rechtsfehler kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat. Auch ist es nicht möglich, in diesem Zusammenhang von dem Kläger mit Rücksicht auf die verschiedene persönliche Veranlagung der Parteien eine größere Zurückhaltung zu verlangen. Das würde die Gleichberechtigung beider Parteien in der Geschäftsführung berühren und die Zubilligung eines Übergewichts des Beklagten bei der Geschäftsführung im Hinblick auf sein unterschiedliches Temperament darstellen. Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß das Berufungsgericht die Abwägung des beiderseitigen Verhaltens insgesamt nach einem rechtlich angreifbaren Maßstab vorgenommen hat. Es kann daher auch im Ergebnis die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Verfehlungen des Klägers gegenüber den Verfehlungen des Beklagten nicht entscheidend ins Gewicht fallen und daher das Übernahmeverlangen des Klägers nicht auszuschließen vermögen, aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden.

III. Das Berufungsgericht ist sich bei der Anwendung des § 142 HGB bewußt, daß die Zubilligung des Übernahmerechts unter billiger Abwägung der gesamten Verhältnisse nur beim Vorliegen besonders schwerwiegender Gründe in der Person des anderen Gesellschafters in Betracht kommen kann und daß dieser Rechtsbehelf überdies das äußerste Mittel ist, dessen Anwendung nur dann gerechtfertigt ist, wenn andere den Gegner weniger hart treffende Maßnahmen nach Lage der Sache nicht zur Verfügung stehen.

1. Die Feststellungen des Berufungsgerichts lassen in rechtlich ausreichendem Maße erkennen, daß die Verstöße des Beklagten besonders schwerwiegender Art sind. Der Beklagte hat danach in überaus zahlreichen Fällen den Kläger mit maßlosen Beschimpfungen überschüttet und dabei ohne Rücksicht auf die Anwesenheit von Betriebsangehörigen und Betriebsfremden einem hemmungslosen Haß gegenüber dem Kläger Ausdruck gegeben. Häufig gebrauchte Schimpfworte allgemeiner Art wie Verbrecher, Lügner, Lump, Erbschleicher ua, Äußerungen wie „Warum haben wir den nur Jura studieren lassen, doch nur damit er uns begaunern kann”, die Bemerkung „vollgefressener Strumpf”, nachdem der Kläger erst kurz vorher mit Hungerödemen und Wasser aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war, und zahlreiche andere Vorfälle häßlicher Art lassen den schwerwiegenden Charakter dieser Verfehlungen ohne weiteres erkennen. Bei der Natur dieser Verstöße liegt es im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens, wenn das Berufungsgericht diese auch angesichts des gebotenen strengen Maßstabes bei der Anwendung des § 142 HGB als wichtigen Grund angesehen hat. In die gleiche Richtung eines hemmungslosen Hasses weist der Vorfall, bei dem der Beklagte die von ihm erwogene Absicht einer Denunziation des Klägers bei der Militärregierung mit einem Bekannten erörterte und erst von diesem wegen seiner Absichten zurechtgewiesen werden mußte; auch dieser Vorfall unterstreicht nach der zutreffenden Beurteilung durch das Berufungsgericht, wie vollständig die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien durch das Verhalten des Beklagten zerstört worden ist. Hinzu kommen die vom Berufungsgericht weiterhin festgestellten Verfehlungen, die zahlreichen Eigenmächtigkeiten in grundsätzlichen Fragen der Betriebsführung, bei denen der Beklagte bewußt die gleichen Rechte des Klägers in der Betriebsführung verletzen wollte und verletzt hat, sowie die Unredlichkeiten, deren sich der Beklagte unter Verletzung seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen zum Nachteil des Klägers schuldig gemacht hat. Bei dieser Sachlage ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht diese Verfehlungen als ausreichende Grundlage für das Übernahmeverlangen des Klägers betrachtet hat. Dabei ist es für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob auch schon einerseits die Eigenmächtigkeiten und zum anderen die Unredlichkeiten des Beklagten, wie das Berufungsgericht meint, das Übernahmeverlangen des Klägers rechtfertigen könnten.

Das Berufungsgericht hat darüber hinaus auch die gesamten Verhältnisse des vorliegenden Falles in den Bereich seiner Erwägungen einbezogen und bei seiner Abwägung berücksichtigt. Es hat dabei keine Umstände unbeachtet gelassen, die bei den gegebenen Verhältnissen für eine gerechte und billige Abwägung der beiderseitigen Interessen rechtlich von Bedeutung sein können und deshalb bei der Anwendung des § 142 HGB zu beachten sind. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger nach seinen Fähigkeiten in der Lage ist, die Leitung des Fabrikunternehmens auch allein zu übernehmen. Es hat sodann in rechtlich bedenkenfreier Form dargelegt, daß sich hier aus der Person des Klägers keine Hinderungsgründe für eine Übernahme des Geschäfts ergeben. Auch hat das Berufungsgericht die Frage erörtert, ob aus der alleinigen Fortführung des Unternehmens durch den Kläger dadurch Schwierigkeiten entstehen könnten, daß dem Beklagten bei seinem Ausscheiden ein Abfindungsanspruch in Höhe von etwa der Hälfte des in dem Fabrikunternehmens steckenden Anlagevermögens zusteht. Das Berufungsgericht hat diese Frage nach Lage der Verhältnisse verneint. Weiterhin hat sich das Berufungsgericht auch in der gebotenen Weise mit den Billigkeitserwägungen auseinandergesetzt, die vorliegendenfalls zugunsten des Beklagten zu berücksichtigen sind. Es hat dabei insbesondere gewürdigt, daß sich der Beklagte seit dem Beginn seiner Tätigkeit in dem väterlichen Unternehmen Verdienste um die Fabrik erworben hat, die zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sind. Wenn es jedoch diesen Verdiensten in eingehender Darlegung keine überragende Bedeutung beigemessen und angesichts der sehr schweren Verfehlungen des Beklagten kein durchschlagendes Gewicht beigelegt hat, so liegt auch diese Beurteilung auf tatrichterlichem Gebiet und ist einer Nachprüfung in der Revisionsinstanz entzogen. Des weiteren hat sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auch mit der erbrechtlichen Stellung des Beklagten und dem letzten Willen des Vaters befaßt und daraufhin geprüft, inwieweit sich hieraus Billigkeitserwägungen zugunsten des Beklagten gegenüber dem Übernahmeverlangen des Klägers ergeben könnten. Auch diese Ausführungen halten sich im Rahmen der bei Anwendung des § 142 HGB gebotenen Würdigung der gesamten Verhältnisse und sind rechtlich bedenkenfrei.

2. Die Revision rügt des weiteren, das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Erwägungen, ob auch noch ein weniger hartes Mittel als die völlige Entfernung des Beklagten aus dem Geschäftsunternehmen im vorliegenden Fall bei Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse zur Anwendung kommen könne, nicht die Möglichkeit einer Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft mit weiteren Auflagen zu Lasten des Beklagten in Betracht gezogen. Der Revision ist zuzugeben, daß im allgemeinen eine dahingehende Pflicht bei Anwendung des § 142 HGB aus Rechtsgründen anzuerkennen ist. Gleichwohl kann die Revision hier mit dieser Rüge nicht durchdringen, weil die Ausführungen des Berufungsgerichts auch in dieser Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden sind. Das Berufungsgericht befaßt sich zwar nicht ausdrücklich mit der Änderung der Stellung des Beklagten in die eines Kommanditisten zwecke Ausräumung der entstandenen Schwierigkeiten; es hat aber mit den Parteien die Möglichkeit einer Umwandlung der Gesellschaft in eine atypische stille Gesellschaft erörtert und nach Scheitern dieser Erörterungen festgestellt, daß der Beklagte die ihm gebotene Möglichkeit einer Neuregelung des Gesellschaftsverhältnisses nicht genutzt habe. Aus diesen Ausführungen ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit, daß nach dem tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts bei den schweren Verstößen des Beklagten eine Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft nicht das geeignete Mittel sei, um die aufgetretenen Gefahren für den Bestand der Gesellschaft abzuwenden, sondern daß dafür an Stelle einer Anwendung des § 142 HGB nur die Neuregelung des Gesellschaftsverhältnisses auf dem Boden einer atypischen stillen Gesellschaft in Betracht gezogen werden könne. Bei dieser Sachlage bestand für das Berufungsgericht keine Rechtspflicht, auch noch ausdrücklich darzulegen, daß zur Abwendung der nach § 142 HGB gegebenen Rechtsfolge die Umwandlung der Gesellschaft in eine Kommanditgesellschaft dem Kläger angesichts der schweren Verfehlungen des Beklagten nicht zuzumuten sei.

Aus alledem ergibt sich, daß das Berufungsgericht im Ergebnis unter zutreffender Anwendung der für die Zubilligung des Übernahmerechts nach § 142 HGB maßgeblichen Rechtsgrundsätze dem Verlangen des Klägers auf Übernahme des Gesellschaftsunternehmens entsprochen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 647890

BGHZ, 108

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