Leitsatz (amtlich)

Die jahrelange widerspruchslose Hinnahme der Provisionsabrechnungen des Unternehmers kann nicht als ein sich ständig wiederholendes negatives Schuldanerkenntnis des Handelsvertreters ausgelegt werden, daß ihm Ansprüche auf Erteilung eines Buchauszuges und auf Zahlung weiterer Provision nicht zustehen (Aufgabe von BGH, Urteil vom 28. Januar 1965 – VII ZR 120/63 = LM Nr. 5 zu § 87 c HGB).

 

Normenkette

HGB §§ 87a, 87c

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 21.09.1994)

LG Lüneburg

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 21. September 1994 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger einen Buchauszug über alle provisionspflichtigen Geschäfte mit Kunden im Vertragsgebiet Bayern in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1991 zu erteilen, und zwar dergestalt, daß sich aus dem Buchauszug auch die in diesem Zeitraum erfolgten Rückgaben von Waren und die Gründe hierfür ergeben.

Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war für die Beklagte mehr als 20 Jahre bis zum 31. Dezember 1991 als Handelsvertreter im Bezirk Bayern tätig.

Die ihm von der Beklagten in dieser Zeit erteilten Provisionsabrechnungen, die u.a. nicht näher erläuterte Abzüge für Retouren enthielten, nahm der Kläger widerspruchslos hin. Erstmals mit Schreiben vom 11. Februar 1992 beanspruchte er für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1991 weitere Provision gemäß § 87 a Abs. 3 HGB, weil die Beklagte bei ihren Abrechnungen die „angefallenen Retouren nicht berücksichtigt” habe. Anhand der ihm vorliegenden Abrechnungsunterlagen errechnete er einen auf Retouren entfallenden Umsatz von 1.387.359 DM.

Von diesem Betrag hat der Kläger in dem vorliegenden Rechtsstreit den mit der Beklagten vereinbarten Provisionssatz von 4,5 % zuzüglich 14 % Mehrwertsteuer = 71.171,51 DM nebst Zinsen und vorgerichtlichen Mahnauslagen geltend gemacht. Die Beklagte hat eingewandt, die jahrelange widerspruchslose Hinnahme der Provisionsabrechnungen durch den Kläger, der Vollkaufmann gewesen sei, könne nur als Anerkenntnis dieser Abrechnungen und als Verzicht auf weitere Provisionsansprüche ausgelegt werden. In den monatlichen Abrechnungen seien sämtliche Rechnungen und Gutschriften aufgeführt gewesen. Dem Kläger hätten die Auftragskopien, bei Direktgeschäften die Rechnungskopien vorgelegen. Zusätzlich habe er Durchschriften der Auftragsbestätigungen, der Rechnungskopien sowie etwaiger Gutschriften und der Rechnungen für Ersatzlieferungen erhalten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger die Klage erweitert und nunmehr im Wege der Stufenklage beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger einen Buchauszug über alle provisionspflichtigen Geschäfte mit Kunden im Vertragsgebiet Bayern in der Zelt vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1991 zu erteilen, und zwar dergestalt, daß sich aus dem Buchauszug auch die in diesem Zeitraum erfolgten Rückgaben von Waren und die Gründe hierfür ergeben,
  2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die nach Vorlage des Buchauszuges zu berechnende Provision zu zahlen,
  3. (hilfsweise zu 1 und 2) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 71.171,51 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 12. Februar 1992 sowie 10 DM vorgerichtliche Mahnauslagen zu bezahlen.

Das Berufungsgericht hat die Berufung zurück- und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die in der Berufungsinstanz gestellten Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1991 weder einen Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges gemäß § 87 c Abs. 2 HGB noch einen Anspruch auf weitere Provision für nicht durchgeführte Geschäfte gemäß § 87 a Abs. 3 HGB, weil sein Gesamtverhalten in der bis 1989 mehr als siebzehnjährigen Zusammenarbeit mit der Beklagten dahingehend auszulegen sei, daß er die ihm monatlich erteilten Abrechnungen der Beklagten als sachlich richtig hingenommen und damit auf ihm etwa zustehende weitergehende Ansprüche verzichtet habe.

Der Kläger sei mit Rücksicht auf seinen jährlichen Warenumsatz zwischen 6,8 Mio. und 10 Mio. DM bei etwa 500 Aufträgen von insgesamt 170 bis 180 Kunden und daraus resultierenden Provisionseinnahmen zwischen 308.000 DM und 456.000 DM als Vollkaufmann anzusehen. Obwohl er aufgrund der Provisionsabrechnungen gewußt habe, daß ihm die Beklagte keine Provision für nicht durchgeführte Aufträge zahle, habe er sich niemals nach den Gründen für die Retouren erkundigt. Daraus habe die Beklagte schließen müssen und dürfen, daß der Kläger mit Ihrem Abrechnungsverfahren einverstanden sei, zumal es kaufmännisch durchaus vernünftig sein könne, auf Auseinandersetzungen über die Berechtigung von Reklamationen weitgehend zu verzichten, um gerade dadurch eine für alle Beteiligten einschließlich des Handelsvertreters gewinnbringende langfristige Zusammenarbeit zu ermöglichen.

Nach § 87 a Abs. 5 HGB könnten von § 87 a Abs. 3 HGB abweichende, für den Handelsvertreter nachteilige Vereinbarungen zwar nicht im voraus getroffen werden. Dagegen seien im nachhinein bei der Abrechnung fälliger Provisionen sich ständig stillschweigend wiederholende abweichende Vereinbarungen nicht ausgeschlossen. Von einer solchen Vereinbarung sei hier auch bezüglich der Anfang Januar 1992 erfolgten Provisionsabrechnung für die Zeit von Juli bis Dezember 1991 auszugehen. Der Kläger habe die Wertung seines Schweigens als Einverständnis mit dieser Abrechnung und als Verzicht auf weitergehende Ansprüche nur durch einen Widerspruch binnen 14 Tagen, jedoch nicht mehr mit seinem Schreiben vom 11. Februar 1992 verhindern können.

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Erteilung eines Buchauszuges nach § 87 c Abs. 2 HGB und auf Zahlung von Provision für nicht durchgeführte Geschäfte nach § 87 a Abs. 3 HGB (hier gemäß Art. 29 EGHGB in der am 31. Dezember 1989 geltenden Fassung) zu Unrecht verneint. Entgegen seiner Ansicht rechtfertigt die jahrelange widerspruchslose Hinnahme der Provisionsabrechnungen durch den Kläger nicht die Annahme, dieser habe sich mit den ihm von der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1991 erteilten Abrechnungen einverstanden erklärt und auf ihm etwa zustehende weitergehende Provisionsansprüche für diesen Zeitraum verzichtet.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Handelsvertreter zwar den Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs aus § 87 c Abs. 2 HGB als Grundlage für weitere Provisionsansprüche nicht mehr geltend machen, wenn er sich mit dem Unternehmer über die Abrechnung der Provisionen geeinigt hat (BGH, Urteil vom 13. März 1961 – VII ZR 35/60 = LM Nr. 3 zu § 87 c HGB unter III 3 b; Urteil vom 20. Februar 1964 – VII ZR 147/62 = LM Nr. 4 a zu § 87 c HGB unter I 3 b; Urteil vom 11. Juli 1980 – I ZR 192/78 = WM 1980, 1449 unter II; Urteil vom 23. Oktober 1981 – I ZR 171/79 = WM 1982, 152 unter 4). Ein Einverständnis mit den Provisionsabrechnungen und damit das Anerkenntnis, keine weiteren Ansprüche zu haben, kann jedoch im allgemeinen nicht aus einem untätigen Verhalten des Handelsvertreters gefolgert werden; für eine Einigung über die Abrechnung zwischen Unternehmer und Handelsvertreter bedarf es vielmehr in der Regel einer eindeutigen Willenserklärung des Handelsvertreters (BGH, Urteil vom 28. November 1963 – VII ZR 90/62, nicht veröffentlicht, Umdruck S. 16; Urteil vom 20. Februar 1964 a.a.O. unter I 3 b aa; Urteil vom 23. Oktober 1981 a.a.O. unter 4). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß an die Annahme eines konkludent erklärten Verzichts grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen sind (zuletzt z.B. Urteil vom 16. November 1993 – XI ZR 70/93 = WM 1994, 13 unter II 2 b; Urteil vom 22. Juni 1995 – VII ZR 118/94 = WM 1995, 1677 unter II 2 b bb).

Deswegen ist allein in dem Umstand, daß der Kläger über mehrere Jahre hinweg die Abrechnungen der Beklagten widerspruchslos hingenommen hat, weder ein stillschweigend erklärtes Einverständnis mit den Abrechnungen noch ein Verzicht auf weitere Provision für nicht durchgeführte Geschäfte zu sehen.

2. Etwas anderes hat der Bundesgerichtshof lediglich in einem Einzelfall angenommen, in dem der Handelsvertreter mit sehr hohen Umsätzen und Provisionseinnahmen Vollkaufmann war und laufend Provisionsabrechnungen sowie zusätzlich Durchschläge der Auftragsbestätigungen und der Rechnungen erhalten hatte. Unter diesen besonderen Umständen hat der Bundesgerichtshof die tatrichterliche Würdigung unbeanstandet gelassen, die jahrelange widerspruchslose Hinnahme der Provisionsabrechnungen durch den Handelsvertreter sei als ein sich ständig wiederholendes negatives Schuldanerkenntnis auszulegen (Urteil vom 28. Januar 1965 – VII ZR 120/63 = LM Nr. 5 zu § 87 c HGB).

Ob die Besonderheiten jenes Einzelfalls auch im vorliegenden Fall gegeben sind oder ob die Beklagte hier schon deshalb das Schweigen des Klägers auf ihre Provisionsabrechnungen nicht als Einverständnis mit diesen und als Verzicht auf weitere Provisionsansprüche aus § 87 a Abs. 3 HGB auffassen durfte, weil die Abrechnungen sich nicht zu den Gründen der Retouren verhielten und deswegen dem Kläger im Hinblick auf § 87 a Abs. 3 Satz 2 HGB keine Klarheit über die Berechtigung der Abzüge verschafften (BGH, Urteil vom 28. November 1963 a.a.O. S. 17), kann offenbleiben. Unabhängig davon stehen der Annahme eines sich ständig wiederholenden negativen Schuldanerkenntnisses des Handelsvertreters durch Schweigen auf die Provisionsabrechnungen des Unternehmers die dem Schutz des meist wirtschaftlich schwächeren Handelsvertreters dienenden (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1961 a.a.O. unter III 3 c aa) §§ 87 a Abs. 5, 87 c Abs. 5 HGB entgegen. Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 28. Januar 1965 (aaO), dem das Berufungsgericht auch ohne ausdrückliche Erwähnung ersichtlich folgen will, im Ergebnis eine andere Auffassung vertreten hat, hält der Senat hieran nicht fest.

a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, verbietet § 87 a Abs. 5 eine zu Ungunsten des Handelsvertreters im voraus von § 87 a Abs. 3 HGB abweichende Vertragsgestaltung, solange der bei Abschluß eines Geschäfts bedingt entstehende Provisionsanspruch des Handelsvertreters noch nicht gemäß § 87 a HGB unbedingt geworden ist (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1960 – VII ZR 210/59 = BB 1961, 147). Auch der Anspruch des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszuges kann nach § 87 c Abs. 5 HGB jedenfalls nicht für die Zukunft ausgeschlossen werden (BGH, Urteil vom 20. Februar 1964 a.a.O. unter I 3 b bb). Dementsprechend kann die widerspruchslose Hinnahme von Provisionsabrechnungen (hier solcher vor dem 1. Januar 1989) nicht als negatives Schuldanerkenntnis des Handelsvertreters gewertet werden, daß ihm erst später (hier in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1991) unbedingt werdende Provisionsansprüche sowie ein diesbezüglicher Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges nicht zustehen.

b) An den §§ 87 a Abs. 5, 87 c Abs. 5 HGB muß jedoch auch die Annahme eines sich jeweils nach unbedingter Entstehung der Provisionsansprüche ständig wiederholenden negativen Schuldanerkenntnisses durch Schweigen auf die betreffenden Provisionsabrechnungen (hier für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1991) scheitern. Denn diese Annahme führt ebenfalls zu einer gegen die genannten Bestimmungen verstoßenden Beschränkung der Ansprüche des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszuges und Zahlung von Provision für die Zukunft. Sie nötigt ihn, Abrechnungen des Unternehmers künftig zu widersprechen, um insoweit ein (sich ständig wiederholendes) negatives Schuldanerkenntnis zu vermeiden. Die Annahme eines solchen hat damit letztlich die Wirkung einer Vereinbarung zwischen Handelsvertreter und Unternehmer, nach der dessen Abrechnung mangels Widerspruchs des Handelsvertreters innerhalb einer bestimmten Frist als genehmigt gelten soll. Eine solche Vereinbarung hat der Bundesgerichtshof gerade wegen Verstoßes gegen § 87 c Abs. 5 HGB als unwirksam angesehen (Urteil vom 20. Februar 1964 a.a.O. unter I 3 b bb; vgl. auch Urteil vom 19. November 1982 – I ZR 125/80 = LM Nr. 11 zu § 87 a HGB unter I 2 c).

3. Darauf, ob eine derartige, den §§ 87 a Abs. 5, 87 c Abs. 5 HGB widersprechende Verfahrensweise beiderseits nützlich und nicht unüblich ist, kommt es dagegen nicht an. Es besteht hierfür auch deswegen keine Notwendigkeit, weil der Unternehmer vor einer übermäßigen Inanspruchnahme seitens des Handelsvertreters durch die kurze Verjährung nach § 88 HGB hinreichend geschützt ist. Deswegen und mit Rücksicht auf die in den §§ 87 a Abs. 5, 87 c Abs. 5 HGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung verstößt die Forderung des Klägers nach einem Buchauszug und nach Provision für Retouren trotz jahrelanger widerspruchsloser Hinnahme der Provisionsabrechnungen auch nicht gegen Treu und Glauben (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 1961 a.a.O. unter III 3 c bb).

III. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben.

Da das Berufungsgericht die Abweisung der Klage zu Unrecht lediglich auf ein negatives Schuldanerkenntnis durch untätiges Verhalten des Klägers stützt und weitere tatsächliche Aufklärung insoweit nicht zu erwarten ist, kann der Senat über den Klageantrag auf Erteilung eines Buchauszuges gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Mangels einer wirksamen Einigung der Parteien über die Provisionsabrechnungen der Beklagten für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 31. Dezember 1991 hat der Kläger gemäß § 87 c Abs. 2 HGB Anspruch auf einen Buchauszug über alle Geschäfte in diesem Zeitraum, für die ihm nach § 87 HGB Provision gebührt. Da der Kläger Bezirksvertreter im Sinne von § 87 Abs. 2 HGB war, gehören dazu alle Geschäfte mit Kunden in seinem Vertragsgebiet Bayern. Der Buchauszug muß die im Zeitpunkt seiner Aufstellung für die Berechnung, Höhe und Fälligkeit der Provision des Handelsvertreters relevanten Geschäftsverhältnisse vollständig widerspiegeln, soweit sie sich den Büchern des Unternehmers entnehmen lassen (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1981 a.a.O. unter 3). Er muß daher auch die Rückgaben von Waren und die jeweiligen Gründe dafür enthalten.

Im übrigen war der Rechtsstreit nach Aufhebung des angefochtenen Urteils mangels Entscheidungsreife zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).

 

Unterschriften

Wolf, Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers

 

Fundstellen

BB 1996, 176

NJW 1996, 588

BGHR

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 129

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