Leitsatz (amtlich)

Es ist an dem Grundsatz festzuhalten, daß für den Haftungsausschluß nach § 636 RVO die verbotswidrige Beschäftigung eines schulpflichtigen Kindes ohne Bedeutung ist (Bestätigung von BGHZ 3, 298, 305 ff).

 

Normenkette

RVO § 636 Abs. 1; JArbSchG § 7

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Urteil vom 28.03.1979)

LG Trier

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. März 1979 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen dem Kläger zur Last.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der damals 9 Jahre alte Kläger erlitt am 22. November 1974 einen Unfall, der zu erheblichen Verletzungen führte und einen längeren Krankenhausaufenthalt notwendig machte. An diesem Tage hatte der Beklagte mit seinem Traktor und daran angehängtem Dungstreuer im Zuge gegenseitig geübter nachbarschaftlicher Hilfe für das landwirtschaftliche Anwesen der Maria P., der Großmutter des Klägers, und deren Bruder Theodor P. Dung ausgefahren. Nach Abschluß dieser Arbeiten fuhr der Beklagte in Begleitung des P. und auch des Klägers, der sich häufig bei seiner Großmutter aufhielt und seinem Alter entsprechend kleinere Arbeiten zu verrichten pflegte, zu einem nahegelegenen Bach, um den Dungstreuer zu reinigen. Der Kläger, der sich auch nützlich machte, geriet dabei in die Streuwalze, als der Beklagte diese über die vom Traktor ausgehende Welle in Bewegung setzte, dabei allerdings das Gerät selbst nicht mit fortbewegte.

Die zuständige landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Unfall dem Betrieb der Geschwister P. zugerechnet und dem Kläger Leistungen erbracht, insbesondere die Heilungskosten getragen.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten, dem er fahrlässiges Verhalten vorwirft, Schmerzensgeld; er begehrt des weiteren die Feststellung der diesen treffenden Verpflichtung zum Ersatz zukünftigen Schadens. Der Beklagte lehnt jegliche Schadensersatzleistung unter Berufung auf die §§ 636, 637 RVO ab.

Das Landgericht hat dem Feststellungsbegehren uneingeschränkt stattgegeben und den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung des Beklagten führte zur Klageabweisung. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Der Beklagte war im Revisionsrechtszug nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

A.

Trotz der Säumnis des Beklagten ist durch streitmäßiges Urteil zu entscheiden, weil sich die Revision auf Grund des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (BGH-Urteil vom 14. Juli 1967 – V ZR 112/64 = NJW 1967, 2162).

B.

I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, Schadensersatzansprüche des Klägers seien gemäß § 636 RVO ausgeschlossen, weil dieser die Verletzungen bei einem Arbeitsunfall im Betriebe des Beklagten erlitten habe, in dem er wie ein nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherter vorübergehend tätig geworden sei. Es hält das Reinigen des Dungstreuers für eine Tätigkeit, die dem Betrieb des Beklagten zuzuordnen sei und diesen unterstützt habe. An dieser rechtlichen Beurteilung sieht sich das Berufungsgericht nicht gehindert, obwohl die zuständige Berufsgenossenschaft die Verletzungen einem Arbeitsunfall im Betriebe der Geschwister P. zugerechnet hat.

II. Dies hält den Angriffen der Revision, jedenfalls im Ergebnis, stand.

1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß es durch § 638 RVO grundsätzlich nicht gehindert war, eine Einordnung des Klägers in den landwirtschaftlichen Betrieb des Beklagten anzunehmen. Ein Hindernis bestünde selbst dann nicht, wenn eine im Sinne von § 638 Abs. 1 RVO verbindliche Entscheidung dahin vorläge, daß es sich für den Kläger um einen dem Betrieb der Geschwister P. zuzurechnenden Arbeitsunfall handele. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 24, 247, 248; Urteil vom 7. Juni 1977 – VI ZR 99/76 = VersR 1977, 959 m.w. Nachw.).

Aus diesem Grunde bestand auch kein Zwang zu einer Verfahrensaussetzung gemäß § 638 Abs. 2 RVO.

2. Das Berufungsgericht beurteilt auch die festgestellten tatsächlichen Umstände insoweit fehlerfrei, als es das Reinigen des Dungstreuers für eine in wirtschaftlicher Hinsicht dem Betrieb des Beklagten zuzurechnende Tätigkeit hält.

a) Es mag zweifelhaft erscheinen, ob, wie dies die Berufsgenossenschaft angenommen hat, die Tätigkeit des Beklagten für die Geschwister P., nämlich das Dungstreuen, wirklich zu dessen Einordnung in den landwirtschaftlichen Betrieb P. geführt hat. Zwar steht der Umstand, daß der Beklagte selbst landwirtschaftlicher Unternehmer ist, einer solchen Einordnung grundsätzlich nicht im Wege (vgl. Senatsurteil vom 7. Juni 1977 aaO); sie wird insbesondere für solche Tätigkeiten in Frage kommen, bei denen der betriebsfremde andere Unternehmer den Inhaber des Unfallbetriebes bei Arbeiten, die unter dessen Leitung verrichtet werden und von diesem inhaltlich bestimmt sind, unterstützt und ihm fördernde Hilfe leistet. Der hier festgestellte Sachverhalt läßt aber nicht den Schluß zu, daß der Beklagte nur solche, die rechtliche Zuordnung gleich einem Arbeitnehmer der Geschwister P. tragende Mithilfe beim Dungstreuen geleistet hat. Vielmehr spricht die natürliche Betrachtung der Umstände dafür, daß der Beklagte ähnlich einem vertraglich verpflichteten Werkunternehmer (§ 631 BGB), also wie dieser unter Beibehaltung seiner Selbständigkeit als landwirtschaftlicher Betriebsinhaber für die Geschwister P. das Dungstreuen auf dem ihm bezeichneten Acker übernommen hatte, um eine aus selbst erfahrener nachbarschaftlicher Hilfe für ihn entstandene Verpflichtung zu einer Gegenleistung zu erfüllen. Dann aber kommt eine Einordnung in den Betrieb der Geschwister P. nicht in Betracht; er arbeitete zwar auf deren Acker, aber im übrigen nicht nach deren Weisungen.

b) Indessen kommt es auf eine abschließende rechtliche Würdigung dieser Frage nicht an. Jedenfalls nämlich muß das Reinigen des Dungstreuers, bei dem sich der Unfall ereignet hat, dem Betrieb des Beklagten zugerechnet werden; dies hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Das Reinigen wie auch die Pflege, das Instandhalten und Instandsetzen von Geräten und Maschinen nützen demjenigen Betrieb, in dem sie gebraucht werden, sind daher als eine Tätigkeit für diesen anzusehen. Solche Arbeiten werden deshalb in der Regel von Arbeitskräften dieses Betriebes ausgeführt und nicht von den Leuten des Betriebes, zu dessen Gunsten das Gerät eingesetzt war. Im Streitfall kann nichts anderes gelten.

Selbst wenn man trotz der aufgezeigten Bedenken (oben unter a) davon ausgehen wollte, daß der Beklagte sich während des Dungstreuens in den Betrieb seiner Nachbarn eingeordnet hatte, wäre dieser im Sinne von §§ 636, 637 RVO rechtserhebliche Zustand beendet gewesen, als der Beklagte auf dem Heimweg in sein Anwesen unterwegs seine Arbeitsgeräte am Bach reinigte. Hierbei geschah nichts mehr, was als dem Betrieb der Geschwister P. nützlich und förderlich gewertet werden könnte. Vielmehr standen die Reinigungsarbeiten allein mit dem landwirtschaftlichen Anwesen des Beklagten in innerem Zusammenhang (vgl. Senatsurteil vom 7. Juni 1977 aaO); jedenfalls bei diesen Arbeiten kann von einem „Direktionsrecht” der Geschwister P. keine Rede mehr sein.

Dem Berufungsgericht ist somit auch darin beizupflichten, daß der Landwirt P. und der Kläger während des Reinigens des Dungstreuers in einer Art und Weise dem Beklagten geholfen haben, die sich als eine Eingliederung in dessen Betrieb im Sinne von § 539 Abs. 2 RVO darstellt. Der Kläger hat zusammen mit seinem Großonkel das Reinigen nicht als eigene Tätigkeit übernommen; er verrichtete, in seinem Entschluß dessen Vorbild folgend, durch seine Mithilfe eine Arbeit, die dem Beklagten selbst zukam. Daß es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelte, hat rechtlich keine Bedeutung, wie schon aus dem Gesetzeswortlaut (§ 539 Abs. 2 2. Halbsatz RVO) folgt (vgl. auch Senatsurteile vom 16. Dezember 1958 – VI ZR 251/57 – VersR 1959, 109 und vom 14. Dezember 1965 – VI ZR 153/64 = VersR 1966, 182 und auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 539 RVO Rz. 101 Anm. c). Wie der Senat bereits in dem genannten Urteil vom 16. Dezember 1958 (aaO) hervorgehoben hat, kommt es nicht darauf an, ob durch die anzunehmende Eingliederung des Klägers in den Betrieb des Beklagten ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis begründet wurde. Auch wer unaufgefordert – wie im Streitfall in Bezug auf den Kläger anzunehmen ist – aus eigenem Entschluß und aus Gefälligkeit bei einem fremden Unternehmen dienenden Arbeiten mithilft, kann als eingegliedert angesehen werden (vgl. Migsch, VersR 1972, 109, 112; Lauterbach a.a.O. Rz. 101).

3. Die Folge dieser Einordnung des Klägers, nämlich der Ausschluß von Ansprüchen auf Ersatz für erlittene Personenschäden gemäß § 636 RVO, erleidet auch dadurch keine Einschränkung, daß dieser im Zeitpunkt des Unfalls erst 9 Jahre alt war und nach den Vorschriften der §§ 7, 9 JArbSchG als Arbeitskraft nicht beschäftigt werden durfte. Die gegenteilige Auffassung der Revision, die auf den gebotenen Schutz Minderjähriger verweist, überzeugt nicht.

a) Bereits in BGHZ 3, 298, 305 ff. ist grundsätzlich ausgeführt, daß die verbotswidrige Beschäftigung eines noch nicht 12 Jahre alten Kindes für den Haftungsausschluß nach (damaligem) § 898 RVO (jetzt § 636 RVO) ohne Bedeutung ist. Die Grundgedanken dieser Entscheidung, die in ihrem Ergebnis seinerzeit Zustimmung erfahren hat (z.B. Larenz, MDR 1952, 291; Teutsch, JZ 1952, 274), haben auch heute noch Geltung (Lauterbach a.a.O. § 636 RVO Rdn. 2 a.E.). Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Juni 1975 (VersR 1976, 574) hervorgehoben, daß, weil auch verbotswidrig beschäftigten Kindern Versicherungsschutz nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt werde (vgl. LSG Schleswig VersR 1968, 147) diese billigerweise auch den Anspruchsbeschränkungen des § 636 RVO unterworfen werden müßten. Die Revision meint demgegenüber, bei Verunglückten, die lediglich i.S. von § 539 Abs. 2 RVO Versicherungsschutz genießen, insbesondere bei Kindern dürfe, um einen wirksamen Minderjährigenschutz sicherzustellen, der Haftungsausschluß des § 636 RVO nicht zur Anwendung kommen. Dem kann nicht gefolgt werden. § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO spricht von den im Unternehmen tätigen Versicherten; zu diesem Personenkreis gehören aber eindeutig auch diejenigen, die gemäß § 539 Abs. 2 RVO „wie ein nach § 539 Abs. 1 Versicherter” tätig werden. In Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht (aaO) ist der erkennende Senat der Auffassung, daß der Gesetzgeber es nicht übersehen hat, das Haftungsprivileg des Unternehmers bei Unfällen verbotswidrig von ihm beschäftigter Kinder entfallen zu lassen. Dem steht entgegen, daß diese Problematik bereits seit BGHZ 3, 298 ff bekannt war und im Rahmen der Neufassung der Reichsversicherungsordnung im Jahre 1963 anders hätte gelöst werden können, falls dies beabsichtigt gewesen wäre.

b) Ebensowenig besteht Anlaß zu der von der Revision angeregten Überprüfung der Einbeziehung auch des Schmerzensgeldes in den Bereich der durch § 636 Abs. 1 RVO ausgeschlossenen Ansprüche. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, daß dieser Ausschluß auch des Schmerzensgeldanspruchs mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfGE 34, 118 ff. = VersR 1973, 269 = NJW 1973, 502). Für eine Ausnahme in den Fällen, in denen es sich wie im Streitfall um die verbotswidrige Beschäftigung eines Kindes handelt, liegt auch hier kein zureichender Grund vor. Wenn das Kind schon, wie oben ausgeführt, als Ausgleich zu dem ihm zuteil werdenden gesetzlichen Unfallversicherungsschutz die Einschränkungen des § 636 RVO hinzunehmen hat, dann läßt sich auch eine Unterscheidung hinsichtlich des Umfangs der ausgeschlossenen Schadensersatzansprüche nicht vertreten. Der von der Revision ins Feld geführte Gedanke, daß die dem § 636 RVO mit zugrundeliegende Absicht, den inneren Betriebsfrieden durch Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu wahren, im Streitfall keine Bedeutung gewinnen könne, führt nicht zu anderer Beurteilung. Gleiches müßte immer dann gelten, wenn es sich beim Verletzten um einen nach § 539 Abs. 2 RVO Versicherten handelt, der nur für kurze Zeit im Unfallbetrieb tätig ist.

 

Unterschriften

Dr. Weber, Scheffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Deinhardt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502191

NJW 1980, 1796

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