Leitsatz (amtlich)

Die allgemeine Berufserfahrung eines Rechtsanwalts und Notars reicht zur Verneinung seiner Aufklärungsbedürftigkeit in Bezug auf Börsentermingeschäfte nicht aus.

 

Normenkette

BGB § 276

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 19.06.2003; Aktenzeichen 5 U 14/02)

LG Kiel

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Schleswig v. 19.6.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger, ein Rechtsanwalt und Notar, nimmt die beklagte Bank wegen verlustreicher Optionsgeschäfte an der Deutschen Terminbörse auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich in Anspruch.

Die Parteien führten am 30.9.1997 ein Beratungsgespräch, dessen Inhalt streitig ist. Am selben Tag unterzeichnete der Kläger ein Informationsblatt der Beklagten über "Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften" sowie eine "Selbstauskunft und Vermögensanalyse für den Abschluss von Börsentermingeschäften". Darin sind als geplante Geschäftsarten der Kauf und Verkauf von Kauf- und Verkaufsoptionen (Calls, Puts) sowie von Optionskombinationen angegeben. Zwischen den Parteien ist streitig, ob im Zeitpunkt der Unterzeichnung bereits eine zehnjährige Anlageerfahrung des Klägers mit fest verzinslichen Wertpapieren, Aktien, Optionsscheinen, Optionen und sonstigen Termingeschäften eingetragen und ob das Immobilienvermögen des Klägers mit 1,4 Mio. DM, sein liquides Nettovermögen mit 200.000 DM und sein Bruttojahreseinkommen mit 400.000 DM angegeben waren. Die Beklagte händigte dem Kläger die Broschüre "Basisinformationen über Börsentermingeschäfte" aus.

In der Folgezeit tätigte die Beklagte für den Kläger verschiedene Optionsgeschäfte, die anfangs zu Gewinnen, später auch zu Verlusten führten. Am 1.7.1998 verkaufte sie für ihn zehn V.-Put-Optionen mit Basispreis 115 DM und Verfalltag 5.8.1998, am 23.7.1998 zehn DAX-Put-Optionen mit Basispreis 5.800 DM und Verfalltag 21.8.1998 und am 24.7.1998 zehn DAX-Put-Optionen mit Basispreis 5.700 DM und Verfalltag 21.8.1998. Diese Geschäfte führten infolge fallender Kurse zu Verlusten i.H.v. 7.300 DM, 40.680 DM und 40.526 DM.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe Aufklärungs-, Beratungs- und weitere Vertragspflichten bei der Durchführung der Optionsgeschäfte verletzt. Außerdem seien die Geschäfte unverbindlich, weil er nicht börsentermingeschäftsfähig sei. Seine zuletzt auf Zahlung von 45.252,40 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat Bereicherungs- und Schadensersatzansprüche des Klägers verneint und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Dem Kläger stehe kein Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Die Optionsgeschäfte seien verbindlich, weil der Kläger durch die Unterzeichnung einer Unterrichtungsschrift i.S.d. § 53 Abs. 2 BörsG a.F. die Börsentermingeschäftsfähigkeit erlangt habe. Ob er den Inhalt der Schrift zur Kenntnis genommen habe, sei unerheblich.

Die Beklagte schulde keinen Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen bzw. positiver Vertragsverletzung auf Grund unzureichender Aufklärung über die Risiken der Optionsgeschäfte. Zweifelhaft sei bereits, ob der Kläger aufklärungsbedürftig gewesen sei. Er sei ein berufserfahrener Rechtsanwalt und Notar und habe zur Aufklärung jedenfalls die Broschüre "Basisinformationen über Börsentermingeschäfte" erhalten. Zudem habe er gegenüber der Beklagten den Eindruck erweckt, er lege auf eine gründliche Aufklärung keinen Wert. Nach seinem eigenen Vortrag habe er sich auf ein nur 30-minütiges Beratungsgespräch eingelassen, das lediglich zur Hälfte den Optionsgeschäften und im Übrigen privaten Themen gewidmet worden sei, und das er mit Blankounterschriften auf den ihm vorgelegten Urkunden beendet habe. Angesichts dieses Verhaltens habe er nicht erwarten dürfen, von der Beklagten als aufklärungsbedürftig angesehen zu werden.

Der Mitarbeiter der Beklagten, der die Optionsgeschäfte durchgeführt habe, habe dabei keine Pflichten verletzt. Er habe den Rahmen der getroffenen Vereinbarungen nicht überschritten. Das mit dem Verkauf der Optionen eingegangene Risiko sei, wie die folgenden Schwankungen des DAX belegten, nicht unvertretbar gewesen. Der Kläger selbst habe sich in einem Gespräch in der letzten Juliwoche auf Anraten des Mitarbeiters der Beklagten entschlossen, die Geschäfte nicht glattzustellen, sondern zu halten. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, ungeachtet der Aussicht auf eine Erholung des DAX die Geschäfte jedenfalls bei einem Verlust von 10.000 DM glattzustellen. Die Schmerzgrenze des Klägers habe angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse deutlich höher gelegen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe kein Bereicherungsanspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zu. Die im Juli 1998 getätigten Optionsgeschäfte sind verbindlich, weil der Kläger für ihren Abschluss nach Unterzeichnung der Unterrichtungsschrift der Beklagten am 30.9.1997 als börsentermingeschäftsfähig anzusehen ist (§ 53 Abs. 2 BörsG a.F.). Die Informationsschrift entspricht im Wesentlichen der von den Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft entwickelten (WM 1989, 1193 ff.; BGH v. 11.6.1996 - XI ZR 172/95, BGHZ 133, 82 [85] = MDR 1996, 922; Urt. v. 14.2.1995 - XI ZR 218/93, MDR 1995, 488 = WM 1995, 658) und genügt inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen. Ob der Kläger die Schrift verstanden oder auch nur gelesen hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich (vgl. BGH v. 11.6.1996 - XI ZR 172/95, BGHZ 133, 82 [87] = MDR 1996, 922; Ellenberger, WM 1999, Sonderbeilage 2, S. 8).

2. Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Begründung, mit der das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen bei der Durchführung der Optionsgeschäfte verneint hat.

Die Beklagte hat sich nicht durch einen entgeltlichen Vermögensverwaltungsvertrag zur Einhaltung bestimmter Anlagerichtlinien (BGH v. 28.10.1997 - XI ZR 260/96, BGHZ 137, 69 [73] = MDR 1998, 232) verpflichtet. Dass sie im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Kommissionsvertrages beim Abschluss der streitgegenständlichen Optionsgeschäfte weisungswidrig gehandelt hätte und ein zu hohes Risiko eingegangen wäre, hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht substanziiert vorgetragen. Die Revision macht dies auch nicht geltend.

Die Beklagte hat auch nicht ihre nach dem Vortrag des Klägers gegebene Zusage verletzt, das Risiko ggf. durch die Glattstellung der Geschäfte bzw. den Aufbau von Gegenpositionen gering zu halten, falls Verluste eintreten sollten. Da diese Zusage nicht näher konkretisiert worden ist, lag die Entscheidung, wann einzuschreiten sei, im Ermessen der Beklagten. Ihr kann nicht vorgeworfen werden, dieses Ermessen nicht pflichtgemäß im Interesse des Klägers ausgeübt zu haben. Sie war, anders als die Revision meint, nicht verpflichtet, spätestens bei Verlusten i.H.v. 10.000 DM einzuschreiten. Die Parteien haben eine solche "stop-loss-Marke" nicht ausdrücklich vereinbart. Sie ergibt sich auch nicht etwa aus dem Kundenprofil des Klägers, der über ein überdurchschnittliches Einkommen und Vermögen verfügte, oder den Gesamtumständen der Optionsgeschäfte. Da der Kläger auch nicht dargelegt hat, dass im Juli und August 1998 keine realistische Aussicht auf eine Erholung des DAX bestand, kann die Entscheidung der Beklagten, die Geschäfte zu halten, nicht aber mit Verlust glattzustellen oder Gegenpositionen aufzubauen, nicht als Pflichtverletzung angesehen werden.

3. Hingegen begegnet die Begründung, mit der das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen bzw. positiver Vertragsverletzung auf Grund unzureichender Aufklärung über die Eigenart und Risiken der Optionsgeschäfte abgelehnt hat, rechtlichen Bedenken. Nach dem im Revisionsverfahren zu Grunde zu legenden Vortrag des Klägers kann seine Aufklärungsbedürftigkeit nicht verneint werden.

a) Nicht aufklärungsbedürftig sind Kunden, die über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen mit den beabsichtigten Geschäften verfügen oder sich, nicht ersichtlich unglaubwürdig, als erfahren gerieren und eine Aufklärung nicht wünschen (BGH, Urt. v. 14.5.1996 - XI ZR 188/95, MDR 1996, 924 = WM 1996, 1214 [1216]; v. 24.9.1996 - XI ZR 244/95, WM 1997, 309 [311]; v. 21.10.2003 - XI ZR 453/02, BGHReport 2004, 308 = ZIP 2003, 2242 [2244]).

b) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

aa) Den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, dass er über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen mit Optionsgeschäften verfügte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass er durch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar tatsächlich Kenntnisse und Erfahrungen mit Optionsgeschäften erworben hat. Seine allgemeine Berufserfahrung und seine Fähigkeit, im Rahmen eines Mandats nach entsprechender Einarbeitung andere über die Eigenart und Risiken von Optionsgeschäften aufzuklären, reicht - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - zur Verneinung seiner Aufklärungsbedürftigkeit nicht aus (vgl. zur Aufklärungsbedürftigkeit eines Versicherungs- und Immobilienfinanzierungsmaklers bzw. eines Wirtschaftsprüfers in Bezug auf Börsentermingeschäfte: BGH, Urt. v. 24.9.1996 - XI ZR 244/95, WM 1997, 309 [311]; v. 21.10.2003 - XI ZR 453/02, BGHReport 2004, 308 = ZIP 2003, 2242 [2244 f.]; und zur Aufklärungsbedürftigkeit eines Rechtsanwalts in Bezug auf steuerbegünstigte Kapitalanlagemodelle: BGH, Urt. v. 9.10.1989 - II ZR 257/88, MDR 1990, 516 = WM 1990, 145 [147]).

Die Aushändigung der Broschüre "Basisinformationen über Börsentermingeschäfte", auf die das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zu Unrecht verweist, ließ die Aufklärungsbedürftigkeit ebenfalls nicht entfallen. Die Übergabe von Informationsmaterial ist nicht für die Beurteilung der Aufklärungsbedürftigkeit des Anlegers, sondern für die Erfüllung der Aufklärungspflicht von Bedeutung. Hierfür reicht aber die bloße Überlassung der Broschüre "Basisinformationen über Börsentermingeschäfte", die verschiedene Arten von Termingeschäften behandelt und aus der sich ein Anleger die Informationen, die die von ihm beabsichtigten Geschäfte betreffen, erst heraussuchen müsste, nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 14.5.1996 - XI ZR 188/95, WM 1996, 1214 [1215]; v. 24.9.1996 - XI ZR 244/95, WM 1997, 309 [310 f.]). Aus dem Beschluss des Senats v. 24.11.1998 (BGH, Beschl. v. 24.11.1998 - XI ZR 113/98, MDR 1999, 309 = WM 1999, 15) ergibt sich nichts Gegenteiliges, weil der Anleger dort zusätzlich auf die Gefahr eines Totalverlustes hingewiesen worden war und das mit den Termingeschäften verbundene Risiko kannte.

bb) Der Kläger hat sich nach seinem eigenen Vorbringen auch nicht als erfahren geriert. Er bestreitet, in der "Selbstauskunft und Vermögensanalyse für den Abschluss von Börsentermingeschäften" eine zehnjährige Erfahrung in Termingeschäften angegeben zu haben. Das Berufungsgericht hat dies nicht festgestellt. Dass der Kläger diese Urkunde blanko unterschrieben haben will, bedeutet lediglich, dass er auf die korrekte Ausfüllung durch die Beklagte vertraute. Dies rechtfertigt es, anders als das Berufungsgericht meint, nicht, ihn nicht mehr als aufklärungsbedürftig anzusehen. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger sich nach seinem Vortrag auf ein Beratungsgespräch eingelassen hat, das wegen Zeitnot nur 30 Minuten dauerte und zur Hälfte privaten Themen gewidmet war. Der Kläger konnte erwarten, dass die Beklagte ihm von sich aus die erforderliche Aufklärung erteilte.

III.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, war sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieses wird die angebotenen Beweise zu den Behauptungen des Klägers, er habe der Beklagten nicht erklärt, über Anlageerfahrungen von 10 Jahren u.a. in Optionen und Termingeschäften zu verfügen, sondern die von der Beklagten später unrichtig ausgefüllte Selbstauskunft blanko unterzeichnet, sowie ggf. dazu, die Beklagte habe ihn nicht ausreichend über Eigenart und Risiken der Optionsgeschäfte aufgeklärt, zu erheben haben.

Falls eine für die Anlageentscheidung kausale Aufklärungspflichtverletzung festgestellt werden sollte, wird bei der Berechnung der Schadenshöhe davon auszugehen sein, dass der Kläger bei sachgerechter Aufklärung am 30.9.1997 alle in der Folgezeit getätigten Optionsgeschäfte nicht abgeschlossen und sämtliche Gewinne und Verluste aus diesen Geschäften nicht erzielt hätte.

 

Fundstellen

BB 2004, 2488

DStZ 2004, 887

NJW 2004, 3628

Inf 2004, 850

NWB 2004, 4053

BGHR 2005, 107

EWiR 2004, 1211

WM 2004, 2205

WuB 2005, 93

ZAP 2005, 8

ZIP 2004, 2178

AnwBl 2005, 143

MDR 2005, 102

VuR 2004, 454

BKR 2005, 36

NJW-Spezial 2004, 383

ZBB 2004, 511

BRAK-Mitt. 2005, 36

JWO-VerbrR 2004, 364

Kreditwesen 2005, 183

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