Leitsatz (amtlich)

Der in einen Prozeßvergleich zugunsten beider Parteien aufgenommene Vorbehalt, den Vergleich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist zu widerrufen, stellt im Regelfall eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs dar (Fortführung von BGHZ 46, 277).

 

Normenkette

ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Urteil vom 23.12.1982)

LG Trier

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats – Entschädigungssenats – des Oberlandesgerichts Koblenz vom 23. Dezember 1982 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Durch Bescheid vom 3. Juli 1961 gewährte die Behörde der 1923 geborenen Klägerin Heilverfahren und Kapitalentschädigung auf der Grundlage der Mindestrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1949. Weitergehende Ansprüche für die Zeit ab 1. Januar 1950 lehnte sie aus medizinischen Gründen ab. In dem anschließenden Rechtsstreit schlossen die Parteien am 14. April 1966 vor dem Oberlandesgericht folgenden Vergleich:

„1. Das beklagte Land verpflichtet sich, an die Klägerin für Schaden an Körper oder Gesundheit Kapitalentschädigung und Rente auf der Basis der Mindestrente unter Zugrundelegung einer MdE von 25 % nach den Vorschriften des BEG zu zahlen.

2. bis 4. …

5. Beide Parteien behalten sich vor, diesen Vergleich durch eine schriftliche Erklärung zu widerrufen, die bis zum 12.5.1966 bei Gericht eingegangen sein muß.”

Der Vergleich wurde von keiner der beiden Parteien widerrufen. Die Behörde bewilligte daraufhin der Klägerin durch „Mitteilung über Entschädigung” vom 15. Juni 1966 ab September 1966 eine laufende Rente gemäß § 32 BEG von monatlich 147 DM und für die zurückliegende Zeit Kapitalentschädigung und Rentenrückstände, jeweils auf der Grundlage der Mindestrente. In der Folgezeit wurde die Mindestrente auf Grund der Änderungsverordnungen zur 2. DV-BEG laufend linear erhöht.

Mit Schreiben vom 30.11./3.12.1976 begehrte die Klägerin, die Mindestrente ab 1. September 1965 auf die mittlere Hundertsatzrente umzustellen. Durch Bescheid vom 6. Juni 1980 lehnte die Behörde diesen Antrag ab, weil bei Wirksamwerden des Vergleichs vom 14. April 1966 am 12. Mai 1966 die mittlere Hundertsatzrente bereits höher als die Mindestrente gewesen sei.

Die Klage auf Gewährung der mittleren Hundertsatzrente bei einer verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v. H. ab 1. September 1965 nebst Zinsen blieb in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Klägerin stehe deshalb keine Hundertsatzrente zu, weil die nach Vergleichsabschluß am 4. Mai 1966 verkündete 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG für die Klägerin gegenüber der im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses geltenden Rechtslage nichts „gebessert” habe. Der für die Bemessung einer Hundertsatzrente maßgebliche Hundertsatz sei für die Zeit bis zur Verkündung der 7. ÄndVO nach den Richtlinien des beklagten Landes zu bestimmen. Diese stimmten aber im wesentlichen mit der 7. ÄndVO überein. Danach habe der Klägerin bei Abschluß des Vergleichs am 14. April 1966 eine Rente mit dem Hundertsatz 32,5 zugestanden, die auf Grund der damals noch geltenden 6. ÄndVO zur 2. DV-BEG mit 151 DM höher gewesen sei als die damalige Mindestrente von 147 DM.

Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Bei der Überleitung einer durch Vergleich gewährten Mindestrente in das Recht der 7. oder einer nachfolgenden ÄnderungsVO zur 2. DV-BEG kommt es nur auf das Verhältnis der Höhe der Mindestrente zu der mittleren Hundertsatzrente im einfachen Dienst, nicht auf die Höhe der individuell zu errechnenden Rente vor und nach Inkrafttreten der jeweiligen ÄnderungsVOen an (BGH RzW 1976, 116 Nr. 31 und ständig). Im Ergebnis hat das Berufungsgericht aber zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf eine höhere Rente als die ihr zuerkannte Mindestrente verneint.

Auszugehen ist von dem vor dem Oberlandesgericht am 14. April 1966 protokollierten Vergleich, mit dem sich die Parteien über die Zahlung einer Mindestrente auf der Grundlage einer verfolgungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 v. H. geeinigt haben. Eine Umstellung dieser Mindestrente auf Grund der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG auf die mittlere Hundertsatzrente des einfachen Dienstes nach den Grundsätzen BGH RzW 1976, 116 Nr. 31 kommt in Betracht, wenn der Anspruch vor Verkündung dieser Verordnung durch Vergleich geregelt worden ist (Art. II Abs. 4 der 7. ÄndVO), die vereinbarte Mindestrente höher war als die Rente nach dem mittleren Hundertsatz der Vergleichsbezüge des einfachen Dienstes (BGH RzW 1978, 151) und sich durch die 7. ÄndVO das Verhältnis zwischen der Mindestrente und der mittleren Hundertsatzrente umgekehrt hat (BGH RzW 1980, 25). Die Überleitung hängt dagegen nicht davon ab, welche Vorstellungen die Parteien über die rechnerische Höhe der vereinbarten Rente und deren künftige Entwicklung gehabt haben. Entsprechendes gilt für die Überleitung in das Recht der 8. und der nachfolgenden Änderungsverordnungen zur 2. DV-BEG.

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Geregelt im Sinne des Art. II Abs. 4 der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG und der gleichlautenden Vorschriften der nachfolgenden Änderungsverordnungen ist eine Entschädigung erst in dem Zeitpunkt, in dem der Vergleich für beide Parteien bindend geworden ist (BGH RzW 1960, 191 Nr. 65). Der am 14. April 1966 geschlossene Vergleich ist zwar vor Verkündung der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG protokolliert worden; denn die 7. ÄndVO vom 31. März 1966 ist erst unter dem 4. Mai 1966 im Bundesgesetzblatt Teil I S. 285 verkündet worden und deshalb gemäß ihrem Art. IV erst an diesem Tage in Kraft getreten. Er enthält aber unter Ziff. 5 die Vereinbarung, daß sich beide Parteien vorbehalten, ihn durch eine schriftliche Erklärung zu widerrufen, die bis zum 12. Mai 1966 bei Gericht eingegangen sein muß. Bei Ablauf der Widerrufsfrist am 12. Mai 1966 war die 7. ÄndVO somit bereits in Kraft. Ob dem Vergleich das Recht der 6. oder der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG zugrunde zu legen ist, hängt daher davon ab, ob er bereits bei seiner Protokollierung vor dem Oberlandesgericht am 14. April 1966 oder erst bei Ablauf der Widerrufsfrist am 12. Mai 1966 den Anspruch auf Rente wegen Schadens an Körper oder Gesundheit geregelt hat, also für beide Parteien bindend geworden ist.

Bei der Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts im Prozeßvergleich kommen folgende rechtliche Möglichkeiten in Betracht: ein vertragliches Rücktrittsrecht im Sinne der §§ 346 ff BGB, eine aufschiebende (§ 158 Abs. 1 BGB) oder eine auflösende (§ 158 Abs. 2 BGB) Bedingung (vgl. hierzu im einzelnen Bökelmann, Festschrift für Friedrich Weber, 1975, S. 101, 103 ff). Der Bundesgerichtshof hat in RzW 1960, 191 Nr. 65 ohne nähere Begründung angenommen, daß eine Entschädigung durch einen unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossenen Vergleich erst geregelt worden ist, als dieser nicht mehr widerrufen werden konnte. Er hat also in dem Widerrufsvorbehalt eine aufschiebende Bedingung gesehen, so daß die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit der Bedingung eintritt. Der Nicht-Widerruf des Vergleichs innerhalb der vorgesehenen Frist ist dabei das zukünftige ungewisse Ereignis, von dessen Eintritt die Wirksamkeit des Vergleichs abhängt. In BGHZ 46, 277, 279 hat der Bundesgerichtshof einen mit entsprechendem Widerrufsvorbehalt abgeschlossenen Vergleich dahin ausgelegt, daß jedenfalls dann, wenn der Prozeßgegenstand ein öffentlich-rechtlicher Anspruch ist, der gegen ein Land geltend gemacht wird, zumindest der Wille der Behörde in der Regel dahin gehen wird, daß die mit dem Vergleich getroffene Verfügung Über den Prozeßgegenstand erst wirksam werden soll, wenn die Widerrufsfrist ungenutzt verstrichen ist. Die Auffassung, daß es sich bei einem Widerrufsvorbehalt in einem Prozeßvergleich im Regelfall um die Vereinbarung einer aufschiebenen Bedingung handelt, wird auch überwiegend im Schrifttum geteilt (Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 20. Aufl. § 794 II Rz 61; Thomas/Putzo, ZPO, 12. Aufl. § 794 Anm. II 4 e; Bökelmann a.a.O. m.w.Nachw.; aA Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 41. Aufl., Anh. nach § 307 Anm. 3 B, die eine auflösende Bedingung annehmen).

Der Senat ist im Anschluß an BGH RzW 1960, 191 Nr. 65 und in Fortführung von BGHZ 46, 277, 279 der Auffassung, daß unabhängig von der Rechtsnatur des Anspruchs der in einen Prozeßvergleich zugunsten beider Parteien aufgenommene Vorbehalt, den Vergleich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist zu widerrufen, im Regelfall eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs darstellt. Wenn sich ein anderer Wille der Parteien nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Vergleichs ergibt, entspricht es der Rechtssicherheit, aber auch der Interessenlage beider Parteien, daß aus dem unter Widerrufsvorbehalt abgeschlossenen Vergleich bindende Rechts-Wirkungen erst entstehen, insbesondere aus dem Vergleich auch erst vollstreckt werden kann, wenn bei ungenutztem Ablauf der Widerrufsfrist feststeht, daß der Vergleich Bestand hat. Weil sonst eine Rückabwicklung bereits getätigter Verfügungen über den Prozeßgegenstand notwendig werden könnte, ist im Zweifel nicht anzunehmen, daß die in einem Prozeßvergleich mit Widerrufsvorbehalt übernommene Leistung sofort verlangt (und beigetrieben) werden kann und daß der Prozeß sofort enden soll (vgl. Bökelmann aaO).

Da keine der beiden Parteien von dem Widerrufsvorbehalt Gebrauch gemacht hat, ist somit der am 14. April 1966 protokollierte Vergleich am 12. Mai 1966 wirksam geworden. Auf die Kürze der bei Inkrafttreten der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG noch laufenden Widerrufsfrist kommt es dabei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an. Es ist Folge jeder Fristsetzung, daß die Einhaltung der Frist je nach den Umständen des Einzelfalles Schwierigkeiten bereiten kann.

Der Rentenanspruch der Klägerin ist somit erst nach Inkrafttreten der 7. ÄndVO zur 2. DV-BEG geregelt worden, so daß dem Vergleich nur das nach dieser Verordnung geltende Recht zugrunde gelegt werden kann. Bei der Einreihung der Klägerin in die zweite Lebensaltersstufe der vergleichbaren Beamtengruppe des einfachen Dienstes ergaben sich bei einer verfolgungsbedingten Erwerbsminderung von 25 v. H. somit folgende Vergleichsrenten:

Mindestrente

mittlere Hundertsatzrente (27,5)

ab 1.9.1965

147

149

ab 1.1.1966

153

155

ab 1.10.1966

159

161.

Die mittlere Hundertsatzrente lag daher bereits auf Grund der 7. ÄndVO über der Mindestrente, so daß sich auch auf Grund der nachfolgenden Änderungsverordnungen zur 2. DV-BEG, insbesondere der 8. und 9. ÄndVO, das Verhältnis zwischen der Mindestrente und der mittleren Hundertsatzrente nicht mehr umgekehrt hat und eine Überleitung der Mindestrente in die mittlere Hundertsatzrente nicht mehr zulässig war (BGH RzW 1978, 151; 1980, 25). Der Klägerin konnten daher auch weiterhin nur die Erhöhungen der Mindestbeträge des § 21 a der 2. DV-BEG zuerkannt werden. Da demnach sowohl der Festsetzungsbescheid nach der 7. ÄndVO als auch die nachfolgenden Bescheide über die Linearerhöhungen der Mindestrente richtig waren, kann die Klägerin auch keine Abhilfe gegen diese Bescheide begehren. Ihr steht unter keinem rechtlichen Gesichtpunkt die mittlere Hundersatzrente zu.

 

Unterschriften

Merz, Zorn, Fuchs, Dr. Lang, Winter

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502491

BGHZ

BGHZ, 364

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1984, 109

JZ 1984, 342

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