Leitsatz (amtlich)

a) Ist die Direktklage eines Dritten gegen den Versicherer und den Fahrer rechtskräftig abgewiesen worden, ist eine Klage gegen den Halter gem. § 124 Abs. 1 VVG dann ausgeschlossen, wenn der Versicherer zumindest auch wegen der Halterhaftung erfolglos in Anspruch genommen worden war.

b) Die Rechtskrafterstreckung gem. § 124 Abs. 1 VVG erfolgt auch dann, wenn der Dritte mit seinem Begehren auf Schadensersatz gegen den Versicherer (nur) deshalb unterlegen ist, weil er seine Aktivlegitimation nicht nachweisen konnte.

 

Normenkette

VVG § 124 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.05.2020; Aktenzeichen 2-15 S 156/19)

AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 14.08.2019; Aktenzeichen 29 C 923/18 (40))

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 15. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 26.5.2020 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Verkehrsunfall.

Rz. 2

Der Schwiegersohn der Beklagten (im Folgenden: Fahrer) parkte im September 2015 einen Pkw VW Touran, dessen Halterin die Beklagte ist und das bei der Streithelferin haftpflichtversichert ist, am rechten Straßenrand in einer Kurve und öffnete die Fahrertür. Der Ehemann der Klägerin fuhr mit einem Pkw Hyundai an dem Fahrzeug der Beklagten unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn vorbei und kollidierte mit einem entgegenkommenden Motorrad.

Rz. 3

Die Klägerin nahm zunächst die Streithelferin und den Fahrer vor dem AG Fürth/Odenwald auf Ersatz des Schadens i.H.v. 2.285,62 EUR aus dem Verkehrsunfall in Anspruch. Das AG wies die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihre Eigentümerstellung bezüglich des beschädigten Pkw Hyundai nicht konkret dargelegt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin wies das LG Darmstadt zurück.

Rz. 4

Im hiesigen Rechtsstreit hat die Klägerin nun von der Beklagten Schadensersatz i.H.v. 2.285,62 EUR nebst Zinsen verlangt. Sie hat behauptet, sie sei Eigentümerin des Pkw Hyundai. Zu dem Zusammenstoß mit dem Motorrad sei es gekommen, weil ihr Ehemann der geöffneten Tür des Fahrzeugs der Beklagten habe ausweichen müssen. Die Klageabweisung durch das AG Fürth/Odenwald stehe der Klage gegen die Beklagte nicht entgegen, weil sie aus formellen Gründen erfolgt sei.

Rz. 5

Das AG hat die Klage im Hinblick auf § 124 VVG als unzulässig abgewiesen. Das LG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 6

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Klage gem. § 124 Abs. 1 VVG unzulässig. Die dort geregelte Rechtskraftwirkung trete gegenüber dem Versicherungsnehmer auch dann ein, wenn der Versicherer im Vorprozess in Anspruch genommen worden sei, ohne dass unterschieden worden wäre, ob dies als Versicherer des Versicherungsnehmers (Halters) oder einer mitversicherten Person (Fahrer) geschehen sei. Dies sei hier der Fall, weil die Klägerin in dem Rechtsstreit vor dem AG Fürth/Odenwald die hiesige Streithelferin nicht ausschließlich als Versicherer des Fahrers in Anspruch genommen habe, sondern die Haftung der Streithelferin ausdrücklich auf die Halterhaftung nach § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG gestützt habe. Die Rechtskraftwirkung sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klageabweisung in dem Rechtsstreit vor dem AG Fürth/Odenwald nur aus formellen Gründen erfolgt wäre. Denn die Klageabweisung wegen fehlender Aktivlegitimation sei, anders als in der Literatur teilweise vertreten, eine solche aus sachlichen Gründen.

II.

Rz. 7

Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Die Klage ist wegen der Bindungswirkung des rechtskräftigen klageabweisenden Urteils des AG Fürth/Odenwald gem. § 124 Abs. 1 VVG zugunsten der Beklagten unzulässig.

Rz. 8

1. Die Beklagte ist in persönlicher Hinsicht von der Rechtskrafterstreckung des § 124 Abs. 1 VVG erfasst. Nach dieser Vorschrift wirkt ein rechtskräftiges Urteil, durch das festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherer ergeht, auch zugunsten des Versicherungsnehmers, wenn es zwischen dem Dritten und dem Versicherungsnehmer ergeht, auch zugunsten des Versicherers. Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus betrifft die Bindungswirkung der rechtskräftigen Klageabweisung auch das Verhältnis des (Mit-)Versicherten (Fahrer) zum Versicherer und umgekehrt (BGH, Urt. v. 24.9.1985 - VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18, 22, juris Rz. 18 m.w.N. zur Vorgängerregelung in § 3 Nr. 8 PflVG; W.-T. Schneider in Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 2. Aufl., § 124 Rz. 9; Klimke in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 124 Rz. 11). Voraussetzung ist stets, dass der Dritte gegen den Versicherer gem. § 115 Abs. 1 VVG einen Direktanspruch hat, § 124 Abs. 3 VVG.

Rz. 9

Bei einer Direktklage gegen den Versicherer ist bei der Bestimmung der Reichweite der Rechtskrafterstreckung zu berücksichtigen, dass die Klage auf der Einstandspflicht des Versicherers wegen der Haftungsverantwortlichkeit des Halters oder der des Fahrers oder auf beidem basieren kann (vgl. BGH, Urt. v. 24.9.1985 - VI ZR 4/84, BGHZ 96, 18, 22 f., juris Rz. 19). So ist der Geschädigte etwa nicht gehindert, nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage gegen den Halter den Fahrer bzw. (nur) wegen dessen Haftung den Versicherer in Anspruch zu nehmen (Senatsurteil, a.a.O., S. 22, juris Rz. 18). Wegen der Haftung des Halters kann der Versicherer dagegen nicht mehr in Anspruch genommen werden (Senatsurteil, a.a.O., S. 22, juris Rz. 19). Ist umgekehrt die Klage gegen den Fahrer abgewiesen worden, hindert das nicht die Inanspruchnahme des Halters und des Versicherers nur wegen der Halterhaftung. Für den - hier vorliegenden - Fall, dass zunächst die Klage gegen den Versicherer abgewiesen worden ist, ist eine Klage gegen den Halter dann ausgeschlossen, wenn der Versicherer zumindest auch wegen der Halterhaftung erfolglos in Anspruch genommen worden war (W.-T. Schneider in Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 2. Aufl., § 124 Rz. 9; Klimke in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 124 Rz. 11; OLG Saarbrücken NJW-RR 2010, 326, 329, juris Rz. 44 f.). Dies gilt unabhängig davon, ob - wie hier - der Geschädigte nicht nur gegen den Versicherer, sondern auch gegen den Fahrer erfolglos vorgegangen war. Dies entspricht auch dem Zweck des § 124 Abs. 1 VVG, wonach der Haftpflichtversicherer nicht Gefahr laufen soll, trotz eines für ihn günstigen Urteils (hier: keine Einstandspflicht, auch nicht für den Halter) im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2008 - VI ZR 131/07 VersR 2008, 485 Rz. 7 zu § 3 Nr. 8 PflVG).

Rz. 10

Dass hier im Vorprozess die Streithelferin zumindest auch als Versicherer der Beklagten in Anspruch genommen worden war, hat das Berufungsgericht - insoweit von der Revision nicht angegriffen - festgestellt. Damit wirkt das rechtskräftige klageabweisende Urteil gegen die Streithelferin auch zugunsten der Beklagten.

Rz. 11

2. Rechtsfehlerfrei ist ferner die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Rechtskraftwirkung des klageabweisenden Urteils des AG Fürth/Odenwald nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil die Klageabweisung, wie die Klägerin meint, nur aus formellen Gründen erfolgt wäre.

Rz. 12

Gemäß § 124 Abs. 1 VVG entfaltet nur ein Urteil Bindungswirkung, durch das festgestellt wird, dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht. Damit erfolgt - sofern der Ersatzanspruch gegen den Versicherer und den Versicherungsnehmer aus demselben Sachverhalt hergeleitet wird (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1981 - VI ZR 304/79 VersR 1981, 1158, 1159, juris Rz. 18; BT-Drucks. IV/2252, 18 zu § 3 Nr. 8 PflVG) - die Rechtskrafterstreckung gem. § 124 Abs. 1 VVG auch dann, wenn der Dritte mit seinem Begehren auf Schadensersatz gegen den Versicherer (nur) deshalb unterlegen ist, weil er seine Aktivlegitimation nicht nachweisen konnte.

Rz. 13

a) Sowohl der Wortlaut des § 124 Abs. 1 VVG als auch die gesetzliche Begründung zu § 3 Nr. 8 PflVG als Vorgängerregelung des § 124 Abs. 1 VVG legen eine Auslegung dahin nahe, dass die Rechtskrafterstreckung immer dann Platz greift, wenn der Anspruch aus sachlichen und nicht etwa aus prozessualen Gründen abgewiesen wird (BGH, Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 256/02 VersR 2003, 1121, 1122, juris Rz. 11 f.; BT-Drucks. IV/2252, 18).

Rz. 14

b) Eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass ein klageabweisendes Urteil dann keine Bindungswirkung entfaltet, wenn es (nur) auf die fehlende Aktivlegitimation des Anspruchstellers gestützt ist, widerspräche nicht nur dem Wortlaut und der gesetzlichen Begründung, sondern auch Sinn und Zweck des § 124 Abs. 1 VVG. Der Gesetzgeber hat in § 3 Nr. 8 PflVG und nachfolgend in § 124 Abs. 1 VVG die Erstreckung der Rechtskraft klageabweisender Urteile vorgesehen, um dem Versicherer nachteilige Folgen aus der Doppelgleisigkeit der Ansprüche des Geschädigten gegen Versicherer und Schädiger zu vermeiden. Er wollte erreichen, dass der Anspruch gegen den Versicherer - abweichend von den allgemeinen Vorschriften (§§ 421 ff. BGB; § 325 Abs. 2 ZPO) - hinsichtlich der Wirkung eines abweisenden Gerichtsurteils im Regelfall das Schicksal des Schadensersatzanspruchs gegen den Ersatzpflichtigen teilt und umgekehrt (BGH, Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 256/02 VersR 2003, 1121, 1122, juris Rz. 14; vgl. BT-Drucks. IV/2252, 15). Wie bereits ausgeführt, soll der Haftpflichtversicherer nicht Gefahr laufen, trotz eines für ihn günstigen Urteils im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (vgl. BGH, Urt. v. 15.1.2008 - VI ZR 131/07 VersR 2008, 485 Rz. 7 zu § 3 Nr. 8 PflVG). Ein "echter" Widerspruch zwischen den Entscheidungen gegenüber Versicherer und Versicherungsnehmer muss daher vermieden werden (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1981 - VI ZR 304/79 VersR 1981, 1158, 1159, juris Rz. 18, 20). Die negative Entscheidung über den Direktanspruch gegen den Versicherer wirkt demnach auch zugunsten des nicht unmittelbar von diesem Urteil betroffenen Versicherungsnehmers. Das hat zur Folge, dass eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist (BGH, Urt. v. 24.6.2003 - VI ZR 256/02 VersR 2003, 1121, 1122, juris Rz. 15 m.w.N.). Dies gilt von der Interessenlage her auch für diejenigen Fälle, in denen die Haftung des Versicherers mangels Aktivlegitimation des Anspruchstellers abgewiesen worden ist und sich der Sachverhalt seither nicht (beispielsweise durch eine Abtretung des Klageanspruchs, vgl. Klimke in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 124 Rz. 6) geändert hat.

Rz. 15

c) Der in der Literatur teilweise - allerdings ohne Begründung - vertretenen Ansicht, die Abweisung der Klage wegen fehlender Aktivlegitimation sei eine solche aus "formellen Gründen", die keine Rechtskrafterstreckung bewirke (W.-T. Schneider in Langheid/Wandt, MünchKomm/VVG, 2. Aufl., § 124 Rz. 7; Steinborn in BeckOK VVG, Stand: 1.2.2021, § 124 VVG Rz. 9; Link/Moos in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 124 VVG Rz. 5), folgt der Senat nicht. Eine Klageabweisung erfolgt aus formellen bzw. rein prozessualen Gründen, wenn sie unzulässig ist; über den Haftpflichtanspruch des Geschädigten wird dann nicht entschieden. Die Abweisung einer Klage wegen fehlender Aktivlegitimation ist - anders als etwa eine Abweisung wegen fehlender Prozessführungsbefugnis - eine solche aus materiell-rechtlichen Gründen. Es wird mit ihr i.S.v. § 124 Abs. 1 VVG entschieden, "dass dem Dritten ein Anspruch auf Ersatz des Schadens nicht zusteht." Aus dem von der Revision in der mündlichen Verhandlung zitierten Senat, Urt. v. 18.12.2012 - VI ZR 55/12, DAR 2013, 258 Rz. 13 ergibt sich nichts anderes.

Rz. 16

d) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat das AG Fürth/Odenwald die Klage gegen den Versicherer (hiesige Streithelferin) mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, da sie ihre Eigentümerstellung nicht dargelegt habe. Damit hat es den Haftungsanspruch der Klägerin aus sachlichen Gründen verneint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14485666

BB 2021, 1345

NJW 2021, 2808

NJW 2021, 8

DAR 2022, 435

JZ 2021, 408

JZ 2021, 413

JuS 2021, 1193

MDR 2021, 817

VRS 2021, 203

VersR 2021, 927

ZfS 2021, 684

NJW-Spezial 2021, 362

r+s 2021, 388

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