Leitsatz (amtlich)

›A) Die Eröffnung des Seerechtlichen Verteilungsverfahrens unterbricht den Rechtsstreit wegen des Anspruchs aus der Verwendung des Schiffes auch dann, wenn sie erst während des Revisionsrechtszuges erfolgt.

b) In diesem Fall kann der Rechtsstreit ebenfalls fortgesetzt werden, soweit der Gläubiger die unbeschränkte Haftung des Reeders (Schuldners) behauptet und daher den Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will. § 561 Abs. 1 ZPO steht dem Vertrag neuer Tatsachen seitens der Parteien zur Frage einer unbeschränkten Haftung des Schuldners nicht entgegen.

c) Bereedert eine Personengesellschaft ein Schiff, so gilt für einen persönlich haftenden Gesellschafter, der zugleich Kapitän des Schiffes ist, nicht die Regelung des § 482 Abs. 2 Satz 2 HGB a. F.‹

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg

LG Hamburg

 

Tatbestand

Die in Marokko ansässige Klägerin hat eine Partie von 1.030 t Johannisbrot-Früchte an die G Import S. A. (nachfolgend: G) in F (Schweiz) - fob gestaut Kenitra - verkauft. Die Klägerin hat die Partie an die James A (Ireland) Ltd. (nachfolgend: A) weiterveräußert. Die Ware ist im Januar 1984 von Kenitra/Mehdia (Marokko) nach Kinsale (Ireland) mit dem MS "Dithmarschen" verschifft worden. Dort ist sie ohne Rückgabe des (in drei Ausfertigungen ausgestellten) Konnossements an A ausgeliefert worden. Deswegen fordert die Klägerin, die den Kaufpreis von G auch aus dem vereinbarten Akkreditiv nicht erhalten hat, von den Beklagten Schadensersatz. Von ihnen bereedert die Beklagte zu 1, eine Kommanditgesellschaft, das MS "Dithmarschen". Die Beklagten zu 2 und 3 sind ihre persönlich haftenden Gesellschafter. Außerdem war der Beklagte zu 3 Kapitän des Schiffes während der Reise von Mehdia nach Kinsale. Die Klägerin besitzt die gleichlautenden Ausfertigungen des Konnossements. Dieses ist von dem Kapitän des MS "Dithmarschen" unterzeichnet, gibt den Namen des Verfrachters (A Shipping B.V.) nicht an und ist an Order gestellt. Die Klägerin hat die Konnossementsausfertigungen, die sämtlich nicht indossiert sind, von der P Transit et Maritime erhalten, die für sie als Spediteur und Zollagent im Ladehafen tätig gewesen ist. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 417.145, 95 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagten wie Gesamtschuldner zur Zahlung von 357.145, 95 DM nebst Zinsen verurteilt; im übrigen hat es die Abweisung der Klage aufrechterhalten. Nach Zustellung des Berufungsurteils hat die Beklagte zu 1 am 17. Oktober 1986 beim Amtsgericht Hamburg die Durchführung eines Verfahrens nach der Seerechtlichen Verteilungsordnung vom 21. Juni 1972 (Verteilungsverfahren) beantragt. Ferner haben die Beklagten am 21. Oktober 1986 Revision gegen das Berufungsurteil eingelegt. Mit Beschluß vom 17. November 1986 hat das Amtsgericht Hamburg das Verteilungsverfahren hinsichtlich der Ansprüche wegen der Auslieferung der Partie Johannisbrot-Früchte Ende Januar 1984 in Kinsale eröffnet und die Haftungssumme endgültig auf 69.463, 23 DM festgesetzt. Nach Ansicht der Beklagten, die mit der Revision die vollständige Abweisung der Klage erstreben, ist damit der Rechtsstreit unterbrochen. Demgegenüber meint die Klägerin, daß im Revisionsrechtszug die Eröffnung des Verteilungsverfahrens nicht zu beachten sei. Im übrigen ist sie der Auffassung, daß dieses Verfahren die Verfolgung ihres Anspruchs ohnehin nicht berühre. Da der Beklagte zu 3 die Partie ohne Rückgabe einer Konnossementsausfertigung ausgeliefert und damit deren Verlust verschuldet habe, könnten die Beklagten ihre Haftung für den ihr, der Klägerin, daraus entstandenen Schaden nicht beschränken. Der Senat hat die Revision angenommen, soweit die Klägerin die unbeschränkte Haftung der Beklagten geltend macht.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Nach der Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen vom 17. Juli 1987 - BGBl. II 407 ist dieses Übereinkommen für die Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1987 in Kraft getreten und damit auch die geänderte Fassung der §§ 486 bis 487 e HGB (Beschränkung der Haftung für Seeforderungen) durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz vom 25. Juli 1986 - BGBl. I 1120 (vgl. dessen Art. 11 Abs. 1) sowie die Seerechtliche Verteilungsordnung vom 25. Juli 1986 - BGBl. I 1130 (vgl. deren § 40 Abs. 1). Die Neuregelungen bleiben jedoch außer Betracht in den Fällen, in denen das Ereignis vor dem 1. September 1987 eingetreten ist, aus dem die Ansprüche entstanden sind, für welche die Haftung beschränkt werden kann (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 des Zweiten Seerechtsänderungsgesetzes, § 38 Abs. 1 Satz 2 SeeVertO 1986). Danach sind im Streitfall die §§ 486 bis 487 d HGB (Beschränkung der Haftung des Reeders, des Charterers und der Schiffsbesatzung) in der bis zum 31. August 1987 geltenden Fassung und die Vorschriften der Seerechtlichen Verteilungsordnung vom 21. Juni 1972 anzuwenden (vgl. auch Herber, TranspR 1986, 327/328).

2. Nach § 486 Abs. 1 und 5, § 487 Abs. 1 und 3 HGB a.F. können der Reeder und bestimmte weitere Personen die Haftung für vertragliche und außervertragliche Ansprüche Dritter auf Ersatz von Personen- und Sachschäden (summenmäßig) beschränken, sofern die Ansprüche aus der Verwendung des Schiffes entstanden sind und nicht einer der Ausnahmefälle gemäß § 486 Abs. 2 bis 5, § 487 Abs. 2 und 3 HGB a.F. gegeben ist. Die Haftungsbeschränkung wird durch die Eröffnung des Verteilungsverfahrens bewirkt (§ 487 a Abs. 1 HGB a.F.). Mit dem Erlaß des Eröffnungsbeschlusses werden Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, für welche die Haftung beschränkt worden ist, nach § 8 Abs. 2 SeeVertO 1972 (= § 8 Abs. 3 SeeVertO 1986) unterbrochen, bis sie gemäß § 19 SeeVertO 1972 (= § 19 SeeVertO 1986) aufgenommen werden oder bis das Verteilungsverfahren aufgehoben oder eingestellt wird. Die Unterbrechung nach § 8 Abs. 2 SeeVertO 1972, der § 240 ZPO nachgebildet ist (vgl. BTDrucks. VI/2226 S. 18), tritt auch dann ein, wenn das Verteilungsverfahren erst während der Revisionsinstanz eröffnet wird (zur entsprechenden Rechtslage im Rahmen des § 240 ZPO vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1953 - VI ZR 203/52, LM § 146 KO Nr. 4; Urt. v. 2. Dezember 1974 - II ZR 132/73, LM § 387 BGB Nr. 53). § 8 SeeVertO 1972 bezweckt ähnlich wie § 240 ZPO, daß ein Anspruch, der schon rechtshängig ist, in dem Rechtsstreit erst weiterverfolgt werden kann, wenn er in einem gerichtlichen Verteilungsverfahren geprüft und bestritten geblieben ist (vgl. §§ 18, 19 SeeVertO 1972 sowie BGHZ 76, 206, 209).

Allerdings kann der Rechtsstreit zwischen einem Gläubiger und dem Schuldner wegen eines Anspruchs aus der Verwendung des Schiffes trotz der Eröffnung des Verteilungsverfahrens ohne weiteres fortgesetzt werden, soweit der Gläubiger wie hier - die unbeschränkte Haftung des Schuldners behauptet und daher den Anspruch außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgen will. Das hat der Senat bereits für den Fall entschieden, daß das Verteilungsverfahren während der Berufungsinstanz eröffnet worden ist (BGHZ 76, 206, 210). Das kann bei einer Eröffnung des Verteilungsverfahrens während der Revisionsinstanz nicht anders sein. Insbesondere steht der Erklärung des Gläubigers, den Schuldner wegen unbeschränkter Haftung außerhalb des Verteilungsverfahrens in Anspruch zu nehmen, nicht die Vorschrift des § 561 Abs. 1 ZPO entgegen, da die Erklärung verfahrensrechtlichen Charakter hat.

3. Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich dem von der Klägerin außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgten Anspruch weder die Einrede mangelnder Sicherheit wegen der Prozeßkosten noch diejenige des Schiedsvertrages entgegenhalten.

a) Marokko ist wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaat des Haager Übereinkommens über den Zivilprozeß vom 1. März 1954 (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 46. Aufl. Anh. § 110 Anm. 3). Nach dessen Art. 17 darf den Angehörigen eines Vertragsstaats als Kläger eines Rechtsstreits keine Ausländersicherheitsleistung auferlegt werden. Damit ist zwischen den beiden Staaten die Gegenseitigkeit im Sinne von § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gegeben.

b) Es ist richtig, daß der Chartervertrag zwischen G und der A Shipping B.V. vom 4. Januar 1984 die CENTROCON-Arbitration-Clause enthält. Auch weisen die von dem Beklagten zu 3 am 14. Januar 1984 unterzeichneten Ausfertigungen des Konnossements (Code name: Congenbill) eine Inkorporationsklausel aus ("All the terms, conditions, liberties and exceptions of the Charter Party are herewith incorporated"). Jedoch bezieht diese Klausel die Arbitration Clause des Chartervertrages nicht wirksam in die Bedingungen des Konnossements ein. Diese Frage ist, was zwischen den Parteien unbestritten ist, nach englischem Recht zu entscheiden. Danach kommt, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, die Einbeziehung der Schiedsgerichtsklausel einer Chartepartie in ein Konnossement nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen in Betracht, die nach den weiteren Darlegungen des Berufungsgerichts hier nicht gegeben sind. Daran ist der Senat gebunden, da ausländisches Recht grundsätzlich nicht revisibel ist (vgl. § 549 Abs. 1 ZPO). Selbst wenn daher das Berufungsgericht die Voraussetzungen teilweise verkannt haben sollte, unter denen nach englischem Recht die Schiedsgerichtsklausel einer Chartepartie in ein Konnossement inkorporiert wird, so kann die Revision mit dieser Rüge keinen Erfolg haben. Im übrigen hat sie Anhaltspunkte dafür, daß das Berufungsgericht bei der Ermittlung des einschlägigen englischen Rechts § 293 ZPO verletzt haben könnte, nicht aufzuzeigen vermocht.

4. Der Revision ist ferner nicht zu folgen, soweit sie meint, die Klägerin sei für die Geltendmachung des von ihr außerhalb des Verteilungsverfahrens weiterverfolgten - Anspruchs nicht aktiv legitimiert.

Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts ist die Klägerin berechtigte Inhaberin der drei Originalausfertigungen des Konnossements. Für die Klägerin sei als Versandspediteur die Firma P in Kenitra tätig gewesen. Diese habe die Güter entweder als Vertreterin der Klägerin oder im eigenen Namen abgeladen und entweder in der einen oder in der anderen Stellung die Konnossementsausfertigungen entgegengenommen. Im ersten Falle habe die Klägerin als Abladerin die Rechte aus dem Konnossement, insbesondere den Auslieferungsanspruch, unmittelbar erworben. Im zweiten Falle sei dies durch Übertragung der Rechte seitens der Firma P geschehen. Allerdings trage keine der Konnossementsausfertigungen ein Indossament. Indes sei ein solches für die Übertragung der in einem Konnossement verbrieften Rechte nicht unbedingt erforderlich. Insoweit reiche auch die bloße Abtretung der verbrieften Rechte unter Übergabe des Papiers. Das sei hier anzunehmen, falls die Klägerin das Konnossement nicht unmittelbar von der - nach § 644 Satz 1 HGB als Verfrachter geltenden - Beklagten zu 1 erhalten haben sollte. Daß die Klägerin die Rechte aus dem Konnossement habe erlangen sollen, habe dem Willen aller Beteiligten entsprochen, und zwar auch dem von G, die nur Befrachter des MS "Dithmarschen", hingegen nicht Ablader der Güter gewesen sei. Ersichtlich sei die Aushändigung der Konnossementsausfertigungen an die Klägerin geschehen, weil sie, Exporteurin und Eigentümerin der noch nicht von G bezahlten Güter, diese der Bank zwecks Zahlung der Akkreditivsumme (Kaufpreis) vorlegen mußte und bis dahin durch die Rechte aus dem Konnossement gesichert bleiben sollte.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen diese Ausführungen. Im Gegensatz zu dem Berufungsgericht meint sie, Ablader der Güter sei G gewesen. Sie schließt das daraus, daß deren Name in den Konnossementsausfertigungen in der mit "Shipper" überschriebenen Spalte eingetragen ist. Indes wird die Abladerstellung nicht durch den Eintrag des Namens eines bestimmten an einem Seetransport beteiligten Unternehmens in dieser Spalte begründet. Vielmehr ist Ablader derjenige, der die Güter auf Grund des Frachtvertrages dem Verfrachter übergibt, sei es durch Lieferung direkt. an oder auf das Schiff oder an eine Landannahmestelle des Verfrachters (Prüßmann/Rabe, Seehandelsrecht 2. Aufl. Vor § 556 Anm. II C 1; Schaps/Abraham, Seerecht 4. Aufl. Seehandelsrecht Vor § 556 Rn. 7; Wüstendörfer, Neuzeitliches Seehandelsrecht 2. Aufl. S. 225). Das ist hier nach den Ausführungen des Berufungsgerichts seitens des Spediteurs der Klägerin, der Firma P , geschehen, wobei diese entweder als Vertreterin der Klägerin oder im eigenen Namen gehandelt hat. Ausdrücklich heißt es in dem angefochtenen Urteil, die Eintragung von G in die Spalte "Shipper" der Konnossementsausfertigungen sei lediglich aus Vereinfachungsgründen erfolgt, um dieses Unternehmen nach Zahlung der Akkreditivsumme als berechtigte Konnossementsinhaberin auszuweisen, ohne daß es eines Indossaments bedurft hätte. Im übrigen läßt sich selbst dem Vortrag der Beklagten nichts dafür entnehmen, daß G die FOB gekauften Güter an das Schiff geliefert hat. Das wäre auch ganz außergewöhnlich, da es bei einem FOB-Kauf Sache des Verkäufers ist, die Ware an Bord des von dem Käufer angegebenen Schiffes zu liefern, ferner das Interesse des Verkäufers dahin geht, das Verfügungsrecht über die verschifften Güter bis zur Bezahlung des Kaufpreises zu behalten, weshalb allein ihm als Ablader der Anspruch auf Aushändigung der Konnossemente gegen den Verfrachter zusteht (vgl. Prüßmann/Rabe aaO. sowie § 642 Abs. 1 HGB.). Im übrigen ist kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb G schon mit der Abladung der Güter die Konnosementsausfertigungen erhalten sollte, obwohl nicht dieses Unternehmen, sondern die Klägerin diese zur Vorlage bei der Akkreditivbank benötigte.

5. In der Auslieferung der Güter in Kinsale an einen Empfänger (A), der mangels Besitz einer Konnossementsausfertigung zum Empfang der Güter nicht berechtigt war, ist deren Verlust im Sinne des § 606 Satz 2 HGB zu sehen (Prüßmann/Rabe aaO. § 606 Anm. C 1 a). Da die Beklagte zu 1 nach § 644 Satz 1 HGB als Verfrachter der Güter gilt, haftet sie der Klägerin für den daraus entstandenen Schaden, sofern der Verlust nicht auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Verfrachters nicht abgewendet werden konnten (§ 606 Satz 2 HGB). Auch hat die Beklagte zu 1 ein Verschulden der Schiffsbesatzung in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden (§ 607 Abs. 1 HGB). Das Berufungsgericht sieht das Verschulden zutreffend darin, daß der Beklagte zu 3, wie die Parteien in den Vorinstanzen übereinstimmend vorgetragen haben, die Partie Johannisbrot-Früchte ohne Vorlage einer Konnossementsausfertigung an A und damit an einen Nichtberechtigten ausgeliefert hat. Auch entlastet es die Beklagten zu 1 und 3, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, nicht, daß der Beklagte zu 3 die Auslieferung der Güter auf Weisung der G vorgenommen hat, selbst wenn er dieses Unternehmen auf Grund seiner Eintragung als "Shipper" im Konnossement für den Ablader der Güter gehalten haben sollte. Eine Weisung des Abladers zur Zurückgabe oder Ablieferung der Güter ist nur dann beachtlich, wenn dem Kapitän sämtliche Konnossementsausfertigungen zurückgegeben werden (§ 654 Abs. 1 HGB). Wird sie hingegen befolgt, ohne daß das der Fall war, so bleibt der Verfrachter dem rechtmäßigen Inhaber des Konnossements (hier also der Klägerin) verpflichtet (§ 654 Abs. 3 HGB). Mit dem Berufungsgericht ist deshalb davon auszugehen, daß die Beklagten der Klägerin für den Verlust der Güter nach §§ 485, 511, 512, 606, 607 Abs. 1, §§ 644, 654 Abs. 1 und 3, §§ 128, 161 Abs. 2 HGB schadensersatzpflichtig sind.

6. Das Berufungsgericht hat die Höhe des Schadens der Klägerin unter Berücksichtigung der Regelung des § 658 Abs. 1 HGB auf 357.145,95 DM berechnet (Kaufpreis seitens A von 417.145, 95 DM abzüglich 60.000 DM Fracht für den Transport von Marokko nach Kinsale, welche G als Befrachterin des MS "Dithmarschen" bezahlt hat). Die Revision meint, die Klägerin habe durch die Auslieferung der Güter an A keinen Schaden erlitten, jedenfalls nicht einen solchen, der dem zuerkannten Betrag entspricht. Im Ergebnis kann sie aber auch insoweit keinen Erfolg haben. Infolge der unberechtigten Auslieferung der Güter an A hat die Klägerin die Möglichkeit, über diese selbst verfügen zu können oder sie auf andere Weise zu verwerten, verloren. Anhaltspunkte dafür, daß die Güter jetzt noch vorhanden oder für die Klägerin greifbar sind, bestehen nicht. Auch ist dem vorgetragenen Sachverhalt nicht zu entnehmen, daß sie über eine realisierbare Kaufpreisforderung gegenüber G verfügt. Infolgedessen ist der Klägerin durch den Verlust der Güter ein Schaden in Höhe des Werts derselben entstanden, so daß ihr dieser im Rahmen des § 658 Abs. 1 HGB (gemeiner Handelswert bei Beginn der Löschung am Bestimmungsort) zu ersetzen ist. Soweit die Beklagten in der Revisionsverhandlung vorsorglich vorgetragen haben, eine Schadensersatzleistung komme nur gegen Abtretung der Kaufpreisforderung der Klägerin gegen G in Betracht, scheitert dieser neue Einwand, mit dem die Beklagten offensichtlich nur eine Zug-um-Zug-Verurteilung erreichen wollen, an der Vorschrift des § 561 Abs. 1 ZPO.

7. Es kann dahinstehen, ob eine Schadensersatzforderung wegen Verlustes der Güter infolge ihrer Auslieferung an einen konnossementsmäßig nicht legitimierten Empfänger überhaupt von der Regelung des § 486 Abs. 1 HGB a.F. umfaßt wird. Insoweit kann zweifelhaft sein, ob der Anspruch noch aus der "Verwendung des Schiffes" im Sinne von § 486 Abs. 1 HGB a.F. entstanden ist (vgl. hierzu Prüßmann/Rabe aaO. § 486 Anm. 2 c). Bejaht man das, so kommt dennoch keine beschränkte Haftung für die Beklagten in Betracht. Der gegenteiligen Ansicht der Revision steht § 486 Abs. 4 Satz 2 HGB a.F. entgegen, wonach der Reeder seine Haftung nicht beschränken kann (und damit auch nicht die Beklagten zu 2 und 3 - vgl. §§ 128, 161 Abs. 2 HGB), wenn ihn selbst oder, falls er eine Personenhandelsgesellschaft ist, einen zur Vertretung berechtigten Gesellschafter an der Entstehung des Schadens ein Verschulden trifft.

a) Die Beklagten haben erstmals im Berufungsverfahren vorgetragen (Schrifts. v. 27. August 1986 S. 14 - GA I 153), daß sie sich für den Fall einer Haftung "auf die Haftungslimitation gemäß §§ 486, 487, 487 a HGB berufen". Dazu haben sie ausgeführt, es bestünden keine Anhaltspunkte dafür,.daß eine Haftungsbeschränkung hier nicht zulässig sei, "da als schadensursächlich allenfalls das Verhalten des Kapitäns bei der Auslieferung ohne Konnossement gesehen werden könnte". Das Berufungsgericht ist auf diesen Punkt mit Recht nicht eingegangen, weil die Haftungsbeschränkung erst mit der nach Erlaß des Berufungsurteils (11. September 1986) erfolgten Eröffnung des Verteilungsverfahrens (17. November 1986) eingetreten sein konnte (§ 487 a Abs. 1 HGB a.F.). Setzt nunmehr, wie hier, der Gläubiger den Rechtsstreit außerhalb des Verteilungsverfahrens fort, so ist den Prozeßparteien eine sachgerechte Prozeßführung im allgemeinen nur möglich, wenn sie zur Frage einer beschränkten oder unbeschränkten Haftung des Schuldners den aus ihrer Sicht wesentlichen Sachverhalt noch vortragen können, auf den es bisher nicht angekommen ist. Nun sieht aber für die Revisionsinstanz § 561 Abs. 1 ZPO vor, daß lediglich dasjenige Parteivorbringen der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Insoweit gilt der Grundsatz, daß die Urteilsgrundlage durch das Ende der Berufungsverhandlung abgeschlossen wird (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 561 Rn. 3). Hiervon hat jedoch die Rechtsprechung aus prozeßwirtschaftlichen Gründen (BGH, Urt. v. 12. Oktober 1984 V ZR 31/83,LM § 561 ZPO Nr. 55) nicht wenige Ausnahmen zugelassen. So ist das Revisionsgericht bei der von Amts wegen durchzuführenden Prüfung einer Prozeßvoraussetzung oder einer Prozeßfortsetzungsbedingung an den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht gebunden, sondern es hat die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst festzustellen (BGH, Urt. v. 21. Juni 1976 - III ZR 22/75, LM § 341 ZPO Nr. 2). Ferner hat das Revisionsgericht Tatsachen zu berücksichtigen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht entstanden sind, wenn sie unstreitig sind und schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (BGHZ 85, 288, 290; vgl. auch BGHZ. 53, 128, 130 f. und Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 46. Aufl. § 561 Anm. 3 E). Zu beachten sind weiter Gesetzesänderungen nach Abschluß der Berufungsinstanz (BGHZ 37, 233, 236). Auch Wiederaufnahmegründe können vom Revisionsgericht zu berücksichtigen sein (BGHZ 5, 240, 247 ff.; 18, 59 f.).

In Fällen der vorliegenden Art bewirkt der Eröffnungsbeschluß des Verteilungsverfahrens, daß materiellrechtlich die Haftungsbeschränkung nach § 486 Abs. 1 und 5, § 487 Abs. 1 und 3 HGB a.F. eintritt sowie verfahrensrechtlich der Rechtsstreit in jeder Lage des Verfahrens unterbrochen wird (§ 8 Abs. 2 SeeVertO 1972), dieser allerdings vom Gläubiger mit der Behauptung unbeschränkter Haftung des Schuldners insoweit weitergeführt werden kann. Dazu muß aber den Parteien, für die es bis dahin im allgemeinen auf diese Frage nicht angekommen ist, auch für den Revisionsrechtszug, und zwar abweichend von § 561 Abs. 1 ZPO, die Befugnis eingeräumt werden, alle hierfür wesentlichen Tatsachen noch vorzutragen, da es wegen der mit dem Eröffnungsbeschluß des Verteilungverfahrens verbundenen materiell- und prozeßrechtlichen Gegebenheiten rechtlich und prozeßökonomisch unvertretbar wäre, den Gläubiger zur Prüfung einer unbeschränkten Haftung des Schuldners auf einen neuen Rechtsstreit zu verweisen. Auch könnte die damit verbundene Verzögerung den Schuldner dazu verleiten, die Eröffnung des Verteilungsverfahrens erst nach Abschluß des Berufungsrechtszuges zu betreiben.

Nun wird allerdings der von den Parteien erstmals im Revisionsrechtszug zur Frage einer beschränkten oder unbeschränkten Haftung des Schuldners gemachte Vortrag vielfach nicht unbestritten sein und damit noch der Klärung bedürfen. Insoweit ist zu bedenken, daß das Revisionsverfahren grundsätzlich von Beweisaufnahmen freizuhalten ist (Stein/Jonas/Grunsky aaO. § 561 Rn. 26). Im allgemeinen wird es deshalb sinnvoll sein, diese Klärung dem Berufungsgericht unter Zurückverweisung der Sache zu übertragen (vgl. auch BGH, Urt. v. 21. Juni 1976 - III ZR 22/75, LM § 341 ZPO Nr. 2; vgl. ferner BGHZ 5, 240, 249; 36, 348, 356). Dazu besteht hier allerdings kein Anlaß. Die Klägerin hat schon in der Klageschrift vorgebracht, daß die Auslieferung der Güter an A durch den Beklagten zu 3 erfolgt ist. Dieses Vorbringen hat sie im Revisionsrechtszug im Hinblick auf die von ihr bejahte unbeschränkte Haftung der Beklagten wiederholt (Schrifts. v. 4. Mai 1987 S. 2). Die Beklagten haben ebenfalls in den Vorinstanzen darauf hingewiesen, daß der Beklagte zu 3. allerdings auf Anordnung von G - die Partie Johannisbrot-Früchte an A ausgeliefert hat (Schrifts. v. 12. Februar 1986 S. 5 und v. 27. August 1986 S. 14). Diesen Vortrag haben sie in der Revisionsbegründungsschrift (S. 18) wiederholt. Danach ist, was die Frage einer beschränkten Haftung angeht, im Revisionsrechtszug davon auszugehen, daß der Beklagte zu 3 die Güter an A in Kinsale ausgeliefert und damit, wie bereits ausgeführt (vgl. oben Nr. 5), deren Verlust verschuldet hat.

b) Neben seiner Befugnis, die Beklagte zu 1 auf Grund seiner Stellung als persönlich haftender Gesellschafter zu vertreten (§ 125 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB), war der Beklagte zu 3 als Kapitän des MS "Dithmarschen" auch Mitglied der Schiffsbesatzung (§ 481 HGB). Für diese gilt nach § 487 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 HGB a.F., daß sie ihre Haftung entsprechend den für den Reeder geltenden Vorschriften beschränken kann, sofern sie den Schaden des Gläubigers in Ausübung ihres Dienstes verursacht hat. Ferner bestimmt § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F., daß die Beschränkung der Haftung einer Person der Schiffsbesatzung nicht durch ihr Verschulden ausgeschlossen wird, es sei denn, daß sie zugleich Reeder oder Charterer ist und den Schaden in dieser Eigenschaft verursacht hat, oder daß sie den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Nun ist der Beklagte zu 3 nicht Reeder oder Mitreeder des MS "Dithmarschen" gewesen, sonder persönlich haftender Gesellschafter der Reederei (Beklagte zu 1). Aber auch in dieser Eigenschaft kann auf ihn die Regelung des § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. nicht - auch nicht sinngemäß - angewandt werden. Die Vorschrift geht auf Art. 6 Abs. 3 des Brüsseler Übereinkommens vom 10. Oktober 1957 über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen zurück (vgl. auch BTDrucks. VI/2225 S. 17). Diese will, daß der Reeder-Kapitän (oder der Mitreeder-Kapitän) nur für sein Verschulden als Reeder unbeschränkt haftet. Er soll gegenüber den großen Reedereien, die ihre Schiffe mit angestellten Kapitänen besetzen, haftungsmäßig nicht ungünstiger stehen (Sotiropoulos, Die Beschränkung der Reeder-Haftung S. 290; Freise, Die summenmäßige Beschränkung der Reederhaftung nach kommendem Recht 1971 S. 126/127; Prüßmann/Rabe aaO. § 487 Anm. C 3; vgl. auch § 4 Abs. 2 Satz 2 BinSchG). Ferner will die Vorschrift vermeiden, daß auf den Reeder auf dem Umweg über die Inanspruchnahme von Besatzungsmitgliedern ein mittelbarer Zwang, vor allem aus moralischen oder rechtlichen Gründen, insbesondere wegen eines etwaigen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs., zu einer über die Haftungsbeschränkung hinausgehenden Erfüllung von Ansprüchen ausgeübt wird (Sotiropoulos aaO. S. 359; BTDrucks. VI/2224 S. 36). Das alles ist aber nicht vergleichbar mit der Stellung eines Gesellschafters, der berechtigt ist, eine Personengesellschaft zu vertreten, die Reeder eines oder mehrerer Schiffe ist, mag er auch eines der Schiffe als Kapitän führen. Er haftet auch nicht als Reeder, sondern nach § 128 HGB. Im übrigen zählt Art. 6 Abs. 3 des Brüsseler Haftungsübereinkommens von 1957 einen solchen Gesellschafter nicht auf. Um so weniger wäre es danach angebracht, auf ihn die Ausnahmeregelung des § 487 Abs. 2 Satz 2 HGB a.F. anzuwenden.

8. Nach alledem kann an der Haftung der Beklagten für den Schaden der Klägerin in Höhe des dieser vom Berufungsgericht zuerkannten Betrages außerhalb des Verteilungsverfahrens kein Zweifel bestehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993652

TranspR 1988, 288

BGHZ 104, 215

BGHZ, 215

NJW 1988, 3092

BGHR HGB § 487 Abs. 2 Satz 2 (a. F.) Haftungsbeschränkung 1

BGHR HGB § 606 Verlust 1

BGHR SeeVertO § 8 Abs. 2 Unterbrechung 1

BGHR ZPO § 561 Abs. 1 Seerecht 1

WM 1988, 1087

MDR 1988, 756

VRS 75, 194

VersR 1988, 625

IPRspr. 1988, 47

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