Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Gläubigerbenachteiligung bei Überweisungen aufgrund erwirktem Pfandrecht des Finanzamts außerhalb des Dreimonatszeitraums

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Gläubiger außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums ein Pfandrecht an einem Kontoguthaben des Schuldners erwirkt, liegt in der Überweisung des Guthabens von dem Schuldner an den Gläubiger wegen des insoweit bestehenden Absonderungsrechts keine Gläubigerbenachteiligung. Die Pfändung des Guthabens selbst unterliegt als Rechtshandlung des Gläubigers nicht der Vorsatzanfechtung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine Gläubigerbenachteiligung durch Vermehrung der Schuldenmasse oder Verminderung der Aktivmasse kann gegeben sein, wenn der Schuldner nach Aussetzung der Vollziehung (AdV) einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Finanzverwaltung über das gepfändete Konto verfügt. Die AdV der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bewirkt, dass der materielle Regelungsgehalt der Pfändungsverfügung bis auf Weiteres nicht mehr verwirklicht werden kann und rechtliche und tatsächliche Folgerungen aus der Pfändungsverfügung nicht mehr gezogen werden dürfen. Für die Dauer der AdV der Pfändungsverfügung sind das Zahlungsverbot für einen Drittschuldner und das Verfügungsverbot für den Vollstreckungsschuldner unbeachtlich. Solange die AdV wirkt, kann der Schuldner (durch eigene Rechtshandlung) wieder über das Kontoguthaben verfügen.

 

Normenkette

InsO § 133 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 50 Abs. 1; AO § 281; ErbStG 2009 § 13a Abs. 4

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 31.08.2011; Aktenzeichen 3 U 166/10)

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 11.06.2010; Aktenzeichen 2-4 O 221/09)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 31.8.2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 104.623,53 EUR nebst Zinsen verurteilt wurde.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 11.6.2010 dahin abgeändert, dass die Klage auf Zahlung i.H.v. weiteren 36.857,89 EUR abgewiesen wird.

Im Übrigen wird die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin ist Verwalterin in dem am 19.10.2005 über das Vermögen der C. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren.

Rz. 2

Die Schuldnerin befand sich seit dem Jahre 2003 in finanziellen Schwierigkeiten. Wegen Steuerrückständen in erheblicher Höhe erließ das Finanzamt (nachfolgend: Finanzamt) am 4.8.2004 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über ein von der Schuldnerin bei der P. AG (nachfolgend: P.) unterhaltenes Konto. Von diesem Konto wurde am 6.8.2004 ein Betrag von 20.000 EUR und am 10.8.2004 ein Betrag von 9.857,89 EUR an das beklagte Land überwiesen. Mit Schreiben vom 12.8.2004 schränkte das Finanzamt die Pfändungs- und Einziehungsverfügung dahin ein, dass die P. ermächtigt war, von dem Konto Zahlungen unmittelbar an die Schuldnerin zu leisten. Im Zeitraum bis zum 14.12.2004 kam es zu weiteren Banküberweisungen der Schuldnerin an den Beklagten, die einen von der Klägerin mit 152.117,95 EUR bezifferten Gesamtbetrag ergeben.

Rz. 3

Das LG hat die auf Erstattung dieser Gelder gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das OLG den Beklagten, der die empfangenen Gelder teilweise zurückgewährt hatte, zur Zahlung von weiteren 146.671,22 EUR verurteilt. Mit der von dem Senat teilweise zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte, die Klage in Höhe eines Betrages von 42.047,69 EUR abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision hat im Umfang ihrer Zulassung Erfolg. Sie führt überwiegend zur Abweisung der Klage und im Übrigen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, im Blick auf die Zahlungen vom 6. und 10.8.2004 über insgesamt 29.857,89 EUR liege infolge der von ihr veranlassten Überweisungen jeweils eine Rechtshandlung der Schuldnerin vor. Da es sich um Überweisungen aus einem Guthaben handele, sei eine Gläubigerbenachteiligung gegeben. Rückgewähransprüche der Klägerin für Zahlungen am 6. und 8.10.2004 bestünden nicht, weil der Beklagte die Erstattung dieser Beträge in substantiierter Form vorgetragen habe.

II.

Rz. 6

Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten rechtlicher Prüfung nicht Stand.

Rz. 7

1. Die auf § 133 Abs. 1 InsO gestützte Anfechtung der von der Schuldnerin am 6. und 10.8.2004 bewirkten Überweisungen i.H.v. 29.857,89 EUR ist unbegründet, weil der Beklagte bereits zuvor an dem Kontoguthaben ein unanfechtbares Absonderungsrecht (§ 50 Abs. 1 InsO) erlangt hatte.

Rz. 8

a) Die Überweisungen stellen Rechtshandlungen der Schuldnerin dar.

Rz. 9

Die Vorschrift des § 133 Abs. 1 InsO setzt als Rechtshandlung ein willensgeleitetes, verantwortungsgesteuertes Handeln des Schuldners voraus. Der Schuldner muss darüber entscheiden können, ob er eine Leistung erbringt oder verweigert. Eine von dem Schuldner bewirkte Überweisung bildet eine Rechtshandlung, auch wenn zuvor zugunsten des Zahlungsempfängers Ansprüche auf Auszahlung gepfändet und ihm zur Einziehung überwiesen wurden (BGH, Urt. v. 9.6.2011 - IX ZR 179/08, WM 2011, 1343 Rz. 10). So verhält es sich im Streitfall.

Rz. 10

b) Im Hinblick auf die bereits am 4.8.2004 seitens des beklagten Landes erwirkte Pfändung des Kontoguthabens fehlt es indessen an einer Gläubigerbenachteiligung. Diese Pfändung selbst unterliegt als Rechtshandlung des Anfechtungsgegners nicht der auf Rechtshandlungen des Schuldners beschränkten Vorsatzanfechtung (§ 133 Abs. 1 Satz 1 InsO).

Rz. 11

aa) Der Insolvenzanfechtung sind gem. § 129 Abs. 1 InsO nur Rechtshandlungen unterworfen, welche die Insolvenzgläubiger objektiv benachteiligen. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn die Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat, mithin wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (BGH, Urt. v. 29.9.2011 - IX ZR 74/09, WM 2011, 2293 Rz. 6).

Rz. 12

bb) Eine solche Benachteiligung ist gegeben, wenn der Schuldner nach Aussetzung der Vollziehung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Finanzverwaltung über das gepfändete Konto verfügt. Die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bewirkt, dass der materielle Regelungsgehalt der Pfändungsverfügung bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden kann und rechtliche und tatsächliche Folgerungen aus der Pfändungsverfügung nicht mehr gezogen werden dürfen. Für die Dauer der Aussetzung der Vollziehung der Pfändungsverfügung sind das Zahlungsverbot für den Drittschuldner und das Verfügungsverbot für den Vollstreckungsschuldner unbeachtlich. Solange die Aussetzung der Vollziehung wirkt, kann der Schuldner wieder über das Kontoguthaben verfügen (BGH, Urt. v. 20.11.2008 - IX ZR 130/07, WM 2009, 129 Rz. 10). Eine Verfügung des Schuldners nach Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung liegt im Streitfall nicht vor. Tatsächlich wurden die Zahlungen am 6. und 10.8.2004 vorgenommen, als die erst am 12.8.2004 aufgehobene Pfändungsverfügung noch wirksam war.

Rz. 13

cc) Angesichts der Zahlung aus dem gepfändeten Guthaben scheidet eine Gläubigerbenachteiligung aus, weil das beklagte Land zur abgesonderten Befriedigung berechtigt war. Das von der Beklagten im Wege der Forderungspfändung erlangte Pfandrecht ist nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar, weil sein Erwerb nicht auf einer Rechtshandlung des Schuldners beruht.

Rz. 14

(1) Die Anfechtung einer Befriedigung ist nicht erfolgversprechend, wenn die Pfändung und Überweisung wirksam und insolvenzbeständig sind. Denn in diesem Falle wird die Gläubigergesamtheit durch die Erlangung der Befriedigung nicht benachteiligt. Der Pfändungspfandgläubiger erhält dadurch nur das, was ihm bereits aufgrund des Pfändungspfandrechts zusteht (BGH, Urt. v. 21.3.2000 - IX ZR 138/99, WM 2000, 1071, 1072). An einer Gläubigerbenachteiligung fehlt es, wenn der Anfechtungsgegner aufgrund eines Pfändungspfandrechts zur abgesonderten Befriedigung (§ 50 Abs. 1 InsO) aus dem überwiesenen Guthaben bei der Drittschuldnerin berechtigt war. Hat der Gläubiger ein anfechtungsfestes Pfandrecht erworben, so braucht er davon gedeckte Zahlungen nicht zurückzugewähren, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligen (BGH, Urt. v. 25.10.2007 - IX ZR 157/06, WM 2008, 168 Rz. 9).

Rz. 15

(2) Im Streitfall ist das von der Beklagten im Wege der Forderungspfändung erwirkte Pfändungspfandrecht nicht selbständig anfechtbar. Die Anträge, die zu der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geführt haben, sind nach dem eigenen Vortrag der Klägerin erst ab April 2005 gestellt worden. Da die Forderungspfändung bereits am 4.8.2004 erfolgte, war die Frist der §§ 130, 131 InsO bis zur Antragstellung längst abgelaufen. Die zeitlich alleine noch in Betracht kommende Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO scheitert am Erfordernis einer Rechtshandlung des Schuldners. Zwangsvollstreckungshandlungen des Gläubigers sind ohne eine vorsätzliche Rechtshandlung oder eine ihr gleichstehende Unterlassung des Schuldners - woran es vorliegend ersichtlich fehlt - nicht nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar (BGH, Urt. v. 10.2.2005 - IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 147 ff., 154; vom 23.3.2006 - IX ZR 116/03, BGHZ 167, 11 Rz. 7).

Rz. 16

2. Das Berufungsgericht hat verfahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO) auf die Klageforderung bewirkte Zahlungen der Beklagten i.H.v. insgesamt 7.000 EUR nicht berücksichtigt.

Rz. 17

Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend - wie auch die Klägerin einräumt - eine Erstattung der von der Schuldnerin am 6. und 8.10.2004i.H.v. 2.000 EUR und 5.000 EUR bewirkten Zahlungen durch den Beklagten in den Entscheidungsgründen erwähnt, es jedoch versäumt, in der Urteilsformel eine entsprechende Reduzierung der Klageforderung vorzunehmen. Die gebotene Kürzung ist auf die auch insoweit begründete Revision durchzuführen.

Rz. 18

3. Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht entgegen § 286 ZPO weiteren erheblichen Sachvortrag des Beklagten außer Acht gelassen hat.

Rz. 19

Das beklagte Land hat sich darauf berufen, auch die Zahlung der Schuldnerin vom 30.9.2004 über 5.000 EUR erstattet zu haben. Dieses Vorbringen hat es in der Berufungserwiderung wiederholt. Da das Berufungsgericht darauf nicht eingeht, besteht die nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Klageforderung um weitere 5.000 EUR zu vermindern ist.

Rz. 20

Schließlich hat der Beklagte im Blick auf den außerdem angefochtenen Betrag i.H.v. 355,40 EUR substantiiert bestritten, eine Zahlung von mehr als 165,60 EUR erhalten zu haben. Dieses Bestreiten i.H.v. 189,80 EUR war erheblich, weil es Sache der Klägerin als Insolvenzverwalterin ist, den Eingang der angefochtenen Zahlungen bei dem Beklagten nachzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2008 - IX ZR 33/07, WM 2008, 413 Rz. 16; v. 18.12.2008 - IX ZR 79/07, WM 2009, 615 Rz. 8). Auch insoweit besteht die Möglichkeit einer Reduzierung der Klageforderung.

III.

Rz. 21

Die Revision führt im Rahmen ihrer Zulassung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Klage ist bezüglich eines Betrages i.H.v. 36.857,89 EUR (29.857,89 EUR plus 7.000 EUR) abzuweisen, weil die Sache insoweit keiner weiteren Feststellungen bedarf und zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Blick auf die von dem Beklagten behauptete weitere Zahlung von 5.000 EUR und sein Bestreiten, über die Zahlung von 165,40 EUR einen weiteren Betrag von 189,80 EUR erhalten zu haben, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil es insoweit wegen des gegensätzlichen Sachvortrags der Parteien einer weiteren tatsächlichen Klärung bedarf.

 

Fundstellen

BFH/NV 2013, 493

BB 2013, 1

DB 2012, 2927

DB 2012, 6

DStR 2013, 12

EBE/BGH 2013

NJW-RR 2013, 165

EWiR 2013, 155

NZG 2013, 396

WM 2013, 48

WuB 2013, 181

ZIP 2012, 2513

DZWir 2013, 136

JZ 2013, 101

MDR 2013, 119

NJ 2013, 130

NJ 2013, 6

NZI 2013, 247

ZInsO 2013, 207

ZInsO 2013, 247

GWR 2013, 71

NJW-Spezial 2013, 183

VE 2013, 75

ZVI 2013, 33

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