Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Umfang der Streupflicht

 

Leitsatz (amtlich)

a) Bei winterlicher Glätte müssen auf öffentlichen Parkplätzen die von den Kraftfahrzeugen befahrenen Teile im Interesse der Wagenbenutzer bestreut werden, wenn die Fahrzeugbenutzer diese Teile nicht nur wenige Schritte als Fußgänger betreten müssen und es sich um einen belebten Parkplatz handelt.

b) Zur Frage der Beweislast bei Ansprüchen wegen Verletzung einer Streupflicht.

 

Normenkette

BGB §§ 839, 823

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Urteil vom 09.11.1964)

LG Bielefeld

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 9. November 1964 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der beklagten Gemeinde Schadensersatz wegen Verletzung der Streupflicht.

Am Montag, dem 12. Dezember 1960, fuhr die Klägerin mit ihrem Ehemann in dessen Kleinwagen, einer Isetta. Der Ehemann parkte den Wagen gegen 12 Uhr auf dem in der Nähe des Gemeindebüros befindlichen öffentlichen Parkplatz der beklagten Gemeinde an der Bahnhofstraße. Der Parkplatz hat eine Größe von ungefähr 50 m × 12 m und eine Einfahrt sowie eine Ausfahrt nach der Bahnhofstraße; der Fußgängerweg ist vom Parkplatz durch einen mit einer Steinkante versehenen und bepflanzten Schutzstreifen abgegrenzt. In der Nacht vorher und am Morgen hatte es geschneit; der Parkplatz war mit Schnee bedeckt; die Temperatur lag etwas unter dem Gefrierpunkt. Die Klägerin ging nach der Ausfahrt; kurz vor ihrem Erreichen stürzte sie. Sie erlitt einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch, der einen mehrmonatigen Krankenhausaufenthalt notwendig machte. Noch heute leidet sie an den Folgen des Unfalls.

Die Beklagte, eine Gemeinde von über 7.000 Einwohnern, hat einen ständigen Streudienst eingerichtet; nach dem Streuplan war auch der Parkplatz zu bestreuen.

Die Klägerin hat bereits eine allgemeine Feststellungsklage eingereicht, aber deren Antrag noch nicht gestellt; sie macht zunächst einen Teil ihres Schmerzensgeldanspruchs geltend und hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 1.500 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Zur Begründung hat sie ausgeführt:

Der Parkplatz sei mit festgefahrenem Schnee bedeckt, sehr glatt, aber nicht bestreut gewesen. Sie sei trotz vorsichtigen Gehens nur durch diese Glätte zu Fall gekommen. Die Beklagte sei mindestens zur Bestreuung eines Überwegs nach dem Ausgang hin verpflichtet gewesen. Im Augenblick des Unfalls habe es nicht mehr geschneit.

Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt und vorgetragen:

Auf dem Parkplatz als Nebenanlage der Fahrbahn habe keine Streupflicht bestanden, insbesondere deshalb nicht, weil es den ganzen Vormittag bis zum Augenblick des Unfalls ständig stark geschneit habe, so daß das Streuen sinnlos gewesen wäre. Im übrigen habe der Gemeindearbeiter W. den Platz ordnungsmäßig bestreut. Die Klägerin hätte auf eine mögliche Glätte Rücksicht nehmen müssen; sie treffe ein Mitverschulden, wenn sie überhaupt wegen der Glätte und nicht wegen einer Obstschale oder zu glatter Schuhe oder eigener Ungeschicklichkeit zu Fall gekommen sei.

Das Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung für gerechtfertigt erklärt und in den Gründen ausgeführt: Auf öffentlichen Parkplätzen von nicht ganz untergeordneter Bedeutung im Zentrum einer Gemeinde müsse mindestens für Fußgänger ein Weg nach dem Ausgang gestreut werden; das sei hier nicht geschehen, obwohl es nicht mehr geschneit habe; die Klägerin sei nur dadurch zu Fall gekommen. Die Berufung der Gemeinde ist ergebnislos geblieben. Dagegen richtet sich ihre Revision, mit der sie ihren Abweisungsantrag weiter verfolgt. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist zutreffend:

Zur Zeit des Unfalls galt in Nordrhein-Westfalen ausschließlich das Preussische Gesetz über die Reinigung öffentlicher Wege vom 1. Juli 1912 (GS S. 187). Das von den Parteien wiederholt erwähnte neue Landesstraßengesetz für Nordrhein-Westfalen ist erst nach dem Unfall am 28. November 1961 (GVBl. 305) erlassen, also nicht anwendbar.

Nach § 1 dieses Preussischen Wegereinigungsgesetzes beschränkt sich die den Gemeinden obliegende Pflicht zur polizeimäßigen Reinigung öffentlicher Wege einschließlich der Schneeräumung und des Bestreuens mit abstumpfenden Stoffen auf „Wege, die überwiegend dem inneren Verkehr der Ortschaft dienen”. Nach § 2 hat sich die Ortspolizeibehörde hinsichtlich der Art, des Maßes und der räumlichen Ausdehnung der polizeilichen Reinigung mit ihren Anforderungen innerhalb der Grenzen des unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse Notwendigen zu halten.

Diese Pflicht der Gemeinde zur polizeimäßigen Reinigung ist eine Amtspflicht und begründet Schadensersatzansprüche bei ihrer Verletzung nach Amtshaftungsrecht. Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht besteht nur dann, wenn die verfassungsmäßig berufenen Organe der Gemeinde keinerlei organisatorische Maßnahmen zur Erfüllung der polizeilichen Wegereinigungspflicht getroffen haben. Hat die Gemeinde einen Streudienst geschaffen, ihn aber unzulänglich eingerichtet oder beaufsichtigt, oder verletzt dieser Streudienst seine Pflichten, dann haftet die Gemeinde für die Folgen dieser Fehler nur nach Amtshaftungsbestimmungen (BGHZ 27, 278; 3.2, 352). Dabei entspricht diese Amtspflicht zur polizeimäßigen Reinigung nach Inhalt und Umfang regelmäßig der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGHZ 40, 379).

Das alles hat das Berufungsgericht beachtet, und insbesondere richtig als Haftungsgrundlage § 839 BGB und Art. 34 GG angenommen, da die Beklagte unstreitig einen Streudienst eingerichtet, organisiert und eingesetzt hat.

II.

Das Berufungsgericht hat sodann seine Entscheidung mit folgenden Erwägungen begründet:

Im Preussischen Wegereinigungsgesetz seien Parkplätze noch nicht erwähnt, sie gehörten aber zu den darin genannten „öffentlichen Wegen”. Jedenfalls seien Parkplätze von einer etwa bestehenden Streupflicht nicht ausgenommen. Derartige öffentliche Parkplätze müßten zum Schutz von Fußgängern dort bestreut werden, wo der Fußgängerverkehr ein sicheres Betreten des Platzes verlange. Danach hätte hier der nähere Bereich der Ein- und Ausfahrten bestreut werden müssen, weil dieser Teil durch den stärkeren Kraftfahrzeugverkehr schneller glatt werde, so daß für die Fußgänger, die dort gehen müßten, ein besonderes Bedürfnis zum Bestreuen bestehe. Dieser Teil des Parkplatzes müsse wie ein normaler Fußgängersteig behandelt werden.

Dieser Streupflicht sei die Beklagte nicht durch die Wetterlage enthoben gewesen. Sie habe ihre Behauptung nicht beweisen können, daß es am Vormittag ständig so geschneit habe, daß das Streuen zwecklos gewesen wäre.

Die Beklagte habe die Streupflicht verletzt, weil der dazu beauftragte Arbeiter W. nach 9 Uhr den losen Schnee mit dem vorhandenen Streugut (Splitt) weggeschoben, aber bis zum Unfall nicht wieder gestreut habe. Diese schuldhafte Pflichtverletzung sei für den Unfall ursächlich geworden. Dafür spreche der Beweis des ersten Anscheins. Tatsachen für einen anderen Geschehensablauf habe die Beklagte nicht bewiesen; sie habe nur gewisse Vermutungen aufgestellt. Die Klägerin habe die übliche Sorgfalt eines Fußgängers walten lassen; Umstände für ein mitwirkendes Verschulden seien nicht festgestellt.

III.

Die dagegen von der Revision erhobenen Bedenken sind im Ergebnis unbegründet.

1.) Die schriftliche Revisionsbegründung rügt nur, das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, daß auf dem Platz eine solche Glätte geherrscht habe, daß ein Fußgänger auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt der Gefahr des Stützens ausgesetzt gewesen sei; keinesfalls habe das Berufungsgericht diese Feststellung begründet.

Die Rüge greift nicht durch.

a) Das Berufungsurteil enthält über die Glätte folgende Bemerkungen: Im Tatbestand heißt es, daß es in der Nacht vorher und am frühen Morgen geschneit gehabt habe, der Parkplatz mit Schnee bedeckt gewesen sei, die Temperatur etwas unter dem Gefrierpunkt gelegen habe und daß die Klägerin auf dem schneebedeckten Boden ausgerutscht und gestürzt sei. In den Gründen finden sich folgende Bemerkungen: Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Parkplatz mindestens an der Unfallstelle mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen (BU S. 6); wo der Fußgängerverkehr ein sicheres Betreten des Platzes verlange, müsse gestreut werden (BU S. 6). Durch die Konzentration des Fußgängerverkehrs und des Kraftfahrzeugverkehrs im näheren Bereich der Ein- und Ausfahrt ergebe sich, daß der Boden bei Schneeglätte hier schneller glatt werde und glatter sei als die übrige Parkplatzfläche; daraus folge ein besonderes Bedürfnis zum Streuen (BU S. 7). Seite 9 heißt es dann: „Die somit erwiesene Streupflichtverletzung … war ursächlich für den Unfall der Klägerin. Da feststeht, daß die Unfallstelle nicht bestreut und schneeglatt gewesen ist, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür …”. Und weiter heißt es über die Auffahrt: „Ihre einzige Gefahr bestand in der Schneeglätte” (BU S. 9 unten).

Die Gesamtwürdigung dieser verschiedenen Stellen des Urteils ergibt den Ausdruck der Überzeugung des Berufungsgerichts davon, daß die Unfallstelle so schneeglatt gewesen sei, daß ein sicheres Begehen durch Fußgänger ohne Bestreuung mit abstumpfenden Mitteln nicht möglich gewesen sei. Allerdings hätte das Berufungsgericht zweckmäßigerweise die Feststellungen über den tatsächlichen Zustand zusammenfassen und dabei ausführen sollen, daß die Voraussetzungen erfüllt seien, die eine Streupflicht begründen. Das ist aber nur ein formaler Mangel des Urteils, der seinen Bestand nicht erschüttert und dadurch zu erklären ist, daß in der Verhandlung vor dem Berufungsgericht das Schwergewicht des Verfahrens bei anderen Fragen lag.

Bei dieser Prozeßlage genügten die erwähnten Ausführungen des Urteils als Feststellung und zu ihrer Begründung.

b) Nach diesen Feststellungen war das Maß der Glatte auch so, daß eine Streupflicht bereits entstanden war.

Gewiß besteht eine Streupflicht nicht bei jedem Schneefall, sondern erst bei einer gewissen Glätte, also insbesondere bei glatten festgetretenem oder festgefahrenem Schnee. Dabei ist der Umfang der Streupflicht für die Fahrbahn und für Fußgängerwege verschieden.

Die Reinigungspflicht nach dem Wegereinigungsgesetz entspricht nach Inhalt und Umfang der allgemeinen Reinigungspflicht (BGHZ 40, 379). Diese allgemeine Reinigungspflicht und damit auch die zu ihr gehörende Streupflicht ist Teil der Straßenverkehrssicherungspflicht. Diese soll den Gefahren begegnen, die aus der Zulassung eines Verkehrs auf öffentlichen Straßen entstehen. Gefährlich ist dabei eine Straßenstelle, deren Beschaffenheit die Möglichkeit eines Unfalls auch dann nahelegt, wenn der Verkehrsteilnehmer trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt das nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und abwehren kann (BGHZ 31, 73; VersR 1960, 349). Der Pflichtige muß die Verkehrsteilnehmer vor den von der Straße ausgehenden Gefahren schützen, die dem Benutzer trotz zweckgemäßer Benutzung drohen. Das bedeutet für die Streupflicht, falls eine solche besteht, folgendes: Der Pflichtige hat durch Bestreuung mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen.

Nach dem oben erwähnten Inhalt des Berufungsurteils bestehen Keine Bedenken gegen die Annahme, daß das Berufungsgericht von einer Glätte aufgegangen ist, die bereits so stark war, daß sie an dieser Stelle auch für einen aufmerksamen Fußgänger die Gefahr des Rutschens und Stürzens mit sich brachte. Im einzelnen war insoweit die tatrichterliche Überzeugung maßgebend, deren Ergebnis und Abgrenzung sich bei Fällen dieser Art schwer in Worte fassen läßt. Es ist nicht ersichtlich, daß das Oberlandesgericht dabei die von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen verkannt oder überspannt hat.

c) Die Beklagte hat in der Verhandlung noch um Prüfung gebeten, ob das Berufungsgericht die Beweislast richtig verteilt hat.

Das Oberlandesgericht hat Beweis über die Behauptung erhoben, es habe am Vormittag des Unfalltages bis zum Unfall derart geschneit, daß ein Streuen nutzlos gewesen wäre; es würdigt das Beweisergebnis dahin, daß die Beklagte insoweit den ihr obliegenden Beweis nicht erbracht habe.

Ein Rechtsfehler ist auch insoweit nicht ersichtlich.

Der Vortrag der Beklagten war erheblich. Denn für die Streupflicht bestehen bestimmte Grenzen: Sie beginnt bei vorhandener Glätte im allgemeinen am Morgen mit dem Einsetzen des Verkehrs und endet am Abend. Entsteht eine Glätte erst im Laufe des Tages, dann muß dem Pflichtigen ein angemessener Zeitraum zur Verfügung stehen, um die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Glätte einzuleiten. Andererseits braucht der Pflichtige keine zwecklosen Maßnahmen zu ergreifen. Dichter Schneefall Kann sehr bald alle Streumittel so weit bedecken, daß sie wirkungslos werden; in solchen Fällen wird dem Verpflichteten wiederum eine angemessene Frist gewährt, bis er nach Beendigung eines solchen dichten Schneefalls mit dem Streuen beginnen muß. Aber anhaltender oder drohender Schneefall befreit nicht unter allen Umständen von der Streupflicht. Es kommt auf die Stärke des Schneefalls sowie auf die Beschaffenheit des Schnees und des Bodens an. Wenn ein leichter Schneefall nur eine dünne Schneedecke schafft, die durch den Verkehr schnell zertreten wird, so daß grobe Streumittel noch ausreichende Wirkung zeigen, dann muß trotz des Schneefalls gestreut werden. Das ist gefestigte Rechtsprechung (RGZ 133, 226; BGH VersR 1955, 456; 1963, 1047).

Daraus ergibt sich für die Beweislast folgendes: Grundsätzlich muß der Verletzte alle Tatsachen beweisen, aus denen sich sein Anspruch ergibt, also hier alle Umstände, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht ergibt. Er muß also z.B. nachweisen, daß eine solche Glätte herrschte, die ein Bestreuen zur Beseitigung der für diese Örtlichkeit Gestehenden Gefahren nötig machte; er muß nachweisen, daß es sich um eine solche Stelle handelte, bei der überhaupt eine Streupflicht besteht; er muß auch beweisen, daß er infolge dieser Glätte eine Verletzung erlitten hau. Er muß auch bei Streit darüber, ob die zeitlichen Grenzen der Streupflicht beachtet sind, den. Sachverhalt dartun, der ergibt, daß zur Zeit des Unfalls bereits oder noch eine Streupflicht bestand, also unter Umständen die genaue Uhrzeit des Unfalls dartun oder die Überschreitung der angemessenen Zeit nach Auftreten der Glätte im Verlaufe eines Tages. Anders liegt der Fall jedoch hier, wenn der Kläger eine die Streupflicht auslösende Glätte und sein Stürzen infolge dieser Glätte nachgewiesen hat, aber der Beklagte nur behauptet, es hätte infolge eines im Laufe des Tages neu einsetzenden Schneefalls keine Streupflicht bestanden. Denn nach den früheren Ausführungen befreit nicht jeder im Verlauf eines Tages einsetzende Schneefall von der Streupflicht, sondern nur ein Schneefall von besonderer Stärke, Art oder mit bestimmten Begleitumständen. Deshalb entspricht diese Prozeßlage mehr den Fällen, in denen ein Beklagter eine schuldtilgende Einwendung vorträgt, sich also auf schuldbefreiende Tatsachen beruft, aus denen sich ergibt, daß seine entstandene Verpflichtung später wieder erloschen ist. Für derartige echte Einwendungen ist immer der Beklagte beweispflichtig. Es ist deshalb der im Schrifttum und Rechtsprechung bereits vertretenen Auffassung zuzustimmen, daß in diesen Fällen, in denen der Kläger eine gefährliche Glätte des Bodens bereits nachgewiesen hat, der Beklagte beweisen muß, daß ein so starker Schneefall eingesetzt und bis kurz vor dem Unfall angedauert hatte, daß eine Streuung zwecklos gewesen wäre (vgl. dazu BGH VersR 1955, 456; VersR 1963, 1047; Palandt BGB 22. Aufl. § 823 Anm. 14 S. 704; Ketterer-Friederich, Die Streupflicht 2. Aufl. S. 92).

2.) Die Nachprüfung des Urteils im übrigen, die dem Revisionsgericht nach § 559 ZPO obliegt zeigt auch sonst keinen sachlich-rechtlichen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten.

Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, daß auf dem öffentlichen Parkplatz in gewissem Umfange eine Streupflicht für den Fußgängerverkehr bestand.

Nach der Rechtsprechung besteht keine allgemeine Streupflicht für alle Straßen oder Plätze, da es einfach unmöglich ist, durch Bestreuen alle Straßen im Winter völlig gefahrlos zu gestalten und zu erhalten. Entstehung, Umfang und Maß einer Streupflicht richten sich danach, was zur gefahrlosen Sicherung des Verkehrs erforderlich ist, dem die jeweilige Verkehrseinrichtung dient, und was dem Pflichtigen zumutbar ist. Art und Wichtigkeit der Verkehrseinrichtung sowie die Stärke des Verkehrs bestimmen also entscheidend den Umfang einer Streupflicht. Nur so ist auch § 2 des preussischen Wegereinigungsgesetzes zu verstehen. Für Fußgänger müssen regelmäßig bei Winterglätte – abgesehen von gewissen, hier nicht zutreffenden ländlichen Verhältnissen – die Fußgängerwege und die belebten, über Fahrbahnen führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege innerhalb der geschlossenen Ortschaft bestreut werden. Jedoch genügt es, eine sichere Verbindung zwischen den verschiedenen Ortsteilen oder Straßenteilen zu schaffen, falls diese den Verkehr tragen kann und die Verkehrsteilnehmer nicht zu übermäßigen Umwegen nötigt. Das alles entspricht einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 1960, 41; VersR 1957, 785; 1960, 450; 1963, 661).

Hier hat sich der Unfall auf einem öffentlichen Parkplatz ereignet, der von der Fahrstraße durch den Fußgängerweg abgetrennt war, wobei noch zwischen Fußgängerweg und Parkplatz ein mit einer Kante versehener, bepflanzter Schutzstreifen lag. Öffentliche Parkplätze sind dem öffentlichen Verkehr gewidmete, zur Aufnahme des ruhenden Verkehrs bestimmte Verkehrsflächen (Kodal, Straßenrecht 2 Aufl. S. 446) Ein solcher Parkplatz ist zwar in erster Linie für Kraftfahrzeuge bestimmt, muß aber stets von den Fahrzeuginsassen als Fußgänger benutzt werden, wenn sie die Wagen verlassen oder wieder zu ihnen gelangen wollen. Deshalb darf ein derartiger Parkplatz für die Streupflicht nicht einfach wie eine Fahrbahn behandelt werden. Eine für alle Parkflächen gleichmäßig geltende Regel läßt sich dabei jedoch nicht aufstellen. Auszugehen ist davon, daß die Streupflicht als Teil der Verkehrssicherungspflicht nur wirkliche Gefahren beseitigen, nicht aber bloßen Unbequemlichkeiten vorbeugen soll. Wenn beispielsweise ein Kraftfahrer bei Winterglätte seinen Wagen auf einer Straße am Bürgersteig zum Parken abstellt und mit wenigen Schritten den bestreuten Bürgersteig oder andere sichere Straßenteile erreichen kann, besteht keine Streupflicht auf dem zum Parken benutzten Straßenraum, zumal die Wageninsassen am Wagen Halt finden. Auch die Gestaltung eines Parkplatzes kann so sein, daß die Fahrzeug-Insassen sogleich die umgebenden Gehwege betreten können, also nicht die für die Fahrzeuge bestimmten Teile benutzen müssen. Bei derartigen Plätzen besteht im Interesse der Fußgänger keine Streupflicht. Anders liegt es jedoch, wenn der Parkplatz so angelegt ist, daß notwendigerweise die Wagenbenutzer die von den Kraftfahrzeugen Gefahrenen Flächen auf eine nicht nur unerhebliche Entfernung betreten müssen, um die Wagen zu verlassen oder zu erreichen. Dann folgt aus dieser erweiterten Zweckbestimmung der Verkehrseinrichtung als Zu- und Abgangsweg für Fußgänger die Pflicht, hier nicht nur für den sicheren Fahrverkehr, sondern auch für den Schutz der Fußgänger zu sorgen. Der Fall liegt dann sachähnlich mit dem, daß Fußgänger eine Fahrbahn überqueren müssen. Deshalb Kann man für die zuletzt erwähnten Parkplätze die Grundsätze rechtsähnlich anwenden, die die Rechtsprechung zum Schutz von Fußgängern auf Fahrbahnen bei Winterglätte entwickelt hat. Nach der oben erwähnten Rechtsprechung müssen nur die belebten, über Fahrbahnen führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege innerhalb geschlossener Ortschaften bestreut werden. Entsprechend müssen auf öffentlichen Parkplätzen die von den Kraftfahrzeugen befahrenen Teile zum Schutze der ausgestiegenen Fahrzeuginsassen bestreut werden, wenn die Wagenbenutzer diese Teile – nicht nur mit wenigen Schritten – betreten müssen und es sich um einen belebten Parkplatz handelt. Belebt ist ein Parkplatz in diesem Sinne nicht nur dann, wenn er eine große Ausdehnung und großes Fassungsvermögen hat, sondern auch dann, wenn ein kleinerer Parkplatz einen schnellen Fahrzeugwechsel aufweist.

Im einzelnen bleibt es dem Pflichtigen überlassen, wie er diese Sicherungen für die Fußgänger auf Parkplätzen schafft, jedenfalls muß bei solchen Parkplätzen eine Möglichkeit zum gefahrlosen Verlassen des Platzes oder zum gefahrlosen Erreichen der Wagen bestehen. Insoweit gilt das, was die Rechtsprechung für öffentliche Plätze ausgesprochen hat: Der Pflichtige braucht große Plätze, die nicht im Zuge von Straßen liegen, keinesfalls für Fußgänger völlig zu bestreuen; er muß sie dort bestreuen, wo der Verkehr ein sicheres Betreten des Platzes verlangt, wobei es genügt, daß vereinigt sichere Verbindung schafft, falls sie den Verkehr tragen kann und die Verkehrsteilnehmer nicht zu übermäßigen Umwegen nötigt (BGH VersR 1963, 661).

Das Berufungsgericht geht zwar teilweise von anderen rechtlichen Überlegungen aus, doch enthält das Urteil in diesem Zusammenhang alle diejenigen Feststellungen, die nach der hier dargelegten Rechtslage eine Streupflicht der Beklagten begründeten. Nach dem unstreitigen Sachverhalt mußten die Parkplatzbenutzer die von den Kraftfahrzeugen befahrenen Teile des Parkplatzes betreten, um ihre Fahrzeuge verlassen oder aufsuchen zu können. Nach den weiteren Feststellungen handelte es sich auch um einen belebten Parkplatz, denn nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts bot der Platz zwar nur etwa für 25 Fahrzeuge Parkmöglichkeiten, wurde aber im allgemeinen wegen seiner Lage im Zentrum der Stadt neben dem Gemeindebüro stärker benutzt und hatte für den Verkehr nicht nur untergeordnete Bedeutung. Danach hat das Berufungsgericht alle Tatsachen festgestellt, die auf Fahrbahnen öffentlicher Parkplätze eine Streupflicht im Interesse der Fußgänger begründen. Es ist dann unerheblich, daß das Oberlandesgericht gelegentlich die Fahrbahn des Parkplatzes mit einem normalen Gehweg vergleicht, während ein Vergleich mit einem Fußgängerüberweg über Fahrbahnen richtiger gewesen wäre.

Auch sonst zeigt das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten.

IV.

Die Revision muß daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

 

Unterschriften

Dr. Pagendarm, Dr. Kreft, Dr. Arndt, Dr. Hußla, Keßler

 

Fundstellen

Haufe-Index 541188

NJW 1966, 202

NJW 1966, 202 (LT)

Nachschlagewerk BGH

DAR 1966, 48-50 (LT)

MDR 1966, 125 (LT)

VersR 1966, 90 (LT1-2)

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