Leitsatz (amtlich)

Zu den Amtspflichten eines Rehabilitationsberaters des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung ggü. einem Versicherten im Zusammenhang mit der Erlangung einer Arbeitsstelle.

 

Normenkette

BGB § 839; SGB VI § 16 F: 18.12.1989

 

Verfahrensgang

KG Berlin (Urteil vom 11.04.2003; Aktenzeichen 9 U 243/01)

LG Berlin

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des KG Berlin v. 11.4.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger, der im Jahr 1997 eine Arbeitsstelle suchte und wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen von der Beklagten, seinem Rentenversicherungsträger, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nach §§ 16 ff. SGB VI beanspruchen konnte, führte am 10.11.1997 mit dem Geschäftsführer der I. GmbH ein Vorstellungsgespräch. Dem Kläger wurde die Bereitschaft zu einer Einstellung zum 1.1.1998 mitgeteilt; zugleich wurde darauf hingewiesen, es sei von Vorteil, wenn er zuvor eine externe Schulung im Verkaufstraining ableiste. Der Kläger setzte sich daraufhin mit dem für ihn zuständigen Rehabilitationsberater K. der Beklagten in Verbindung, der Anfang Dezember mit dem Arbeitgeber telefonischen Kontakt aufnahm und ihn dahin informierte, es komme sowohl die Übernahme der Kosten von Verkaufsschulungen als auch die Teilübernahme des Gehalts in Betracht, sofern ein unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen werde. Zum Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem Kläger kam es indes nicht. Vielmehr wurde der Arbeitsplatz zum 1.1.1998 anderweit vergeben.

Der Kläger, der erst mit Wirkung zum 16.9.1998 eine Arbeitsstelle fand, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen entgangenen Verdienstes i.H.v. 56.776,30 DM (= 29.029,26 EUR) nebst Zinsen mit der Behauptung in Anspruch, der Rehabilitationsberater der Beklagten habe sich um den Abschluss des Arbeitsvertrages kümmern wollen und habe ihn kurz vor Weihnachten 1997 darüber informiert, dass der Arbeitsvertrag stehe und nur noch die schriftliche Zusage der Beklagten für die Schulungsmaßnahme fehle. Da der Rehabilitationsberater die ihm ggü. übernommene Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeführt habe, sei ihm die Arbeitsstelle zum 1.1.1998 entgangen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das LG hat den Rehabilitationsberater K. der Beklagten und den Mitarbeiter T. des Arbeitsamts H. als Zeugen vernommen. Nach deren Aussagen hat das LG eine Amtspflichtverletzung verneint, weil die Behauptung des Klägers, der Zeuge K. werde sich um alles, insb. auch den Abschluss eines Arbeitsvertrages, kümmern und der Kläger brauche sich dementsprechend nicht selbst hierum zu bemühen, von den Zeugen nicht bestätigt worden sei. In der Berufungsinstanz hat der Kläger vor allem gerügt, das LG habe sich nicht mit der Bestätigung des Herrn I. auseinander gesetzt und diesen und seine, des Klägers, Ehefrau nicht als Zeugen vernommen. In deren Wissen hatte er u.a. gestellt, der Zeuge K. habe nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Zeugen I. klären wollen, ob der Kläger geschult und ein Teil des Gehalts übernommen werden könne. Weil sich der Berater nicht mehr beim Zeugen I. gemeldet habe, sei dieser davon ausgegangen, dass der Kläger an der Erlangung des Arbeitsplatzes kein Interesse mehr habe. Aus dem in das Wissen der Zeugin Ku. gestellten Anruf kurz vor Weihnachten 1997 ergebe sich ferner, dass der Zeuge K. ihm nicht mitgeteilt habe, dass er sich um den Abschluss eines Arbeitsvertrages kümmern müsse. Schon gar nicht sei er auf die Möglichkeit hingewiesen worden, dass der Arbeitsvertrag unter der Bedingung der Gewährung von Förderungsleistungen der Beklagten geschlossen werden könne.

2. Da das Berufungsgericht diesen Beweisanträgen nicht nachgegangen ist, ist zu Gunsten des Klägers im Revisionsverfahren von dessen Sachdarstellung auszugehen. Danach ließe sich eine Amtspflichtverletzung des Rehabilitationsberaters der Beklagten nicht verneinen.

Der Kläger konnte von der Beklagten nach § 16 Abs. 1 SGB VI in der ursprünglichen Fassung v. 18.12.1989 (BGBl. I, 2261; § 16 Abs. 1 Nr. 3 wurde mit Wirkung zum 1.1.1998 geändert durch das Rentenreformgesetz 1999v. 16.12.1997, BGBl. I, 2998) berufsfördernde Leistungen beanspruchen, namentlich um einen Arbeitsplatz zu erlangen, der auf seine gesundheitliche Situation Rücksicht nahm. Hier ging es, wie die Beklagte im Einzelnen dargelegt hat, insb. um die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 20 der Vereinbarung über berufliche Rehabilitation zwischen dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit v. 30.3.1994 (abgedr. in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 16 SGB VI Anh. 2), die nach Abs. 1 in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber einem Behinderten die zum Erreichen der vollen Leistungsfähigkeit notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten an einem Arbeitsplatz vermittelt oder einen seinem Leistungsvermögen angemessenen Dauerarbeitsplatz bietet. Es ist Aufgabe des Rehabilitationsberaters, dafür zu sorgen, dass diese Förderungsmöglichkeiten für den Versicherten erreichbar werden. Das schließt zwar nicht ein, dass der Rehabilitationsberater dem Versicherten einen bestimmten Arbeitsplatz verschaffen oder den ins Auge gefassten Arbeitsvertrag "abschlussreif" vorbereiten muss und die Beklagte hierfür einzustehen hätte. Seine Betreuung des Versicherten muss jedoch dahin gehen, dass er die Voraussetzungen für eine Förderung klärt, den Versicherten zutreffend darüber informiert, welche Schritte dieser selbst gehen muss, und dass er auch - je nach Lage des Falles - Kontakt mit dem ins Auge gefassten Arbeitgeber aufnimmt, um abzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Förderung für den Versicherten möglich erscheint. Im Rahmen dieser Kontaktaufnahme wird es ihm auch ggü. einem Arbeitgeber, der nur bei der Gewährung von Eingliederungshilfe zu einer Einstellung bereit ist, obliegen, ihn und den Versicherten auf die Möglichkeit eines - nach den Angaben der Beklagten den Üblichkeiten entsprechenden - Abschlusses des Arbeitsvertrages unter der Bedingung einer Leistungsgewährung durch die Beklagte aufmerksam zu machen. Hält der Berater den Versicherten vom Abschluss eines Arbeitsvertrages ab, weil er - wie der Kläger unter Beweisantritt behauptet hat - sich darum selbst zu kümmern verspricht, verletzt er seine Amtspflichten, wenn er in dieser Richtung untätig bleibt und den Versicherten nicht zeitgerecht über die Notwendigkeit dessen eigener Mitwirkung unterrichtet.

3. a) Das Berufungsgericht, das die Verletzung einer Amtspflicht offen lässt, verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers, weil es an der Darlegung eines hierauf beruhenden Schadens fehle. Maßgebend sei, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie sich in diesem Fall die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast trage. Nach dessen Vortrag sei es ungewiss, ob sich Herr I. auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages unter der Bedingung der Leistungsgewährung der Beklagten eingelassen hätte. Dagegen spreche vor allem, dass der Kläger am 26.1.1998 an die Beklagte geschrieben habe, Herr I. habe nicht so lange warten können, bis die Beklagte eine schriftliche Entscheidung getroffen habe. Ungewiss sei der Abschluss eines Arbeitsvertrages auch dann, wenn der Rehabilitationsberater versucht hätte, den Vertrag für den Kläger auszuhandeln. Denn Herrn I. sei es darauf angekommen, dass die Beklagte die Kosten eines Verkaufstrainings sowie einen Großteil seines Gehalts übernommen hätte. Eine derartige Leistungsgewährung habe jedoch kurz vor Weihnachten 1997, als der Rehabilitationsberater dem Kläger nach dessen Vortrag den Abschluss eines Arbeitsvertrages als sicher hingestellt habe, noch nicht festgestanden. Selbst wenn Herrn I. zu diesem Zeitpunkt die Leistungsgewährung zugesagt worden wäre, fehle es an Darlegungen des Klägers, ob der Arbeitsplatz noch nicht anderweitig besetzt gewesen sei. Entsprechendes gelte, wenn sich der Kläger kurz vor Weihnachten 1997 selbst um den Abschluss eines Arbeitsvertrages bemüht hätte.

b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Prüfung für die Frage, ob der eingetretene Schaden auf der (unterstellten) Amtspflichtverletzung beruht, zu Grunde, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie sich in diesem Fall die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde. Insoweit obliegt dem Anspruchsteller grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH v. 6.4.1995 - III ZR 183/94, BGHZ 129, 226 [232 f.] = MDR 1996, 368). Dabei kommen dem Geschädigten im Bereich der hier betroffenen haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute, die auch die Anforderungen an die Darlegung verringern (vgl. BGH v. 6.4.1995 - III ZR 183/94, BGHZ 129, 226 [233] = MDR 1996, 368 m.w.N.). Zu einer weiter gehenden Beweislastumkehr kann es kommen, wenn die Amtspflichtverletzung und eine zeitlich nachfolgende Schädigung feststehen, sofern nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für den Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. BGH v. 6.4.1995 - III ZR 183/94, BGHZ 129, 226 [233] = MDR 1996, 368).

bb) Ob im vorliegenden Fall eine Beweislastumkehr in Betracht zu ziehen ist, was die Revisionserwiderung mit der Überlegung in Abrede stellt, für das Verhalten des Arbeitgebers lasse sich keine Lebenserfahrung anführen, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht überspannt die Darlegungslast des Klägers und lässt insb. wesentliches, auch unter Beweis gestelltes Vorbringen unberücksichtigt.

Nach dem Vorbringen des Klägers bestand im Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs am 10.11.1997 jedenfalls die grundsätzliche Bereitschaft des Arbeitgebers zu einer Einstellung des Klägers zum 1.1.1998, wobei eine externe Schulung im Verkaufstraining als vorteilhaft bezeichnet wurde. Übereinstimmender Vortrag der Parteien ist es, dass der Rehabilitationsberater K. Anfang Dezember 1997 mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnahm und die Förderungsmöglichkeiten mit diesem erörterte. Nach dem Vorbringen der Beklagten sicherte ihr Berater sowohl dem Kläger als auch dem Arbeitgeber die Förderung - unter der Bedingung des Abschlusses des Arbeitsvertrages - zu. Dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt dieses für die Beurteilung maßgeblichen Gesprächs Anfang Dezember 1997 nicht bereit gewesen wäre, mit dem Kläger einen Arbeitsvertrag zu schließen, bzw. dass er den Arbeitsplatz zu diesem Zeitpunkt bereits anderweit vergeben hätte, ist nicht erkennbar. Hiergegen spricht vor allem die schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers v. 15.7.1998, in der ausgeführt wird, er habe einen anderen Arbeitnehmer eingestellt, weil sich der Berater nach dem ersten Gespräch nicht mehr mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Auch die Aussage des Zeugen K. und sein an die Beklagte gerichtetes Schreiben v. 10.11.1998 geben keinen Hinweis darauf, dass der Arbeitsplatz für den Kläger im Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber Anfang Dezember 1997 nicht erlangbar gewesen wäre. Es kommt hinzu, dass der Kläger sein Vorbringen insoweit in das Wissen des Zeugen I. gestellt hat.

Hing damit letztlich die von der Beklagten den Beteiligten in Aussicht gestellte Förderung von dem baldigen Abschluss eines Arbeitsvertrages ab, ergibt sich die Ursächlichkeit der dem Berater angelasteten Amtspflichtverletzung für den nachfolgenden Schaden in einer den Anforderungen des § 287 ZPO genügenden Weise. Denn nach dem Vorbringen des Klägers wurde er vom Abschluss eines Arbeitsvertrages nur deshalb abgehalten, weil der Berater ihm zugesagt hatte, er werde sich darum kümmern. Auf die - möglicherweise richtigen - Erwägungen des Berufungsgerichts, ob der Arbeitsplatz noch kurz vor Weihnachten 1997 zu besetzen gewesen sei, kommt es dann nicht an.

4. Im weiteren Verfahren besteht Gelegenheit, das Vorliegen einer Amtspflichtverletzung und eines hierauf beruhenden Schadens anhand des unter Beweis gestellten Vorbringens festzustellen.

 

Fundstellen

BGHR 2004, 1617

NVwZ-RR 2005, 5

VersR 2005, 225

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge