Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Verjährung von Ansprüchen, die ein KZ-Häftling gegen eine frühere Rüstungsfirma geltend macht, bei der er während des Krieges gearbeitet hat.

 

Normenkette

BGB § 196 Abs. 1 Nr. 9, § 852

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Urteil vom 19.05.1965)

LG Stuttgart (Urteil vom 31.07.1962)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Stuttgart vom 19. Mai 1965 aufgehoben und das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts in Stuttgart vom 31. Juli 1962 abgeändert, soweit es den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt hat.

Die Berufung des Klägers gegen das zuletzt genannte Urteil wird zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage in vollem Umfange abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Streithilfe zu tragen. Jedoch verbleibt es bei der Entscheidung über die Gerichtsgebühren und Auslagen im ersten Revisionsurteil vom 4. Dezember 1964.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger, der den juristischen Doktorgrad erworben hat, war als Syndikus und Prokurist bei den M.-R. in K. (CSR) beschäftigt. Im Jahre 1941 wurde er von dem Sondergericht in Leitmeritz wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt Nach Ablauf dieser Zeit, die er im Gefängnis verbrachte, nahm ihn die Geheime Staatspolizei in sog. Schutzhaft. Im März 1943 wurde er in das Zweiglager Oranienburg des Konzentrationslagers Sachsenhausen verlegt.

Dort unterhielt die Beklagte ein großes Werk, in dem Flugzeuge gebaut wurden. Sie beschäftigte darin „in zunehmendem Umfange und schließlich nahezu ausschließlich” (Urt. S. 2) Häftlinge aus dem Konzentrationslager; zu ihnen gehörte auch der Kläger.

Dieser behauptet, er habe hier 2 Jahre und 2 Tage unter entwürdigenden Umständen gearbeitet. Ernährung, Unterbringung und gesundheitliche Betreuung seien ganz unzureichend gewesen; trotzdem habe die Beklagte von ihm schwere Arbeit verlangt. Er sei nicht nur von Häftlingsvorarbeitern, sondern auch von Werksangehörigen der Beklagten mißhandelt worden, die ihn zudem durch Drohung mit Anzeige geängstigt und zu noch größeren Leistungen angetrieben hätten. Die Beklagte sei in der Lage gewesen, diese Zustände abzustellen, habe aber nichts getan. Arbeitslohn habe er nicht erhalten; die Beklagte habe lediglich einen monatlichen Betrag von 132 RM je Häftling an die SS abgeführt.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihm für die ganze Zeit ein angemessenes Entgelt von monatlich 400 RM geschuldet; hiervon stünden ihm nach Abzug des an die SS gezahlten Betrags hoch 268 RM, umgestellt auf 268 DM monatlich, also insgesamt 6.462 DM zu. Er hat diesen Betrag sowie ein angemessenes Schmerzensgeld von der Beklagten verlangt, das er mit mindestens 6.000 DM beziffert. Mit der Ende 1959 eingereichten und kurz darauf zugestellten Klage beantragt er, die Beklagte zur Zahlung eines Teilbetrags von 10.000 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Diese stellt in Abrede, dem Kläger etwas zu schulden. In erster Linie macht sie geltend, daß das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, soweit es überhaupt bestanden habe, öffentlich rechtlicher Natur gewesen sei. Die Klage müsse aber auch dann abgewiesen werden, wenn man privatrechtliche Grundsätze anwende. Der Kläger habe Entschädigungsleistungen erhalten, nämlich 33.000 DM für Schäden im beruflichen Fortkommen und 5.700 DM Haftentschädigung; außerdem beziehe er eine monatliche Rente von 394 DM für erlittene Gesundheitsschäden. Gemäß § 8 Abs. 2 BEG seien die etwaigen Ansprüche des Klägers auf das Land Bayern übergegangen. Für die bedauernswerte Lage der Häftlinge sei nicht sie, sondern nur die SS verantwortlich gewesen. Mißhandlungen durch eigene Werksangehörige bestreitet sie. In jedem Falle hält sie alle Ansprüche des Klägers für verjährt.

Die Beklagte hat der Bundesrepublik Deutschland den Streit verkündet. Diese ist dem Verfahren auf Seiten der Beklagten beigetreten, hat jedoch keinen Antrag gestellt.

Das Landgericht hat den Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, und zwar nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung nach § 852 Abs. 2 BGB; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das. Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers auch die Forderung auf Schmerzensgeld dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil wegen unvorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dieses hat ebenso wie das erste Mal entschieden.

Mit der Revision verlangt die Beklagte die Abweisung der Klage. Der Kläger bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen. Die Streithelferin hat wiederum keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

A.

Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt.

Die Revision macht demgegenüber geltend, die Beklagte sei nur Vollzieherin hoheitlicher Gewalt gewesen; denn die SS habe die Zwangsarbeit des Klägers und der anderen Häftlinge sowie die Umstände ihrer Tätigkeit, Behandlung, Betreuung und Unterbringung bestimmt. Auch die Beklagte habe beim Einsatz der KZ-Häftlinge unter staatlichem Druck gestanden. Zivilrechtliche Ansprüche zwischen den Parteien seien daher ausgeschlossen.

Mit dieser Begründung hatte die Beklagte bereits im ersten Berufungsverfahren die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in Abrede gestellt. Der Senat vermag sich aber dieser Meinung, die auch von der Streithelferin im Schriftsatz vom 6. April 1965 geteilt wird, nicht anzuschließen.

Soweit es sich um die Forderung des Klägers auf Zahlung eines Schmerzensgeldes handelt, käme bei einer solchen Betrachtungsweise eine Haftung der Beklagten aus Amtspflichtverletzung gemäß dem § 839 BGB in Betracht. Derartige Ansprüche waren gemäß Art. 131 WRVerf und sind gemäß Art. 34 GG und § 40 Abs. 2 VerwGO den ordentlichen Gerichten zugewiesen.

Solche Erwägungen treffen zwar nicht uneingeschränkt auf die vom Kläger begehrte Entschädigung für seine Arbeitsleistung zu; insoweit könnten öffentlich rechtliche Verpflichtungen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Beleihung mit hoheitlichen Befugnissen entstanden sein (u.a. BGH NJW 1957, 1597; BVerwGE 17, 41; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., I, 533 ff; Eyermann-Fröhler, VerwGO, 4. Aufl., § 42 RdN 67 mit weit. Nachw.). Der Vortrag des Klägers läßt aber diese Annahme nicht zu.

Das Berufungsgericht hat im angefochtenen Urteil auf die Entscheidungsgründe seines ersten Urteils verwiesen. Dort ist es auf Grund des Vorbringens der Parteien zu dem Ergebnis gelangt, daß die Häftlinge auch während des Arbeitseinsatzes unter der Gewalt von SS-Stellen verblieben sind. Das steht mit den tatsächlichen Verhältnissen im Einklang. Denn die SS unterhielt, wie unstreitig ist, auf dem Werksgelände eine Abteilung des Konzentrationslagers, hatte also die Gewalt über die Insassen nicht aus der Hand gegeben.

Die Revision hat insoweit auch keine ausdrücklichen Rügen erhoben. Sie verweist nur auf die Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 2 des Londoner Schuldenabkommens (u.a. BGH LM AuslSchAbk Nr. 15). Dabei verkennt sie, daß es dort auf die anders geartete Frage ankam, ob der Inhaber eines Rüstungsbetriebs „im Auftrage” des früheren Deutschen Reichs gehandelt hat. Das konnte der Fall sein, auch ohne daß der Unternehmer mit öffentlicher Gewalt beliehen war (BGH aaO).

Aus dem Gesagten folgt, daß die ordentlichen Gerichte für alle Ansprüche des Klägers zuständig sind. Soweit er Forderungen aus enteignungsgleichen Eingriffen erhebt, ergibt sich das aus Art. 14 GG.

B.

Die Revision der Beklagten ist in der Sache jedenfalls deswegen begründet, weil alle vom Kläger erhobenen Ansprüche verjährt sind.

I.

Das Berufungsgericht billigt ihm seine Forderung auf Arbeitsentgelt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag zu. Ein gültiges Arbeitsverhältnis sei, so führt es aus, zwischen den Parteien nicht zustande gekommen. Der Kläger habe mit seinen Dienstleistungen ein Geschäft für die Beklagte besorgt und besorgen wollen; deswegen seien sie ihm als Aufwendungsersatz zu vergüten. Der Anspruch sei nicht gemäß dem § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB verjährt.

Die Revision greift diese Ausführungen mit verschiedenen Rügen an. Auf sie braucht nur eingegangen zu werden, soweit es sich um die Frage der Verjährung handelt. Da diese Einrede durchgreift, kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit die übrigen Beanstandungen beachtlich sind,

1.) Gemäß dem § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB verjährt der Anspruch der gewerblichen Arbeiter wegen ihres Lohnes in zwei Jahren. Diese Frist beginnt mit dem Schluß des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§§ 198, 201 BGB). Sie ist durch § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 28. Dezember 1950 (BGBl. I, 821) längstens bis zum 31. März 1951 erstreckt worden. Auch die Anwendung sowjetzonaler Verjährungsbestimmungen würde zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen.

Zwar macht er keinen Vertraganspruch geltend. Die kurze Verjährung des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB setzt aber, ebenso wie die übrigen Tatbestände dieses Paragraphen, keine Vertragsgrundlage voraus (RGZ 86, 96; RGRK, 11. Aufl., § 196 Anm. 2 BGB). Sie ergreift vielmehr alle Vergütungsansprüche, die aus der tatsächlichen Leistung von Arbeit hergeleitet werden. Entscheidend sind insoweit allein die tatsächlichen Verhältnisse und die Interessenlage, die sich nicht dadurch ändern, daß die Forderung aus einem faktischen Arbeitsverhältnis, aus Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigter Bereicherung oder einem enteignungsgleichen Eingriff, wie ihn der Kläger hier behauptet, hergeleitet wird. Das ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts. (RGZ 86, 96; BGH NJW 1965, 1124 und 1963, 2315 – zu § 197 BGB –; BAG NJW 1964, 2178 mit weit. Nachw. und AP § 196 Nr. 5). Es besteht kein Anlaß, davon abzuweichen.

Auch die zum Abdruck in der Sammlung bestimmte Entscheidung des Senats vom 20. April 1967 – VII ZR 326/64 – steht damit im Einklang. In ihr ist ausdrücklich die Rechtsprechung erwähnt und anerkannt worden, die bei wiederkehrenden Leistungen die Verjährungsfrist des § 197 BGB auch dann anwendet, wenn die Forderung auf Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigte Bereicherung gestützt wird. Für die Ansprüche auf Arbeitslohn kann im Rahmen des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB nichts anderes gelten als für den § 197 BGB. In dem einen wie dem anderen Fall handelt es sich nur um eine Rechtskonstruktion, die nicht geeignet ist, derselben Forderung zwischen denselben Parteien ein anderes Gesicht zu geben und sie damit einer anderen Verjährungsfrist zu unterwerfen.

2.) Das Berufungsgericht ist trotzdem der Ansicht, daß hier die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB Platz greife. Die kurzen Fristen des § 196 BGB seien, so führt es aus (S. 27 d. angefochtenen und 24/25 des ersten Berufungsurteils), für Geschäfte des täglichen Lebens gedacht; Von diesen unterscheide sich die Zwangsarbeit der Häftlinge wesensmäßig. Insbesondere sei nicht zu befürchten, daß sich das tatsächliche Geschehen durch den Zeitablauf verdunkele und der Schuldner wegen bereits bezahlter Forderungen in Anspruch genommen werde.

a) Damit verkennt das Berufungsgericht die Bedeutung des § 196 BGB. Es ist zwar richtig, daß solche Erwägungen, wie es sie anstellt, bei der Schaffung des Gesetzes eine Rolle gespielt haben (Mot. I, 291) und daß sie auch in den angeführten Entscheidungen wiederkehren. Das bedeutet aber nicht, daß in jedem einzelnen Falle zu untersuchen ist, ob es sich wirklich um ein solches Geschäft des täglichen Lebens von unbedeutendem Umfange handelt. Der Gesetzgeber hat vielmehr durch die Aufstellung objektiver Tatbestände eine grundsätzliche Regelung getroffen, die auch dann einzuhalten ist, wenn einmal die Beweggründe, die zur Schaffung des Gesetzes geführt haben, nicht einschlägig sein sollten. Infolgedessen können auch unschwer nachweisbare Rechte bedeutenden Umfangs, wenn sie diesen Tatbeständen unterfallen, allein wegen des Zeitablaufs nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. dazu RGZ 66, 48 und OLG München NJW 1966, 1128). Jede andere Auslegung, die es auf die Sonderumstände des Falls abstellt, würde zu weitgehender Rechtsunsicherheit führen, die im Wirtschaftsleben kaum erträglich wäre.

b) Die Begründung, die das Berufungsgericht für seine entgegenstehende Ansicht gibt, liegt also neben der Sache. Sie ist aber auch in tatsächlicher Richtung unvollständig und steht mit dem unstreitigen Sachverhalt im Widerspruch.

Beweisschwierigkeiten, die sich mit der Länge der verstrichenen Zeit zwangsläufig vermehren müssen, sind hier, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, besonders deutlich erkennbar. Es kommt nicht nur darauf an, ob der Kläger seinen Lohn erhalten hat. Vielmehr müßte weiter ermittelt werden, wie lange und womit er beschäftigt worden ist. Das könnte nur noch durch Zeugen dargetan werden; wenn sie überhaupt zu beschaffen sein sollten, wäre zu befürchten, daß ihr Erinnerungsvermögen nach so langer Zeit stark beeinträchtigt wäre.

3.) Aber selbst wenn man die kurze Frist des § 196 BGB nicht gelten lassen würde, wäre die Forderung auf angemessenen Arbeitslohn verjährt. Denn in diesem Falle wäre § 197 BGB anzuwenden, weil es sich um regelmäßig wiederkehrende Leistungen i.S. dieser Vorschrift handeln würde (vgl. Urteile des BGH NJW 1963, 2315 und BGHZ 31, 329, 334). Die dann in Betracht kommende vierjährige Frist wäre bei Einreichung der Klage Ende 1959 ebenfalls seit langem abgelaufen gewesen.

II.

Für die Ansprüche aus unerlaubter Handlung gilt die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB.

1.) Das Berufungsgericht ist der Ansicht, daß sie bei Klageerhebung noch nicht verstrichen gewesen sei. Seine Anführungen in den beiden Urteilen decken sich insoweit dem Wortlaute nach nicht.

In der ersten Entscheidung sagt es S. 29 der Ausf., dem Kläger sei die Person des Ersatzpflichtigen, nämlich der Firma H. in O., von Anfang an bekannt gewesen. Demgegenüber heißt es in dem angefochtenen Urteil, er habe von der Person des Ersatzpflichtigen erst im Januar 1958 Kenntnis erlangt.

Bei dieser Unstimmigkeit handelt es sich aber nur um eine ungenaue Ausdruckweise; der gleichlautende Sinn wird durch die übrigen Erörterungen klargestellt. Der Kläger habe, so meint das Berufungsgericht, bis zum Jahre 1958 nicht gewußt, wen er hätte verklagen können. Unmittelbar nach dem Kriege habe er sich in O. erfolglos nach dem Verbleib der Firma H. erkundigt. Daß dieselbe Firma H., die Inhaberin jenes Werkes gewesen sei, in der Bundesrepublik fortbestehe, habe er erst 1958 erfahren. Es sei ihm auch nicht anzurechnen, daß er seine Erkundigungen nicht fortgesetzt habe; denn eine fahrlässige Nichtkenntnis stehe der in § 852 Abs. 1 BGB verlangten Kenntnis nicht gleich. Jedenfalls könne die Berufung auf seine Nichtkenntnis nicht als reine Ausflucht angesehen werden.

Die Revision greift diese Ausführungen mit Recht an.

a) Für den Beginn der Frist des § 852 Abs. 1 BGB kommt es darauf an, wann der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat.

Den Schaden kannte der Kläger seit Kriegsende; unvoraussehbare Folgen sind nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht mehr eingetreten.

Auch über die Person des Ersatzpflichtigen war er sich bei Kriegsende nicht im Zweifel: Es war „die Firma H., O.”. Dieser Zeitpunkt kann aber nicht zugrunde gelegt werden, weil dem Kläger mit dieser Kenntnis allein nicht gedient war. Die Gliederung jener Firma war ihm unbekannt; insbesondere wußte er nach seinen unwiderlegten Angaben nicht, daß es sich um eine Aktiengesellschaft handelte, deren Sitz in R. war und die auch in S.-Z. … ein Zweigwerk unterhielt; ebensowenig erfuhr er, daß der juristische Sitz der Aktiengesellschaft im Jahre 1953 nach S.-Z. verlegt wurde. Danach war er zunächst außer Stande, eine Klage gegen den Schädiger zu erheben.

Dieser Zustand hat sich aber, entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts, lange vor 1956 geändert. Der Kläger hat selbst vorgetragen, er habe angenommen, daß Professor H. eine führende Stellung in dem Werk O. bekleidet habe; das traf zu, denn dieser war Vorsitzer des Aufsichtsrats nach dem Kriege fand gegen Professor H. ein Verfahren vor der Spruchkammer in Ansbach statt, in dem der Kläger 1947 und 1948 schriftlich und mündlich als Zeuge über Vorgänge im O. Werk gehört wurde und in dem er auch einige Worte mit H. wechselte. Aus dem S. 15 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Vortrag des Klägers ergibt sich weiter, daß er von dem Bestehen der beklagten Gesellschaft in der Bundesrepublik Kenntnis hatte und nur nicht wußte, daß sie für die Schulden des O. Werks einzustehen hatte.

Unter solchen Umständen ist es ihm verwehrt, sich auf eine Unkenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen zu berufen. Er wußte, daß sein Schuldner die Firma H. war. Seine Zweifel konnten sich nur darauf beziehen, ob sie noch bestand und wo sie ansässig war. Diese Unsicherheiten hätten seine Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen nur dann beeinflussen können, wenn er nicht oder nur mit Schwierigkeiten in der Lage gewesen wäre, den Verbleib zu klären.

Das Gegenteil ist der Fall. Dem Kläger drängten sich Erkundigungen bei Professor H., der Spruchkammer, einer Industrie- und Handelskammer und vor allen Dingen bei der Beklagten in Z. geradezu auf. Hätte er auch nur einen dieser Wege beschritten, so hätte er sofort erfahren, daß er seine Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen hatte. Diese Erkundigungen wären zudem weder schwierig noch kostspielig gewesen; es hätte vielmehr nur eines Briefes bedurft. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger ein akademisch vorgebildeter Jurist ist und Syndikus eines nicht unbedeutenden Werkes gewesen war. Er hätte sich also mit geringer Mühe diejenigen Unterlagen beschaffen können, die seine Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen soweit ergänzten, daß er gegen ihn gerichtlich vorgehen konnte. Wer in dieser Lage ist, hat die im § 852 Abs. 1, BGB vorausgesetzte Kenntnis. Das hat der Bundesgerichtshof mehrfach ausgesprochen (BGH NJW 1955, 706; Urt.d.Sen. vom 2. März 1967 VII ZR 263/64). Davon abzuweichen, besteht kein Anlaß.

b) Das Berufungsgericht irrt, wenn es diese Grundsätze nur anwenden will, wenn es sich um eine „Ausflucht” des Verletzten handele. Unter einer solchen „Ausflucht” ist ein Leugnen wider besseres Wissen zu verstehen. Es ist stets unbeachtlich und konnte in dem Urteil BGH NJW 1955, 706 nicht gemeint sein.

Diese Entscheidung bezog sich vielmehr auf einen Fall der vorliegenden Art, in dem die dem Verletzten bekannten Tatsachen ausreichten, um Namen und Anschrift des an sich feststehenden Schädigers mit geringstem Aufwand und geringster Aufmerksamkeit zu ermitteln. Wer es daran fehlen läßt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wenn er keine Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen gehabt hätte.

Ebenso ist es unrichtig, wenn das Berufungsgericht die Ermittlungen des Klägers in der SBZ in den Jahren 1945 bis 1948 als hinreichende Entlastung wertet. Sie waren für ein in der Bundesrepublik anhängig zu machendes Verfahren vom Standpunkt jedes Einsichtigen aus wertlos und jedenfalls durch die nachfolgende Entwicklung überholt.

2.) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB noch aus einem weiteren Grunde erst 1958 zu laufen begonnen. Die Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich ehemalige KZ-Häftlinge an die Industriefirmen halten könnten, sei, so meint es, sehr zweifelhaft gewesen. Erst das sog. Wollheim-Urteil des Landgerichts Frankfurt a.M. (vom 10. Juni 1953) habe eine gewisse Klärung gebracht; es sei dem Kläger im Jahre 1958 bekannt geworden. Vorher sei ihm eine Klageerhebung nicht zuzumuten gewesen.

Auch diese Rechtsauffassung ist irrig. Der Kläger hat bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz behauptet, er sei von Zivilangestellten der Beklagten mißhandelt worden. Daß der Täter hierfür einzustehen hat, ist in den §§ 823 ff BGB geregelt; ebenso ergibt sich aus § 831 BGB (evtl. § 31 BGB), daß der Geschäftsherr für seine Leute einzustehen hat. Solche Ansprüche deutscher Staatsangehöriger sind niemals, insbesondere auch nicht durch die Gesetzgebung zum Entschädigungsrecht, ausgeschlossen worden. Einer Klärung bedurfte es insoweit also nicht.

Es mag allerdings sein, daß zunächst gewisse Zweifel darüber bestanden haben können, inwieweit in der SBZ zugefügte Schäden vom Verantwortlichen in der Bundesrepublik zu ersetzen seien und daß auch die Frage der Umstellung noch der Klärung bedurfte. Diese Ungewißheiten waren aber in jedem Falle vor 1956 so weitgehend beseitigt, daß dem Kläger ein Vorgehen gegen die Beklagte zuzumuten war (vgl. BGH LM § 852 BGB Nr. 11 und Urt. d. Sen. vom 19. September 1963 VII ZR 12/62). Die Entscheidung BGHZ 6, 202, auf die sich das Oberlandesgericht beruft, betrifft einen ganz anders gelagerten Fall. Dort hätte der Gläubiger gegen eine ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts angehen müssen. Davon kann hier keine Rede sein.

Schließlich vermag auch das Urteil des Bundesgerichtshofs MDR 1958, 595 nicht die Ansicht des Berufungsgerichts zu stützen. Dort glaubte der Geschädigte, den Schuldner zu kennen, und hatte gegen die falsche Gewerkschaft Klage erhoben; dann hatte er allerdings zur Einziehung von Erkundigungen keinen Anlaß. Als er seinen Irrtum bemerkte, hatte er das Erforderliche alsbald nachgeholt. Demgegenüber hatte der Kläger hier nach seinen Angaben keine unrichtigen Vorstellungen von der Person des Ersatzpflichtigen. Seine Erkundigungen in der SBZ, die er in den Jahren 1945 bis 1948 angestellt hatte, waren, wie ihm nicht entgangen sein kann, wertlos. Dann hatte er allen Anlaß, das Versäumte schleunigst nachzuholen.

III.

Das Landgericht hatte zwar die Verjährungsfristen der §§ 196 Abs. 1 Nr. 9 und 852 Abs. 1 BGB für abgelaufen gehalten, dem Kläger aber trotzdem seine Forderung auf Arbeitsentgelt unter dem Gesichtspunkt des § 852 Abs. 2 BGB dem Grunde nach zugebilligt. Es nahm an, daß die Beklagte allein schon durch ihre Beteiligung an der Freiheitsberaubung und die Ausnutzung der Arbeitskraft des Klägers eine unerlaubte Handlung begangen habe und durch sie bereichert worden sei.

Auch diese Begründung versagt. Es kann dahinstehen, inwieweit auf diese Weise der zum Tatbestand einer unerlaubten Handlung gehörige Schaden nachgewiesen werden kann. Denn auch eine aus dem § 852 Abs. 2 BGB herzuleitende Forderung wäre verjährt.

Wie der Senat in dem Urteil NJW 1963, 2315 dargelegt hat, ist insoweit die für die ungerechtfertigte Bereicherung auch sonst geltende Verjährungsfrist maßgebend. Sie ist nach dem oben Gesagten hier dem § 196 Abs. 1 Nr. 9 oder dem § 197 BGB zu entnehmen und war bei Einreichung der Klage seit langem abgelaufen.

IV.

Schließlich hat der Kläger die Einrede der Verjährung mit dem Hinweis auf naturrechtliche Grundsätze bekämpft und ferner gemeint, sie stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Diese Einwendungen gehen jedoch fehl. Das Oberlandesgericht hat in seinem ersten Urteil zutreffend hervorgehoben, daß die Umstände, unter denen die unerlaubte Handlung begangen worden ist, der Verjährungseinrede regelmäßig nicht entgegenstehen; „auch der scheußlichste Verbrecher ist”, wie es ausgeführt hat, „nach geltendem Recht nicht gehindert, dem Opfer die dreijährige Verjährungsfrist entgegenzuhalten”. Daß dieses geltende Recht mit übergeordneten Rechtssätzen unvereinbar wäre, kann nicht anerkannt werden. Die Vorschriften über die Verjährung enthalten eine formale Regelung, die im Interesse der Rechtssicherheit aufgestellt worden ist, und erfassen alle in Betracht kommenden Fälle. Änderungen in dieser Richtung könnte nicht der Richter, sondern nur der Gesetzgeber vornehmen (vgl. hierzu Urt. d. Sen. BGHZ 45, 223, 230), der sich übrigens dem, wenn auch im strafrechtlichen Bereich, auf einem Gebiete unterzogen hat, das mit nationalsozialistischen Unrechts maßnahmen im engen Zusammenhang steht (Gesetz über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13. April 1965 – BGBl. I, 315).

Die Beklagte hat auch weder bewußt noch unbewußt irgend etwas getan, um den Kläger von der rechtzeitigen Einreichung der Klage abzuhalten. Es fehlt danach an jedem Anlaß, die von ihr erhobene Verjährungseinrede mit dem Gegeneinwand der unzulässigen Rechtsausübung auszuräumen.

V.

Der Revision der Beklagten ist somit stattzugeben. Der Senat hat gemäß dem § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache zu erkennen und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 und 97 ZPO.

 

Unterschriften

Glanzmann, Heimann-Trosien, Meyer, Vogt, Finke

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502253

BGHZ

BGHZ, 125

Nachschlagewerk BGH

MDR 1967, 999

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