Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachehelicher Unterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Unterhaltsanspruch eines in der DDR geschiedenen Ehegatten gegen den vor dem 3. Oktober 1990 in die Bundesrepublik übergesiedelten anderen Ehegatten.

 

Normenkette

EGBGB 1986 Art. 18 Abs. 5, Art. 234 § 5; BGB §§ 1569 ff.; EGBGB Art. 18 Abs. 5, Art. 234 § 5; BGB § 1569 ff.

 

Verfahrensgang

AG Lünen

OLG Hamm

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 12. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. April 1993 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die 1978 geschlossene Ehe der Parteien, aus der vier in den Jahren 1979, 1981, 1985 und 1987 geborene Kinder hervorgingen, wurde durch am 23. Januar 1990 rechtskräftig gewordenes Urteil des Kreisgerichts D. unter Anwendung von DDR-Recht geschieden. Das Erziehungsrecht für die Kinder wurde der Klägerin übertragen und der Beklagte zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt. In der Folge übersiedelte der Beklagte am 20. April 1990 aus dem Gebiet der ehemaligen DDR in die damalige Bundesrepublik Deutschland und heiratete am 4. Juli 1990 erneut. Die Klägerin verzog im Oktober 1991 mit den Kindern in die alten Bundesländer.

Mit der im Jahre 1992 erhobenen Klage nahm die Klägerin den Beklagten auf Zahlung nachehelichen Unterhalts in Anspruch. Das Amtsgericht – Familiengericht – gab der Klage weitgehend statt und verurteilte den Beklagten zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 542 DM ab Januar 1992, von 519,90 DM ab März 1992 und von 438,30 DM ab Juli 1992. Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin erkannte das Oberlandesgericht auf monatliche Unterhaltsbeträge von 398,79 DM ab Januar 1992, von 542 DM ab März 1992 und von 462,89 DM ab Juli 1992.

Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Klägerin ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zusteht, zutreffend nach den §§ 1569 ff BGB und nicht nach dem Familiengesetzbuch der DDR (FGB) beurteilt.

a) Art. 234 § 5 Satz 1 EGBGB i.d.F. des Einigungsvertrages bestimmt unter Einschränkung des § 1 der Regelung, daß für den Unterhaltsanspruch eines Ehegatten, dessen Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschieden worden ist, das bisherige Recht maßgebend bleibt. Aus dieser intertemporalen Übergangsvorschrift ergibt sich nicht, in welchen Fällen das Recht der DDR „bisheriges Recht” war. Diese Frage ist vielmehr nach dem innerdeutschen Kollisionsrecht zu beantworten (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1992 – XII ZR 157/91 – BGHR EGBGB Art. 234 § 5 Fortgeltung 1 = FamRZ 1993, 43, 44).

b) Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, ist seit dem Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986 im innerdeutschen Kollisionsrecht der alten Bundesländer die Bestimmung des Art. 18 Abs. 5 EGBGB entsprechend anzuwenden mit der Folge, daß für den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt das bundesdeutsche Recht maßgebend ist, wenn der Verpflichtete vor dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 aus der ehemaligen DDR in die damalige Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist, d.h. hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen hat (vgl. Urteile vom 10. November 1993 XII ZR 127/92 FamRZ 1994, 160, vom 8. Dezember 1993 XII ZR 115/92 FamRZ 1994, 824 und vom 2. Februar 1994 – XII ZR 191/92 – FamRZ 1994, 562; die Verfassungsbeschwerde gegen die letztere Entscheidung ist nicht angenommen worden, vgl. BVerfG, Beschluß vom 13. Juni 1994 – 1 BvR 647/94).

Im Schrifttum wird dieser Rechtsprechung teils zugestimmt (vgl. Rolland/Hülsmann, Familienrecht Rdn. 64 vor §§ 1569 ff BGB; Brudermüller FamRZ 1994, 1023; Lohmann EWIR 1994, 141), teils ist sie auf Kritik gestoßen (vgl. Göppinger/Linke, Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 3422; Dieckmann FamRZ 1994, 1073; Siehr IPRax 1994, 360). Der Senat hält nach erneuter Überprüfung daran fest.

Die Kritik befürwortet teils die Beibehaltung der Grundsätze der vor dem Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986 entwickelten Senatsrechtsprechung (insbes. Übersiedlung beider Ehegatten in die Bundesrepublik als Voraussetzung für die Anwendbarkeit der §§ 1569 ff BGB, vgl. Göppinger/Linke aaO Rdn. 3421; Siehr aaO), teils vertritt sie die Auffassung, auch diese Grundsätze müßten zugunsten der Anwendbarkeit des DDR-Rechts aufgegeben werden, falls nicht bereits ein Vertrauenstatbestand für die Anwendung des BGB geschaffen worden sei, z.B. durch Titulierung (vgl. Dieckmann aaO). Letzteres wird insbesondere auf Erläuterungen des Gesetzgebers zu Art. 234 § 5 EGBGB gestützt, in denen ausgeführt wird, es würde zu einer erheblichen Störung des Rechtsfriedens führen, wenn Unterhaltsansprüche entständen, mit denen keiner der Ehegatten gerechnet habe (vgl. BT-Drucks. 11/7817 S. 44). Diese Erläuterungen beziehen sich aber auf eine Vorschrift, die nach allgemeiner Ansicht voraussetzt, daß das DDR-Recht nach innerdeutschem Kollisionsrecht überhaupt anwendbar ist. Sie können daher nicht dahin verstanden werden, daß sich die unterhaltsrechtlichen Beziehungen von Ehegatten, die vor dem Beitritt in der ehemaligen DDR geschieden worden sind und dort dem Unterhaltsrecht der DDR unterstanden haben, nach dem Einigungsvertrag in allen Fällen nach dem Recht der DDR bestimmen sollen. Ist einer der geschiedenen Ehegatten oder sind beide vor dem Beitritt in die Bundesrepublik übergesiedelt, so ist die Frage des „bisherigen Rechts” im Sinne von Art. 234 § 5 EGBGB unter Anwendung interlokalen Kollisionsrechts danach zu beurteilen, welches Sachrecht die Unterhaltsbeziehungen der Ehegatten vor dem Beitritt bestimmt hat. Hierbei ist, wie der Senat in den vorgenannten Urteilen entschieden hat, das innerdeutsche Kollisionsrecht der alten Bundesländer maßgebend, das sich an das Internationale Privatrecht der Art. 3 ff EGBGB anlehnt (so, und zwar generell, inzwischen auch BGHZ 124, 270). In Fällen der vorliegenden Art ist zu fragen, welches Sachrecht anzuwenden gewesen wäre, wenn nach Inkrafttreten des IPR-Neuregelungsgesetzes 1986, aber vor dem Beitritt ein in der DDR geschiedener und dort verbliebener Ehegatte gegen den in der Bundesrepublik übergesiedelten anderen Ehegatten einen Unterhaltsanspruch erhoben hätte. In diesem Falle hätte die Anwendbarkeit der §§ 1569 ff BGB an keine strengeren Voraussetzungen geknüpft werden können als dies nach Art. 18 Abs. 5 EGBGB im Verhältnis zum Ausland der Fall ist. Dies rechtfertigt die entsprechende Anwendung des Art. 18 Abs. 5 EGBGB im innerdeutschen Verhältnis auch nach dem Beitritt, da der Gesetzgeber des Einigungsvertrages in so entstandene Rechtspositionen nicht eingreifen wollte (vgl. BT-Drucks. 11/7817 S. 37). Die Frage, ob der in Anspruch genommene Ehegatte „Verpflichteter” i.S. dieser Vorschrift ist, beurteilt sich nach den §§ 1569 ff BGB. Soweit dort auf den Einsatzzeitpunkt der Scheidung abgestellt wird, ist insoweit die Rechtskraft des DDR-Ehescheidungsurteils maßgebend.

c) im vorliegenden Fall ist der Beklagte am 20. April 1990 in die damalige Bundesrepublik übergesiedelt. Ob die Klägerin ihn zu Recht auf nachehelichen Unterhalt in Anspruch nimmt, ist somit nach den §§ 1569 ff BGB zu entscheiden.

2. In dem zu beurteilenden Unterhaltszeitraum betreut die Klägerin vier gemeinschaftliche Kinder im Alter von fünf, sieben, elf und dreizehn Jahren. Danach ist das Berufungsgericht zu Recht von einem Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB ausgegangen. Soweit die Klägerin selbst vorgetragen hat, im Zeitpunkt der Scheidung eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben und später arbeitslos geworden zu sein, hat dem das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei keine Bedeutung beigemessen. Für den Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB ist maßgebend, daß in der Zeit, für die Unterhalt verlangt wird, wegen der Pflege und Erziehung gemeinschaftlicher Kinder eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten ist. Diese Voraussetzung ist offensichtlich gegeben (vgl. dazu etwa Senatsurteil vom 15. November 1989 – IVb ZR 3/89 – FamRZ 1990, 283, 285 f m.w.N.).

3. Hinsichtlich der Höhe des zugesprochenen Unterhalts rügt die Revision, vom Beklagten geltend gemachte Kreditraten von monatlich 151 DM und 92 DM für im Juni 1990 und Juli 1991 aufgenommene Darlehen über 7.000 und 5.000 DM hätten einkommensmindernd berücksichtigt werden müssen. Das Berufungsgericht hat dies abgelehnt, weil die Kreditaufnahmen ersichtlich im Zusammenhang mit der Übersiedlung in die Bundesrepublik und mit dem Bedarf der neuen Familie nach der Wiederheirat stünden. Seine Entscheidung zu diesem Punkt ist jedenfalls im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Ob vom Unterhaltsverpflichteten eingegangene Schulden unterhaltsrechtlich zu berücksichtigen sind, ist unter umfassender Interessenabwägung zu beurteilen, wobei es insbesondere auf den Zweck der Verbindlichkeiten, den Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Kenntnis des Unterhaltsverpflichteten von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und andere Umstände ankommt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Umstände, die die Berücksichtigungswürdigkeit ergeben sollen, trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Unterhaltsschuldner, da er hierbei die Minderung seiner Leistungsfähigkeit geltend macht (vgl. etwa Senatsurteil vom 15. November 1989 aaO S. 287 m.w.N.). Vorliegend hat sich der Beklagte darauf beschränkt, für das Darlehen über 5.000 DM einen Verwendungszweck zu nennen, nämlich die Möblierung seiner Wohnung, ohne dies näher zu substantiieren. Beide von ihm ins Feld geführten Verbindlichkeiten sind nicht während des Zusammenlebens der Parteien eingegangen worden. Nachdem bereits das Amtsgericht die Berücksichtigung abgelehnt hatte, hat der Beklagte keinen Anlaß gesehen, in zweiter Instanz hierzu nähere Ausführungen zu machen. Was er in den Tatsacheninstanzen vorgetragen hat, reicht schon nicht aus, eine Berücksichtigungswürdigkeit der fraglichen Verbindlichkeiten schlüssig darzutun.

4. Da das angefochtene Urteil auch sonst keinen Rechtsfehler zum Nachteil des eklagten erkennen läßt, ist die Revision zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI609872

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