Entscheidungsstichwort (Thema)

Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer Grenzeinrichtung nach Abriss eines Hauses auf dem Grundstück

 

Leitsatz (amtlich)

Wird durch den Abriß eines Hauses auf dem Grundstück einer Erbengemeinschaft eine Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB in ihrer Funktionsfähigkeit für das Nachbargrundstück beeinträchtigt, so ist die Erbengemeinschaft jedenfalls dann Störer im Sinne des § 1004 BGB, wenn der Abriß von einem Miterben veranlaßt worden ist, dem das Grundstück zur alleinigen Benutzung überlassen worden war.

 

Normenkette

BGB §§ 921, 922 S. 3, § 1004

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. August 1987 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks D., W. straße 14. Eigentümerin des Nachbargrundstücks W. straße 16 ist die Erbengemeinschaft nach der 1964 verstorbenen Gertrud H. Miterbin zu 1/4 ist die Beklagte.

Die auf beiden Grundstücken errichteten Häuser hatten eine gemeinsame Giebelmauer. Anfang der siebziger Jahre wurde das Haus der Erbengemeinschaft abgerissen.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz der Kosten in Anspruch, die nach dem Abriß für die Isolierung der freistehenden Giebelwand ihres Hauses aufgewendet werden müssen. Sie hat die Höhe in erster Instanz mit 40.034,80 DM angegeben. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 9.200 DM verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage in vollem Umfange abgewiesen und zugleich die Anschlußberufung der Klägerin, mit der sie Rechtshängigkeitszinsen für den vom Landgericht zuerkannten Betrag verlangt hat, zurückgewiesen.

Mit der - vom Oberlandesgericht zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin den Zahlungsanspruch in Höhe von 9.200 DM nebst Zinsen weiter.

Die Beklagte beantragt

die Zurückweisung des Rechtsmittels.

 

Entscheidungsgründe

I.

Nach der Auffassung des Berufungsgerichts kommt eine Haftung der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Erbenhaftung für Nachlaßverbindlichkeiten (§ 2058 BGB) nicht in Betracht. Da die Erblasserin den Abriß des Hauses nicht veranlaßt habe, liege eine sogenannte Erblasserschuld nicht vor. Es handele sich auch nicht um eine Erbfallschuld. Daß eine sogenannte Nachlaßverwaltungsschuld, für die die Beklagte einstehen müsse, gegeben sei, habe die Klägerin nicht hinreichend vorgetragen.

Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 922 Satz 3 BGB. Zwar sei durch den Abriß des Hauses der Erbengemeinschaft die gemeinsame Giebelmauer mit dem Haus der Klägerin in ihrer Zweckbestimmung und Fähigkeit, das Nachbarhaus gegen witterungsbedingte Feuchtigkeitseinwirkungen zu schützen, zum Nachteil der Klägerin beeinträchtigt worden. Eine Haftung der Beklagten, die den Abriß nicht veranlaßt habe, komme aber nur in Betracht, wenn sie als Störerin im Sinne des § 1004 BGB angesehen werden könne. Das sei nicht der Fall. Fehle es aber an einem störenden Eingriff der Beklagten in das Eigentum der Klägerin, so entfalle auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Endlich scheide auch § 744 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage aus, da die dort aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

II.

Die Revision ist begründet:

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes stand die Giebelwand des abgerissenen Gebäudes der Erbengemeinschaft halbscheidig auf den Grundstücken W. straße 14 und 16. Sie war daher eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB. Mit dem Abriß des Hauses der Erbengemeinschaft ist die Giebelmauer freigelegt und dadurch der Gefahr witterungsbedingter Feuchtigkeitsschäden ausgesetzt worden. Damit ist die Grenzeinrichtung in einer Weise verändert worden, daß sie ihre Funktionsfähigkeit für das Gebäude der Klägerin (nämlich u.a. Schutz gegen Feuchtigkeit) nicht mehr erfüllen konnte. Ein solcher - unstreitig - ohne Zustimmung der Klägerin vorgenommener Eingriff verstößt gegen § 922 Satz 3 BGB (BGHZ 78, 397, 398). Diese Vorschrift schützt nicht nur die Substanz einer Grenzeinrichtung. Sie will auch die Aufhebung oder Minderung des Bestimmungszweckes der Einrichtung und deren bisheriger Brauchbarkeit für diesen Zweck zum Nachteil des Nachbarn verhindern. Nach dem Schutzzweck des § 922 Satz 3 BGB kann jeder Nachbar verlangen, daß sein Recht auf ungehinderte Benutzung der Grenzeinrichtung unangetastet bleibt. Diesem Zweck widerspricht es, wenn der Abriß des Nachbarhauses die Bestands- und Funktionsfähigkeit der gemeinsamen Giebelmauer derart beeinträchtigt, daß der andere Nachbar gezwungen wird, sich durch bauliche Maßnahmen erst wieder die Nutzungsmöglichkeit zu verschaffen, die ihm die Mauer bisher bot. Durch den Abriß des Hauses der Erbengemeinschaft wurde der Giebelmauer der bisherige Schutz gegen Feuchtigkeitseinwirkungen genommen. Sie war folglich in dem freigelegten Zustand für die Klägerin nicht mehr als Hausabschlußwand uneingeschränkt brauchbar.

Wie der Senat bereits in BGHZ 78, 396, 399 ausgeführt hat, beschränkt § 922 Satz 3 BGB nicht das Recht des Eigentümers des Nachbargrundstücks, sein Haus abzureißen. Der Eigentümer des abgerissenen Hauses muß nur diejenigen Maßnahmen treffen, die zur Verhinderung oder Beseitigung der Auswirkungen des Abrisses auf das Nutzungsinteresse des Nachbarn geboten sind. Er muß also für eine ausreichende Feuchtigkeitsisolierung Sorge tragen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so kann der in seinem Nutzungsrecht beeinträchtigte Nachbar gemäß §§ 922 Satz 3, 1004 BGB von dem Störer die Beseitigung der Störung (d.h. die Isolierung der freigelegten Mauer) oder über §§ 812, 818 Abs. 2 BGB die Erstattung der notwendigen Kosten für die Isolierung verlangen.

Vor der Beseitigung der Störung kommt ein Zahlungsanspruch hinsichtlich der zur Beseitigung erforderlichen Kosten allerdings nicht in Betracht. § 1004 BGB gewährt einen solchen Anspruch nicht. Eine Zahlungspflicht aus §§ 812, 818 Abs. 2 BGB setzt voraus, daß der in seinen Rechten beeinträchtigte Grundstückseigentümer durch Beseitigung der Störung den Störer von dessen Beseitigungspflicht aus § 1004 BGB befreit hat. Dies ist jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes bisher nicht geschehen.

Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004, 249 Satz 2 BGB kommt nur im Falle des Verschuldens der Beklagten in Betracht. Hierfür fehlt es jedoch an Feststellungen des Berufungsgerichtes.

Obwohl es somit vorliegend an dem Antrag auf Beseitigung der Störung fehlt, kann die Revision nicht schon wegen der nicht schlüssigen Klage als im Ergebnis unbegründet zurückgewiesen werden. Da in den Vorinstanzen der gestellte Zahlungsantrag von den Gerichten nicht beanstandet worden ist, müßte der Klägerin Gelegenheit gegeben werden, den richtigen Antrag zu stellen, wenn im Falle der Antragsänderung die Klage auf Beseitigung der Störung begründet wäre. Andernfalls müßte die Revision gemäß § 563 ZPO zurückgewiesen werden.

Im Gegensatz zum Berufungsgericht hält der Senat eine Klage auf Beseitigung der Störung für begründet.

Störer ist im vorliegenden Fall die Eigentümerin des Grundstücks W. straße 16, also die Gemeinschaft der Miterben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit. Die Störereigenschaft besteht unabhängig davon, ob die Erbengemeinschaft dem Abriß des Hauses durch einen der Miterben zugestimmt hatte oder nicht.

Zwar hatte die Erbengemeinschaft nicht selbst den Abriß vorgenommen oder veranlaßt. Sie kann daher nicht als Handlungsstörerin angesehen werden. Sie ist aber Zustandsstörerin. Das Grundstück des Klägers wird nach dem Abriß des Hauses auf dem Grundstück der Beklagten durch die fehlende Isolierung der jetzt freistehenden Giebelwand gestört. Vom Grundstück der Beklagten gehen nach § 922 Satz 3 BGB unzulässige Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks der Klägerin aus. In einem derartigen Fall ist Störer im Sinne von § 1004 BGB der Eigentümer der störenden Sache. Die Zuweisung der vollen Sachherrschaft, die das Eigentumsrecht beinhaltet, verlangt als Korrelat die Verantwortlichkeit für den Zustand der Sache, und zwar auch im Sinne der Aufrechterhaltung eines die Funktionsfähigkeit der Grenzeinrichtung beeinträchtigenden Zustandes mangelnder Isolierung der Außenwand. Die Zustandshaftung des Eigentümers beruht auf seiner gegenwärtigen rechtlichen Herrschaft über das Grundstück, von dem die Störung des Nachbargrundstückes ausgeht. Dementsprechend wird der Grundstückseigentümer auch dann als Störer angesehen, wenn der Beeinträchtigungszustand von seinem Rechtsvorgänger herbeigeführt wurde (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofes vom 17. September 1954, V ZR 35/54, LM BGB § 1004 Nr. 14; 22. März 1966, V ZR 126/63, WM 1963, 643, 645; 3. Mai 1968, V ZR 229/64, LM § 909 BGB Nr. 15; Staudinger/Gursky, BGB 12. Aufl. § 1004 Rdn. 74, 92; BGB-RGRK/Pikart, 12. Aufl. § 1004 Rdn. 78; Palandt/Bassenge, BGB 48. Aufl. § 1004 Anm. 4 b und e). Das gleiche muß um so mehr gelten, wenn die fortdauernde Störung des Nachbargrundstückes während der Dauer des Eigentums am störenden Grundstück von einem Mitglied der Erbengemeinschaft (als der Eigentümerin des Grundstücks) veranlaßt worden ist, dem das Grundstück zur alleinigen Benutzung überlassen worden ist. Die Störereigenschaft ergibt sich im übrigen auch aus Sinn und Zweck des § 922 BGB. Grundstücksnachbarn sind gehalten, Grenzeinrichtungen zwischen ihren Grundstücken zu erhalten und Störungen, die sich auf die Funktionsfähigkeit der Einrichtung nachteilig zu Lasten des Nachbarn auswirken und von ihrem Grundstück ausgehen, zu beseitigen, wenn sie hierzu rechtlich und tatsächlich in der Lage sind.

Ist damit aber die Erbengemeinschaft als Störerin anzusehen, so gehörten nach dem Abriß des Hauses die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Grenzeinrichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung des ungeteilten Nachlasses. Für die daraus resultierenden Verbindlichkeiten der Erbengemeinschaft auf Beseitigung der Beeinträchtigung würde die Beklagte gemäß § 2058 BGB als Gesamtschuldnerin haften.

Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Hagen

Linden

Vogt

Lambert-Lang

Wenzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456424

NJW 1989, 2541

JuS 1990, 233

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge