Leitsatz (amtlich)

1. Nach feststehender Rechtsprechung des BGH ist, wer vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, beweispflichtig dafür, daß der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, der Geschädigte also den Hinweis unbeachtet gelassen und auch bei wahrheitsgemäßen Tatsachenangaben den Vertrag so wie geschehen geschlossen hätte. Dies gilt auch dann, wenn keine Offenbarungspflicht bestand.

2. Macht der Verkäufer eines Grundstücks tatsächliche Angaben, die für den Kaufentschluß des anderen Teils von Bedeutung sein könne, so müssen diese richtig sein, und zwar auch dann, wenn keine Offenbarungspflicht bestand.

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 26.04.1995)

 

Tenor

  • 1.

    Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. April 1995 aufgehoben.

  • 2.

    Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Mit notariellem Vertrag vom 5. Juni 1990 verkaufte der Kläger eine teilweise mit Wohnhäusern bebaute größere Grundstücksfläche in Frankfurt am Main an die Beklagte, die - wie der Kläger wußte - die vorhandenen Gebäude abreißen und Eigentumswohnungen darauf errichten wollte. Der Vertrag enthält einen Ausschluß "jeglicher Gewährleistung". Der Kaufpreis sollte - unabhängig von der Fälligkeit, die an die Erteilung der Baugenehmigung geknüpft war - ab dem 1. Juni 1991 mit 9,5 % jährlich verzinst werden, wobei diese Zinsen auch bei Ausübung eines dem Kläger unter bestimmten Voraussetzungen eingeräumten Rücktrittsrechts anfallen sollten.

Bei dem Vollzug des Vertrages kam es zu Schwierigkeiten und Verzögerungen, die schließlich zur Ausübung des Rücktrittsrechts durch den Kläger mit Schreiben vom 5. Mai 1993 führten. Er verlangt Zahlung der vertraglich bedungenen Zinsen für die Zeit vom 1. November 1992 bis zum 6. Mai 1993 in Höhe von 230.589,14 DM nebst Zinsen.

Die Beklagte macht demgegenüber geltend, der Kläger habe sie über den Umfang des fremdgenutzten Wohnraums in den auf den Kaufgrundstücken vorhandenen Gebäuden arglistig getäuscht. Er habe ihr wahrheitswidrig versichert, daß nur die auf dem Grundstück V. Landstraße 162 stehenden Gebäude fremdgenutzt würden, hingegen das Hausgrundstück V. Landstraße 168 allein von ihm und seiner Familie bewohnt werde. Tatsächlich seien aber dort sowohl ein im Souterrain liegendes Appartement als auch ein Nebengebäude zu Wohnzwecken ausgebaut und zeitweilig von familienfremden Personen genutzt worden. Infolgedessen hätte sie (die Beklagte) bei Durchführung des Vertrages in größerem Umfang als bei Vertragsschluß angenommen mietpreisgebundenen Ersatzwohnraum schaffen müssen, um eine Abbruchgenehmigung zu erhalten. Ihre Kalkulation habe daher nicht mehr gestimmt.

Land- und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die weiterhin die Abweisung der Klage erstrebt. Der Kläger beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, die Einwendungen der Beklagten gegen den vertraglich vereinbarten Zinsanspruch des Klägers griffen nicht durch. Insbesondere habe sich der Kläger nicht durch bewußt unrichtige Angaben gegenüber der Beklagten schadensersatzpflichtig gemacht; gegen seine Klageforderung könne daher nicht mit einem entsprechenden Ersatzanspruch aufgerechnet werden. Es liege weder eine auf die Wohnraumnutzung bezogene Zusicherung des Klägers vor, noch seien die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß gegeben. Dazu fehle es nämlich an einem nachvollziehbaren und unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten, welche konkreten Vorstellungen bei ihr infolge der behaupteten unrichtigen Erklärungen des Klägers bestanden hätten und welcher Schaden daraus entstanden sei.

II.

Diese Ausführungen halten nicht in allen Punkten den Angriffen der Revision stand.

1.

Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß das Berufungsgericht von einem wirksamen Grundstückskaufvertrag zwischen den Parteien ausgegangen ist. Die Auffassung der Revision, der Vertrag sei wegen nicht vollständiger Beurkundung aller vertraglichen Abreden nichtig (§§ 313, 139 BGB), so daß dem Klageanspruch die vertragliche Grundlage entzogen sei, teilt der Senat nicht. Die Beklagte meint, sie habe dargelegt und unter Beweis gestellt, daß der Kläger in bezug auf das Wohnflächenmaß eine unrichtige vertragliche Zusicherung abgegeben habe, die nicht beurkundet worden sei, obwohl sie nach dem Willen der Vertragsparteien zum Gegenstand des Vertrages gehört hätte. Sie verweist jedoch nicht auf Vortrag in den Tatsacheninstanzen, der einen solchen Schluß rechtfertigt. Danach ist "im Vorfeld des Vertragsschlusses" über die Frage der genutzten Wohnfläche gesprochen worden; bei dieser Gelegenheit habe der Kläger eine entsprechende Zusicherung abgegeben. Unabhängig davon, ob das Maß der fremdgenutzten Wohnfläche eine zusicherungsfähige Eigenschaft der Kaufsache darstellt, liegt jedenfalls in einer während der Vertragsverhandlungen erklärten Bereitschaft des Verkäufers, die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft zu übernehmen, noch keine vertraglich bindende Zusicherung. Sie setzt vielmehr voraus, daß der Verkäufer diesen Willen bei Vertragsschluß bekundet. Nur dann kann sie Bestandteil des Vertrages werden. Den Umständen ist eine solche vertragliche Gewährübernahme nicht zu entnehmen. Im Gegenteil, der notarielle Vertrag, der einen Ausschluß jeglicher Gewährleistung enthält, spricht dagegen. Daß die Parteien entgegen der notariell beurkundeten Einigung eine Zusicherung des Verkäufers zum Vertragsgegenstand hätten machen wollen, wäre von der Beklagten darzulegen gewesen. Die Revision zeigt nicht auf, daß dies geschehen ist.

2.

Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht jedoch einen Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß, den die Beklagte der Klageforderung entgegenhalten kann.

a)

Zu Recht weist die Revision darauf hin, daß der Kläger - bei Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten - vorsätzlich die ihm im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen obliegenden Sorgfalts- und Aufklärungspflichten verletzt hat. Zwar muß bei Vertragsverhandlungen, in denen die Beteiligten entgegengesetzte Interessen verfolgen, nicht jeder Umstand, der für den anderen nachteilig sein könnte, offenbart werden. Macht der Verkäufer jedoch tatsächliche Angaben, die für den Kaufentschluß des anderen Teils von Bedeutung sein können, so müssen diese richtig sein, und zwar auch dann, wenn eine Offenbarungspflicht nicht bestand (Senat, BGHZ 74, 103, 110; Urt. v. 20. November 1987, V ZR 66/86, WM 1988, 95, 96). Diese Voraussetzungen hat die Beklagte im einzelnen dargetan und unter Beweis gestellt. Danach hat der Kläger in Kenntnis der Bedeutung für die Entschließung der Beklagten auf ausdrückliches Fragen des Verhandlungsführers vorsätzlich falsche Angaben über das Ausmaß der Wohnnutzung der auf dem Vertragsgrundstück unterhaltenen Gebäude gemacht. Er hat weder die Nutzung der Einliegerwohnung auf dem Grundstück V. Landstraße 168 erwähnt noch über die Nutzung des als Werkstatt- und Hobbyraum bezeichneten Anbaus aufgeklärt.

Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang Darlegungen der Beklagten darüber vermißt, welche konkreten Vorstellungen sich ihre Vertreter aufgrund der Erklärungen des Klägers gemacht hätten, so kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen macht sich der durch falsche Erklärungen Getäuschte im allgemeinen die Vorstellung, daß die auf seine gezielten Fragen gemachten Angaben zutreffen. Weiterer Sachvortrag ist dann - wenn nicht Besonderheiten des Falles dies erfordern - nicht nötig. Zum anderen spielen die Vorstellungen des Geschädigten für den Tatbestand der schuldhaften Pflichtverletzung ohnehin keine Rolle. Sie können allenfalls für die Frage der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt Bedeutung erlangen. Insoweit läßt jedoch der Vortrag der Beklagten - wie noch auszuführen ist - Versäumnisse ebenfalls nicht erkennen.

b)

Durch die Pflichtverletzung des Klägers ist der Beklagten - folgt man ihrem Vortrag - ein Vermögens schaden entstanden. Dieser liegt in der Eingehung des mit der Zinsverpflichtung belasteten Vertrages.

aa)

Welcher Schaden unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß erstattungsfähig ist, richtet sich angesichts der Vielgestaltigkeit, in der eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten in Betracht kommen kann, nach der Ursächlichkeit des schadensstiftenden Verhaltens für den eingetretenen Schaden im Einzelfall. Da die Grundlage eines solchen Schadensersatzanspruchs enttäuschtes Vertrauen ist, geht er in der Regel auf Ersatz des sogen, negativen Interesses; d.h. der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne das schadensstiftende Verhalten des anderen Teils stehen würde (BGH, Urt. v. 1. April 1981, VIII ZR 51/80, WM 1981, 689, 690 m.w.N.). Steht fest, daß die benachteiligte Partei im Falle pflichtgemäßer Aufklärung einen für sie ungünstigen Vertrag nicht abgeschlossen hätte, so kann sie Rückgängigmachung des Vertrages verlangen (Senat. Urt. v. 25. Juni 1982, V ZR 143/81, WM 1982, 960 f), Der durch die Pflichtverletzung verursachte Schaden liegt dann in der Eingehung des für sie nachteiligen Vertrages.

bb)

Soweit das Berufungsgericht annimmt, die Beklagte habe diese Voraussetzungen weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, verkennt es die Darlegungs- und Beweislast. Nach feststehender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist, wer vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt, beweispflichtig dafür, daß der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre, der Geschädigte also den Hinweis unbeachtet gelassen und auch bei wahrheitsgemäßen Tatsachenangaben den Vertrag so wie geschehen geschlossen hätte (vgl. BGH, Urt. v. 28. November 1983, II ZR 72/83, WM 1984, 221, 222; Senat. Urt. v. 30. Oktober 1987, V ZR 144/86, WM 1988, 48, 50).

cc)

Rechts fehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagten sei deswegen kein Schaden entstanden, weil sie bei Vertragsschluß gar nicht davon ausgegangen sei, daß sie - in bestimmtem Umfang - verbilligten Ersatzwohnraum habe schaffen müssen. Unabhängig davon, ob dies zutrifft und insbesondere aus den vom Berufungsgericht herangezogenen Umständen erschlossen werden kann - was die Revision in Abrede stellt -, so ändert dies jedenfalls nichts daran, daß die Beklagte mit höheren Kosten belastet worden wäre. Der eingegangene Vertrag hätte sich auch dann für sie als objektiv nachteilig erwiesen. Sofern das Berufungsgericht mit diesen Überlegungen die Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und eingetretenem Schaden hat verneinen wollen, so durfte diese Feststellung - was die Revision rügt - nicht ohne Würdigung des gegenteiligen und unter Beweis gestellten Vortrags der Beklagten getroffen werden. Sie hat nämlich dargelegt und in das Wissen ihres Verhandlungsführers K. gestellt, daß das Ausmaß der für Wohnzwecke genutzten Fläche einen für sie maßgeblichen Faktor dargestellt habe und daher für den Kaufentschluß maßgeblich gewesen sei.

dd)

Zu Recht macht die Revision ferner geltend, daß das Berufungsgericht den Schadenseintritt auch nicht mit der Erwägung verneinen konnte, daß die Beklagte auf ein von dem Amt für Wohnungswesen der Stadt Frankfurt am Main unterbreitetes Vertragsangebot zur Regelung der Ersatzwohnraumfrage hätte eingehen können. Solche Überlegungen sind für den eingetretenen Schadensverlauf ohne Belang. Sie können allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht, § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB, Bedeutung erlangen. Darüber hinaus treffen sie aber auch in der Sache nicht zu. Zum einen wäre auch in diesem Fall die Beklagte mit Mehrkosten belastet worden. Das Vertragsangebot stellte nämlich in Rechnung, daß die Einliegerwohnung im Haus V. Landstraße 168 zu Wohnzwecken genutzt wurde, wohingegen nach den von dem Kläger hervorgerufenen Vorstellungen der Beklagten nur eine geringere Wohnnutzung auf dem Gesamtgrundstück hätte Berücksichtigung finden dürfen. Zum anderen hat die Beklagte - worauf die Revision mit einer Verfahrensrüge hinweist - unter Beweisantritt vorgetragen, daß die Behörde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts, daß nämlich auch das Nebengebäude auf dem Grundstück V. Landstraße 168 zeitweise als Wohnunterkunft diente, zusätzliche Ausgleichsleistungen von der Beklagten hätte fordern müssen, die nicht Gegenstand des Vertragsangebots waren.

c)

Nachdem der Kläger von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist, besteht der Schaden der Beklagten nur noch in der fortdauernden Verpflichtung zur Zinszahlung. Hierauf hat der Kläger keinen Anspruch, wenn er wegen Verschuldens bei Vertragsschluß gerade den durch die Eingehung des Vertrages entstandenen Schaden zu ersetzen hat.

III.

Das Berufungsgericht wird in der erneuten Verhandlung zu klären haben, ob sich der den Anspruch aus culpa in contrahendo rechtfertigende Vortrag der Beklagten als wahr erweist. Sollte sich dabei herausstellen, daß im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Angaben des Klägers der Wahrheit entsprachen, daß er aber - entsprechend dem hilfsweisen Vorbringen der Beklagten - später Voraussetzungen geschaffen hat, die eine erhöhte Ausgleichspflicht für die Beklagte zur Folge hatte, so wird das Berufungsgericht den geltend gemachten Schadensersatzanspruch unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung zu prüfen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018922

NJW 1997, 938

NJW 1997, 938 (red. Leitsatz)

NJW-RR 1997, 144-145 (Volltext mit red. LS)

IBR 1998, 164 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

JuS 2000, 747-754 (Urteilsbesprechung von WissMit. RA Martin Häublein)

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