Leitsatz (amtlich)

Den aufgrund einer Abtretung mit einer neuen Klage geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen steht die Rechtskraft eines dieselben Gewährleistungsansprüche betreffenden – wegen fehlender Aktivlegitimation – klageabweisenden Urteils dann nicht entgegen, wenn die Abtretung erst nach Schluß der maßgeblichen letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß erklärt worden ist.

 

Normenkette

ZPO § 322

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf

OLG Düsseldorf

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Grundurteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12. November 1984 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Mit Bauvertrag vom 31. Januar 1977 übertrug die Ehefrau den Klägers dem Rechtsvorgänger der Beklagten (dem während des Rechtsstreits verstorbenen Ehemann der Beklagten zu 1 und Bruder der Beklagten zu 2) die gesamten Dachdecker und Klempnerarbeiten an dem Mehrfamilienhaus K.-Straße 3/3a in D. Noch vor Fertigstellung veräußerte sie – nach Begründung von Wohnungseigentum – alle 15 Wohnungen des Bauvorhabens. In 12 „Kaufverträgen trat sie dabei die das Gemeinschaftseigentum betreffenden Gewährleistungsansprüche an die Erwerber „als Gesamtgläubiger” ab. Als nach Bezug der Wohnungen an den Balkonen und Terrassen Feuchtigkeitsschäden auftraten, beantragten in den Jahren 1978/79 sowohl die Ehefrau des Klägers als auch die Wohnungseigentümergemeinschaft die Einleitung von Beweissicherungsverfahren.

In einem im Jahre 1979 gegen den Kläger anhängig gewordenen Rechtsstreit klagte der Rechtsvorgänger der Beklagten restlichen Werklohn aus einem anderen Bauvorhaben in Höhe von 16.468,19 DM nebst Zinsen ein. Gegen diese Klageforderung rechnete der Kläger u.a. – gestützt auf eine Abtretungserklärung seiner Ehefrau vom 7. Januar 1980 – mit Gewährleistungsansprüchen aus dem Bauvorhaben K.-Straße auf; in Höhe von 50.000,– DM nebst Zinsen machte er seine Gegenansprüche mit einer Widerklage geltend. Das Landgericht gab mit Urteil vom 11. Juni 1982 der Klage in Höhe von 14.316,77 DM nebst Zinsen statt, die Widerklage wies es wegen fehlender Aktivlegitimation des Klägers ab. Das Oberlandesgericht wies mit Urteil vom 22. März 1983 die Klage in vollem Umfang ab. Zur Begründung führte es aus, dem Kläger stünden aus dem Bauvorhaben K.-Straße aufrechenbare Gegenansprüche in Höhe von 43.525,30 DM gegen den Rechtsvorgänger der Beklagten zu. Da der Kläger die Abweisung der Widerklage hingenommen hatte, faßte das Oberlandesgericht die Urteilsformel des landgerichtlichen Urteils dahin neu, daß „die Klage und die Widerklage” abgewiesen werden.

Nunmehr verlangt der Kläger – nach Abzug der vom Rechtsvorgänger der Beklagten im Vorprozeß eingeklagten Werklohnforderung und gestützt auf eine Abtretung der Gewährleistungsansprüche durch die Wohnungseigentümer vom 17. Januar 1983 – Schadensersatz für fehlerhafte Wandanschlüsse der Terrassenabdichtung und für fehlerhafte Dachrandprofile in dem Bauvorhaben K.-Straße sowie Ersatz von Mängelbeseitigungskosten. Seine auf Ersatz von 26.906,32 DM nebst Zinsen gerichtete, im Juni 1983 erhobene Klage hat das Landgericht wegen des rechtskräftigen Berufungsurteils aus dem Vorprozeß als unzulässig abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit der – zugelassenen – Revision, die der Kläger zurückzuweisen bittet, erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht nimmt an, die maßgebliche rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts in dem vorausgegangenen Rechtsstreit entfalte für das vorliegende Verfahren keine Rechtskraftwirkung. Bei der Abweisung der Widerklage durch das Landgericht habe die Abtretung durch die Wohnungseigentümer noch nicht vorgelegen. Aufgrund der neuen Abtretung unterscheide sich deshalb der im neuen Prozeß vorgetragene Sachverhalt seinem Wesen nach von dem des Vorprozesses. Die Entscheidung des Landgerichts sei auch nicht durch eine Gesamtgläubigerberechtigung der Ehefrau des Klägers mit Ausschlußwirkung für den neuen Sachverhalt in Rechtskraft erwachsen, weil eine Gesamtgläubigerstellung an einer Forderung ohne Mitwirkung des Schuldners vertraglich nicht begründet werden könne. Daß der Kläger in dem früheren Rechtsstreit keine Berufung gegen die vom Landgericht abgewiesene Widerklage eingelegt habe, stehe einer Entscheidung über den neuen Sachverhalt ebenfalls nicht entgegen. Im übrigen sei – solange eine anderslautende Entscheidung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht ergangen sei – von der Wirksamkeit der Abtretung der Gewährleistungsansprüche an den Kläger auszugehen. Aufgrund der in den Jahren 1978 und 1979 eingelegten Beweissicherungsverfahren seinen die Ansprüche auch nicht verjährt.

Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Denn die rechtskräftige Abweisung der Widerklage im Vorprozeß hat für den vorliegenden Rechtsstreit keine Rechtskraftwirkung.

1. Die Rechtskraft der Abweisung der Widerklage im Vorprozeß steht der Zulässigkeit der neuen Klage nicht entgegen.

a) Nach § 322 Abs. 1 ZPO ist ein Urteil insoweit der Rechtskraft fähig, als darin über den durch Klage und Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Maßgebend für den Umfang der Rechtskraft ist somit der Streitgegenstand (BGHZ 85, 367, 374). Dieser wird von dem Grund des zur Entscheidung gestellten Anspruchs und von dem zugehörigen Lebenssachverhalt bestimmt, aus dem dieser Anspruch hergeleitet wird. Läßt die Urteilsformel – wie bei einem klageabweisenden Urteil – den Streitgegenstand und damit den Umfang der Rechtskraft nicht erkennen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen (BGH NJW 1981, 2306; 1983, 2032, jeweils m.N.).

Unterscheidet sich der Streitgegenstand des neuen Prozesses von dem des Vorprozesses, wird also ein seinem Wesen nach anderer Sachverhalt vorgetragen, steht der neuen Klage – auch wenn das Klageziel äußerlich unverändert geblieben ist – die materielle Rechtskraft des Urteils im früheren Rechtsstreit nicht entgegen (BGH NJW 1981, 2306 m.N.). Stellt der Kläger dagegen im neuen Prozeß denselben prozessualen Anspruch zur Entscheidung, handelt es sich also um den Streitgegenstand des Vorprozesses, ist das Gericht durch die Rechtskraft des früheren Urteils an einer Sachentscheidung gehindert (Senatsurteil vom 25. September 1975 – VII ZR 243/74 = WM 1975, 1181 = LM ZPO § 322 Nr. 78).

Streitgegenstand der im Vorprozeß von dem Kläger erhobenen Widerklage waren die Gewährleistungsansprüche aus dem Bauvorhaben K.-Straße, die dem Kläger nach seinem Vorbringen am 7. Januar 1980 von seiner Ehefrau abgetreten worden waren. Da die Ehefrau des Klägers diese Gewährleistungsansprüche, soweit sie das Gemeinschaftseigentum betreffen, aufgrund der abgeschlossenen „Kaufverträge” bereits vorher an 12 der 15 Wohnungseigentümer abgetreten hatten, konnte sie dem Kläger die für die Geltendmachung der Ansprüche notwendige Rechtsstellung nicht verschaffen. Das Landgericht mußte die Klage deshalb abweisen.

In dem neuen Prozess macht der Kläger zwar erneut Gewährleistungsansprüche aus dem Bauvorhaben K.-Straße geltend. Er stützt die Klage jedoch nunmehr auf eine von der Wohnungseigentümergemeinschaft am 17. Januar 1983 erklärte Abtretung dieser Ansprüche an ihn. Der neuen Klage liegt somit – wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt – ein anderer Sachverhalt zugrunde. Der Streitgegenstand des Rechtsstreits unterscheidet sich daher von dem des Vorprozesses; beide Streitgegenstände sind nicht identisch. Die Klage ist deshalb nicht aufgrund der im Vorprozeß abgewiesenen Widerklage unzulässig.

2. Die in dem früheren Rechtsstreit rechtskräftig abgewiesene Widerklage schließt auch nicht aus, daß sich der Kläger nunmehr auf die Abtretungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 17. Januar 1983 stützt.

a) Der Kläger hat im Vorprozeß die Abweisung der Widerklage durch das Landgericht nicht angegriffen. Der – von der Hauptklage unabhängige und selbständige (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 99 II 3 b) – Rechtsstreit über die Widerklage wurde daher durch das Urteil des Landgerichts beendet. Das Oberlandesgericht hat mit dem Ausspruch in der Urteilsformel „Die Klage und die Widerklage werden abgewiesen” nicht über die Widerklage entschieden. Vielmehr hat es die Abweisung der Widerklage nur aufgrund der Neufassung des lediglich wegen der erfolgreichen Klage angefochtenen landgerichtlichen Urteils aufgenommen. Für die zeitliche Grenze der Rechtskraft der Widerklageabweisung ist somit der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht maßgebend (vgl. § 767 Abs. 2 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt – am 14. Mai 1982 – lag die Abtretungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 17. Januar 1983 noch nicht vor. Der Kläger hätte diese Abtretungserklärung deshalb nicht im Vorprozeß geltend machen können. Die Rechtskraft des die Widerklage abweisenden landgerichtlichen Urteils hinderte ihn daher nicht, nunmehr die neue Klage auf die neue Tatsache der Abtretung der Gewährleistungsansprüche durch die Wohnungseigentümer zu stützen. Dabei ist es ohne Bedeutung, daß die Wohnungseigentümergemeinschaft die Gewährleistungsansprüche auf Verlangen des Klägers bzw. seiner Ehefrau unter Umständen bereits vorher abgetreten hätte; denn es kommt nicht darauf an, ob die neue Tatsache schon früher hätte herbeigeführt werden können (BGH NJW 1962, 915 Nr. 12; 1984, 126, 127).

b) Der Kläger war im Vorprozeß auch nicht gehalten, nach Abtretung der Gewährleistungsansprüche durch die Wohnungseigentümer die gegen das Urteil des Landgerichts eingelegte Berufung auf die Abweisung der Widerklage auszudehnen. In der Berufungsbegründung vom 15. November 1982 hat er ausdrücklich ohne jeden Vorbehalt nur beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Mit dieser den Umständen nach erkennbar endgültigen Beschränkung des Rechtsmittelantrags hat er klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er sich im übrigen mit dem Urteil zufrieden gibt und somit auf seine Berufung gegen die Abweisung der Widerklage verzichtet (vgl. BGH NJW 1974, 1248, 1249; RGZ 136, 3533, 355; a. BGH NJW 1983, 1561, 1562). Aufgrund dieses teilweisen Rechtsmittelverzichts hätte eine Berufung, die nachträglich auf den die Widerklage abweisenden Teil des Landgerichtsurteils ausgedehnt worden wäre, als unzulässig verworfen werden müssen. Der Kläger war daher – wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend annimmt – nicht verpflichtet, das Rechtsmittel nach der Abtretungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft vom 17. Januar 1983 auf die Widerklage zu erstrecken. Er war dazu gar nicht mehr in der Lage.

3. Die Rechtskraft des die Widerklage abweisenden Landgerichtsurteils führt auch nicht aus anderen Gründen zu einem Ausschluß der Abtretungserklärung vom 17. Januar 1983 in dem vorliegenden Rechtsstreit.

a) Ob die Ehefrau des Klägers aufgrund der Abtretung der Gewährleistungsansprüche an 12 von 15 Erwerbern „als Gesamtgläubiger” die Stellung eines Gesamtgläubigers erlangt hat, kann offenbleiben. Denn ein von einem Gesamtgläubiger erstrittenes Urteil wirkt grundsätzlich nicht zugunsten eines anderen Gesamtgläubigers (vgl. BGH NJW 1984, 126, 127). Gleiches gilt für ein Urteil gegenüber einem Gesamtgläubiger; eine Rechtskrafterstreckung tritt nicht ein (vgl. Rosenberg/Schwab a.a.O. § 46 V 3 b).

b) Entgegen der Auffassung der Revision kann eine Rechtskrafterstreckung auch nicht aus dem Verhalten der Parteien hergeleitet werden. Der Umfang der Rechtskraft wird allein durch den Streitgegenstand nicht durch die Auffassung der Parteien darüber bestimmt. Eine vertragliche Vereinbarung der Parteien über die Erstreckung der Rechtskraft ist daher nicht möglich (Rosenberg/Schwab a.a.O. § 152 V 2). Auch wenn – wie die Revision meint – Einigkeit zwischen den Parteien über die Identität der vom Kläger in Vorprozeß mit der Widerklage und nunmehr mit der Klage geltend gemachten Ansprüche bestanden haben sollte, ist dies ohne prozessuale Bedeutung. Denn für den Umfang der Rechtskraft ist allein der Streitgegenstand maßgebend, der von dem Grund des zur Entscheidung gestellten Anspruchs und von dem zugehörigen Lebenssachverhalt bestimmt wird (BGH NJW 1981, 2306). Die Streitgegenstände der in Vorprozeß erhobenen Widerklage und der neuen Klage sind aber – wie ausgeführt – nicht gleich.

4. Das Berufungsgericht nimmt zutreffend an, daß die Beklagten die Wirksamkeit der Abtretung gegen sich gelten lassen müssen und die dem Kläger abgetretenen Gewährleistungsansprüche noch nicht verjährt sind. Es hat daher zu Recht ausgesprochen, daß dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch steht.

5. Nach alledem ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609619

NJW 1986, 1046

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge