Leitsatz (amtlich)

›Für die Parteien eines Rechtsschutzversicherungsvertrages sind auch in Fällen sogenannter Voraussetzungsidentität die Tatsachenfeststellungen nicht bindend, die in dem Verfahren getroffen werden, für dessen Durchführung Deckungsschutz vom Versicherer verlangt wird.‹

 

Verfahrensgang

OLG München

 

Gründe

... Das BerGer. ist der Ansicht, durch die rechtskräftige Entscheidung im Vorprozeß stehe auch für die Parteien dieses Rechtsstreits fest, daß der Berufsunfähigkeitsversicherer von dem Kl. [Versicherungsnehmer sowohl des Berufsunfähigkeitsversicherers als auch des im vorl. Fall beklagten Rechtsschutzversicherers] arglistig getäuscht worden sei und demnach zu Recht den Versicherungsvertrag angefochten habe. Im Vorprozeß festgestellte Tatsachen seien auch im Verhältnis der Parteien des Prozesses, in dem es um die Gewährung von Rechtsschutz gehe, verbindlich, soweit es auf sie im Rahmen des Rechtsschutzversicherungsverhältnisses ankomme (sogen. Voraussetzungsidentität). Die Nichtanerkennung der rechtskräftigen Entscheidung im Ausgangsprozeß und das Verlangen erneuter Entscheidung im Prozeß mit dem Rechtsschutzversicherer stellten eine treuwidrige, unzulässige Rechtsausübung dar. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - keine neuen Tatsachen und Beweismittel gebracht werden könnten. ...

Der Rechtsauffassung des BerGer., für die Parteien eines Rechtsschutzversicherungsvertrages seien in Fällen der Voraussetzungsidentität die Tatsachenfeststellungen bindend, die in dem Verfahren getroffen worden sind, für dessen Durchführung Deckungsschutz verlangt wird, kann nicht zugestimmt werden. Allerdings wird diese Ansicht in Rechtspr. und Literatur weitgehend vertreten (vgl. LG Osnabrück, ZfS 1985, 302; OLG München, VersR 1987, 1209 f.; LG Kassel, ZfS 1987, 114; LG Hildesheim, ZfS 1988, 390; OLG Düsseldorf, ZfS 1989, 88 f.; OLG Köln, NJW-RR 1989, 25 f.; Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 4. Aufl., § 4 Rdn. 154 und § 18 Rdn. 19; Prölss/Martin, VVG, 24. Aufl., ARB § 1 Anm. 2; aA. OLG Karlsruhe, VersR 1981, 845 mit abl. Anm. von Harbauer). Ihre Vertreter lassen jedoch den materiell-rechtlichen Grund, der in einer Haftpflichtversicherung zur Bindungswirkung des vorangegangenen Haftpflichtprozesses für den nachfolgenden Deckungsprozeß führt, außer acht und vernachlässigen damit unzulässigerweise den grundlegenden Unterschied in Voraussetzung und Art des jeweiligen Versicherungsschutzes. ...

Da der Versicherungsschutz in einer Haftpflichtversicherung auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche umfaßt, besteht grundsätzlich kein Bedürfnis für die Beteiligten eines Haftpflichtversicherungsvertrages, die Haftpflichtfrage außerhalb eines Haftpflichtprozesses klären zu lassen. Es wäre aber vor allem mit Sinn und Zweck einer Haftpflichtversicherung unvereinbar, wenn in einem vorangehenden Deckungsprozeß der Haftpflichtanspruch des Dritten gegen den Versicherungsnehmer rechtskräftig verneint, im nachfolgenden Haftpflichtprozeß dagegen bejaht werden könnte. Das sogenannte Trennungsprinzip, das die Prüfung der Haftpflichtfrage grundsätzlich dem Haftpflichtprozeß vorbehält, leitet sich, wie allgemein in Rechtspr. und Literatur anerkannt, aus dem Wesen der Haftpflichtversicherung her. Es gewährleistet, daß der vertraglich zu gewährende Versicherungsschutz unverkürzt erbracht wird. Eine notwendige Ergänzung des Trennungsprinzips ist die in gefestigter Rechtspr. entwickelte, im Schrifttum anerkannte Bindungswirkung des vorangegangenen Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozeß ... . Die Bindungswirkung verhindert, daß die Grundlagen der Entscheidung wie die Entscheidung selbst, die im Haftpflichtprozeß getroffen worden ist, nochmals zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer in Frage gestellt werden können. Es handelt sich dabei um eine weitere im materiellen Recht wurzelnde Besonderheit der Haftpflichtversicherung. Diese Bindungswirkung umfaßt mehr als die Rechtskraft einer Entscheidung und ist begrifflich von ihr zu trennen. ...

Eine Bindungswirkung auch im Bereich der Rechtsschutzversicherung ... kann jedoch deshalb nicht in Betracht kommen, weil in einer Rechtsschutzversicherung kein Raum ist für die Anwendung des Trennungsprinzips, das erst die Bindungswirkung rechtfertigt und durch sie ergänzt wird. Auch ohne Anwendung des Trennungsprinzips ist in der Rechtsschutzversicherung ein unverkürzter Versicherungsschutz gewährleistet.

Rechtsschutz wird in den ARB, die auch hier maßgebliche Vertragsgrundlage sind, angeboten für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen einer Person in der Kläger- oder der Beklagtenrolle. Dabei ist die jeweilige Prozeßführung allein Sache des Versicherungsnehmers. Ob sie günstig für ihn endet oder nicht, bleibt dabei sein Risiko. Gemäß § 1 Abs. 1 ARB sorgt der Rechtsschutzversicherer nach Eintritt des - in § 14 ARB beschriebenen - Versicherungsfalles für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers oder Versicherten nur in Form der Kostenübernahme und auch nur, wenn und soweit die Interessenwahrnehmung notwendig ist.

In der Rechtsschutzversicherung ist somit nicht nur (anders als in der Haftpflichtversicherung) die Leistungszusage des Versicherers auf einen Teilausschnitt der wirtschaftlichen Folgen beschränkt, die eine rechtliche Auseinandersetzung für den Versicherungsnehmer hat. Vor allem knüpft die Gewährung von Deckungsschutz nach den ARB nicht allein an eine rechtliche Auseinandersetzung mit einem Dritten an wie in der Haftpflichtversicherung. In der Rechtsschutzversicherung genügt nicht, daß es hierzu kommt. Die Kostenübernahme wird vielmehr nur für den Fall zugesagt, daß die jeweils betriebene oder erst beabsichtigte Wahrnehmung (bestimmter) rechtlicher Interessen hinreichend erfolgversprechend ist und nicht mutwillig erscheint. Damit ist der Versicherungsschutz von dem Ergebnis einer Prognose, einer Beurteilung ex ante, abhängig gemacht. Das endgültige Ergebnis der Interessenwahrnehmung, z.B. ein rechtskräftiges Urteil, spielt für sie keine Rolle. Ein Prozeßverlust des Versicherungsnehmers bringt die einmal entstandene Leistungspflicht des Versicherers nicht wieder zum Erlöschen.

Das Trennungsprinzip, das erst zur Bindungswirkung führt, läßt sich nicht auf eine Versicherung anwenden, in der Deckungsschutz in Form bloßer Kostenübernahme von der Erfolgsaussicht der Wahrnehmung rechtlicher Interessen abhängen soll. Diese Erfolgsaussicht ist nur im Verhältnis von Versicherer und Versicherungsnehmer von rechtlicher und tatsächlicher Bedeutung, wie das bei anderen versicherungsrechtlichen Einwänden typischerweise auch der Fall ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993679

BGHZ 117, 345

BGHZ, 345

NJW 1992, 1509

BGHR AVB Rechtsschutzversicherung (ARB) § 17 Abs. 2 Stichentscheid 3

BGHR AVB Rechtsschutzversicherung (ARB) §§ 1 ff., Bindungswirkung 1

DRsp II(228)180a

MDR 1992, 652

VersR 1992, 568

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