Leitsatz (amtlich)

›Muß der bei einem Verkehrsunfall Verletzte unfallbedingt in einen anderen Beruf wechseln, in dem er über viele Jahre (hier: 18 Jahre) tätig ist und mehr verdient als in seiner früheren Stellung, und wechselt er dann, ohne auf Grund der Unfallverletzungen oder der beruflichen Situation bei seinem neuen Arbeitgeber dazu veranlaßt worden zu sein, um sich weiter zu verbessern, erneut den Beruf, dann kann es an einem haftungsrechtlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis fehlen, wenn er nunmehr berufliche Fehlschläge mit Einkommenseinbußen erleidet. An eine Ausgrenzung aus der Ersatzpflicht des Schädigers sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen.‹

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Entscheidung vom 06.12.1990; Aktenzeichen 12 U 100/90)

LG Köln (Entscheidung vom 07.03.1990; Aktenzeichen 23 O 391/89)

 

Tatbestand

Das klagende Land (künftig: der Kläger) macht aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 11. Februar 1962 geltend, bei dem der damals im Polizeidienst des Landes stehende Dieter K. verletzt worden ist. Er ist wegen der Unfallfolgen zum 1. Februar 1964 in den Ruhestand versetzt worden. Die Beklagte ist der Kfz-Haftpflichtversicherer des Kurt R., dessen alleinige Verantwortung für den Unfall außer Streit steht; er ist gemäß rechtskräftigem Feststellungsurteil vom 9. Januar 1969 verpflichtet, dem Kläger u.a. die Aufwendungen zu ersetzen, die dieser bis zum 30. November 2000 an Versorgungsbezügen zu erbringen hat, und zwar in Höhe der Differenz zwischen dem monatlichen Einkommen, das K. als Polizeihauptwachtmeister jeweils gehabt hätte, und seinem Arbeitseinkommen als Programmierer. Letzterem liegt zugrunde, daß K. seit Juli 1964 bei der Fa. T. als Programmierer tätig war. Er verdiente dort alsbald mehr als bei der Polizei. Zum 1. März 1982 gab er die Stellung bei der Fa. T. auf und wechselte zu der Fa. S., deren Inhaber sein Bruder ist. Es war beabsichtigt, daß er nach einer etwa einjährigen Einarbeitungszeit die Leitung eines neu zu gründenden Filialbetriebes der Fa. S. übernehmen sollte. Bald nach Eröffnung mußte dieser Filialbetrieb aus konjunkturellen Gründen wieder geschlossen werden. K. kündigte zum 30. September 1983. Er war in der Folge zunächst als Verlagskaufmann, sodann als Versicherungsmitarbeiter im Außendienst tätig. Seit 1984 bleibt sein Einkommen hinter demjenigen eines Polizeihauptwachtmeisters zurück.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Erstattung der an K. in der Zeit von 1984 bis 1987 gezahlten Versorgungsbezüge in den Grenzen der Differenz zwischen dem tatsächlich von K. erzielten Einkommen und den Bezügen eines Polizeihauptwachtmeisters, insgesamt 101.219,69 DM.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision hält die Beklagte daran fest, daß die Klage insgesamt abzuweisen sei.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß K. ohne den Unfall im Polizeidienst verblieben wäre und in der hier infragestehenden Zeit die Bezüge eines Polizeihauptwachtmeisters erhalten hätte. Die vom Kläger aus übergegangenem Recht (§ 99 LBG NW) geltend gemachte Einkommenseinbuße sei deshalb eine unfallursächliche Schadensfolge. Sie sei auch adäquat-kausal. Denn eine Entwicklung, wie sie sich hier ergeben habe, daß nämlich eine zunächst aufgenommene anderweitige Berufstätigkeit wieder aufgegeben werde und dies zu einem Mindereinkommen führe, liege nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Für eine Freistellung der Beklagten von der Ersatzpflicht für den Verdienstausfallschaden des K. nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung zum Schutzbereich der Norm bzw. zur Unterbrechung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges entwickelt habe, ergebe sich keine Veranlassung.

II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf die Revision der Beklagten ist die Klage abzuweisen.

1. Mit Recht bejaht das Berufungsgericht allerdings Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten, die im Regelfall ausreichen, um gemäß § 823 Abs. 1 und § 842 BGB i.V.m. § 3 PflVG die Einstandspflicht für eine Einkommenseinbuße zu begründen. So ist außer Streit, daß die Beklagte den gesamten unfallbedingten Verdienstausfallschaden des K. zu ersetzen hat. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht der Revision ist auch davon auszugehen, daß der Unfall des K. in naturwissenschaftlichlogischem Sinne kausal für die mit der Klage eingeforderte Erwerbseinbuße war. Denn das Berufungsgericht stellt, ohne daß sein zugrundeliegendes Verfahren von der Revision gerügt wird, fest, daß dieser Schaden nicht entstanden wäre, wenn man sich den Verkehrsunfall wegdenkt. Dem Berufungsgericht ist weiter darin zu folgen, daß es sich bei diesem Schaden um eine adäquat-kausale Unfallfolge handelt. Es liegt nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit (so die allgemeine Definition; vgl. BGHZ 42, 118, 124), daß ein Unfallgeschädigter, der verletzungsbedingt seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann und deshalb eine andere Erwerbstätigkeit aufnimmt, auch diese Tätigkeit, selbst wenn sie besser bezahlt ist, wieder aufgibt, um anderweitig größere berufliche Befriedigung zu finden oder mehr zu verdienen, daß aber dann der erneute Berufswechsel sein Einkommen hinter den ursprünglichen Stand zurückfallen läßt. Ein solcher Verlauf bleibt im Rahmen dessen, was erfahrungsgemäß vorkommt.

2. Diese allgemeinen Voraussetzungen für eine Haftung genügen jedoch, wie der Senat wiederholt entschieden hat, nicht in jedem Fall, um die Ersatzpflicht des Schädigers für eine bestimmte Schadensfolge zu begründen. Trotz adäquater Verursachung kann es nämlich ausnahmsweise an dem für die Einstandspflicht nötigen inneren Zusammenhang zwischen der Schutzgutverletzung und dem im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB "daraus entstehenden Schaden" fehlen, für den der Verletzte Ersatz verlangt. Besteht bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung zwischen der Verletzungshandlung und der geltend gemachten Schadensfolge nicht mehr als ein rein äußerer, gleichsam zufälliger Zusammenhang, dann fehlt es an der sachlichen Berechtigung, dem Schädiger auch diese Schadensfolge zuzurechnen (vgl. BGHZ 25, 86, 90 ff.; 27, 137, 139 ff.; 70, 374, 376; 74, 221, 225; Senatsurteile vom 7. Juni 1968 - VI ZR 1/67 - VersR 1968, 800, 802; vom 23. Oktober 1984 - VI ZR 30/83 - VersR 1985, 62, 63 und vom 26. Februar 1991 - VI ZR 149/90 - VersR 1991, 596, 597). So liegen die Dinge hier.

a) An dem für die Einstandspflicht erforderlichen haftungsrechtlichen Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich, den der Schädiger durch die Schutzgutverletzung für den Geschädigten eröffnet hat, kann es insbesondere dann fehlen, wenn der Geschädigte aufgrund eines eigenen Willensentschlusses selbst in den Geschehensablauf eingegriffen und dadurch die eigentliche Ursache für die von ihm geltend gemachte Schadensfolge gesetzt hat. Bei solcher Fallgestaltung kann eine wertende Betrachtung zu dem Ergebnis führen, daß der hierdurch geprägte Schaden ausschließlich dem eigenen Lebensrisiko des Geschädigten zuzuordnen ist. So ist anerkannt, daß der haftungsrechtliche Zusammenhang zur Schutzgutverletzung unterbrochen ist, wenn das den Schaden auslösende Verhalten des Geschädigten völlig ungewöhnlich oder unsachgemäß ist (Senatsurteil vom 16. Januar 1990 - VI ZR 170/89 - VersR 1990, 495, 496). Entsprechendes kann gelten, wenn der den Schaden herbeiführende Willensentschluß des Geschädigten der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage so weit entrückt und so tief in den Bereich des eigenen Lebensrisikos des Geschädigten hinein verlagert ist, daß der Schädiger für diese Folge gerechterweise nicht mehr haftbar gemacht werden kann. Mit dieser Begründung hat der Senat gerade für die auch hier zu beurteilende Fallgestaltung, daß sich der bei einem Unfall Verletzte einem anderen Beruf zuwendet und hierdurch die Schadensentwicklung beeinflußt, eine Ausgrenzung späterer Schadensfolgen aus dem vom Schädiger zu verantwortenden Gefahrenbereich unter der Voraussetzung bejaht, daß die Änderung des beruflichen Lebensweges von einer eigenständigen Entscheidung des Verletzten derart geprägt war, daß der Unfall für diese Entwicklung nur noch den äußeren Anlaß darstellte (Senatsurteil vom 26. Februar 1991 = aaO.).

An die Annahme eines solchen Ausnahmefalles sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Der Grundsatz der im Schadensrecht geltenden Totalrestitution gebietet es, eine dahingehende Bewertung nur in außergewöhnlich gelagerten Fällen vorzunehmen. Erforderlich sind klare Zäsuren, die auch nach außen erkennen lassen, daß der Verletzte durch seine Entscheidung für ein geändertes Berufsziel die berufliche Entwicklung eigenverantwortlich zu seinem persönlichen Lebensrisiko hat werden lassen (Senatsurteil vom 16. Februar 1991 = aaO.).

Liegen allerdings in diesem Sinne eindeutige Umstände dafür vor, daß der Verletzte mit der Entscheidung zu einem Berufswechsel seinen künftigen beruflichen Lebensweg vom Unfallereignis losgelöst und dem Bereich des eigenen Lebensrisikos überantwortet hat, dann erfordert auch der Grundsatz des Totalersatzes nicht, den Verletzten allein deshalb, weil sein Berufsweg infolge des Unfalls eine andere Richtung genommen hat und insoweit eine ursächliche Verknüpfung besteht, von negativen Folgen auch solcher beruflichen Entscheidungen freizustellen und sie dem Schädiger anzulasten, die bei wertender Betrachtung nichts mehr mit der erlittenen Verletzung und der durch sie bedingten beruflichen Veränderung zu tun haben. Bei solcher Umgestaltung seines Berufslebens handelt der Verletzte, dem ja auch die Aufstiegschancen und ein etwaiger Mehrverdienst aus seinem neuen beruflichen Engagement zugute kommen und ohne Anrechnung verbleiben (Senatsurteil vom 2. Juni 1987 - VI ZR 198/86 VersR 1987, 1239, 1240), auf eigenes Risiko. Er ist nicht auch dann noch bis ans Ende seiner beruflichen Tätigkeit durch die Haftung des Schädigers vor den Auswirkungen aller beruflichen Fehlentscheidungen und Fehlschläge geschützt.

b) Im Streitfall hatte K. nach dem Verkehrsunfall eine Arbeit als Programmierer bei der Firma T. aufgenommen, bei der er dann fast 18 Jahre lang in diesem Beruf tätig war. Er hat dort alsbald und sodann ständig mehr verdient als in seiner früheren Tätigkeit als Polizeihauptwachtmeister. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, daß K. sich in seinem neuen Beruf nicht "vollwertig" gefühlt oder ihn als seinen früheren Beruf nicht sozial-gleichwertig angesehen habe (vgl. dazu Senatsurteile vom 25. Mai 1982 - VI ZR 203/80 - VersR 1982, 791, 792; vom 2. Juni 1987 und vom 26. Februar 1991 = jeweils aaO.). Die Entscheidung, die Firma T. im Jahre 1982 zu verlassen und zur Firma S. seines Bruders zu wechseln, beruhte auch nicht etwa auf gesundheitlichen Spätwirkungen des weit zurückliegenden Verkehrsunfalls, sondern allein auf dem Wunsch des K., einen erfolgversprechenden neuen Beruf mit höherem Verdienst aufzunehmen. Diese Umstände lassen es in ihrer Gesamtschau bei wertender Betrachtung, die der Senat aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen selbst vornehmen kann, geboten erscheinen, haftungsrechtlich eine Zäsur zwischen dem Verkehrsunfall vom 11. Februar 1962 und den beruflichen Fehlschlägen des K. ab 1982 zu machen. K. hat durch seinen nicht mehr durch den Unfall geprägten Entschluß, seine in 18 Jahren gewachsene Position bei der Firma T. aufzugeben und in das Unternehmen seines Bruders zu wechseln, sein späteres berufliches Schicksal ebenso in die eigene Verantwortung genommen, wie dies auch bei dem Wechsel eines jeden anderen Mitarbeiters der Firma T., der keinen Verkehrsunfall erlitten hatte, der Fall gewesen wäre. Sein unfallbedingter Fortkommensschaden war, solange er seine Tätigkeit und damit seinen Verdienst bei der Firma T. beibehielt, ausgeglichen. Nichts spricht dafür, daß sich daran bis zum Ende seines Berufslebens etwas geändert hätte. Wenn K. unter diesen Umständen dennoch den Wunsch verspürte, sich beruflich zu verändern, so stand ihm dies zwar frei; es geht aber nicht an, den Verursacher des 20 Jahre zurückliegenden Unfalls für alle beruflichen Fehlschläge in die Haftung zu nehmen, die sich aus dieser weder durch die Unfallverletzungen noch durch einen "Minderwert' der Tätigkeit bei der Firma T. veranlaßten Entscheidung des K. ergeben. Der Verkehrsunfall und die durch ihn bedingte Arbeitsaufnahme des K. bei der Firma T. waren für seine erneute berufliche Veränderung zur Firma S. nur noch insoweit von Bedeutung, als K. ohne den Unfall vor einer ihm etwa auch dann angebotenen Möglichkeit eines Wechsels in das Unternehmen seines Bruders angesichts seiner sicheren Beamtenposition als Polizeihauptwachtmeister zurückgeschreckt wäre. Dieser Umstand allein steht aber angesichts der oben dargelegten und klar für die Eigenverantwortung des K. sprechenden Gegebenheiten nicht entgegen, eine haftungsrechtliche Zäsur zwischen dem Verkehrsunfall und den eingeklagten Erwerbsnachteilen anzunehmen mit der Folge, daß diese Nachteile mit Blick auf den Unfall nicht mehr im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB als "daraus entstehender Schaden" angesehen werden können.

c) Eine andere Betrachtung ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch nicht deshalb geboten, weil für die Entscheidung des K., in das Unternehmen seines Bruders zu wechseln, die berufliche Situation bei der Firma T. mitursächlich gewesen sein könnte und es deshalb in dieser Hinsicht noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedürfte. Es kann hier dahinstehen, ob der Schädiger stets auch noch für solche Fortkommensnachteile des Verletzten aufzukommen hat, die sich nach unfallbedingtem Berufswechsel erheblich später aus einer Umorganisation bei seinem neuen Arbeitgeber ergeben. Denn das Berufungsgericht läßt nicht offen, ob der Grund für den Wechsel des K. in das Unternehmen seines Bruders in der beruflichen Situation bei der Firma T. gelegen hat, sondern es stellt, von der Revision unangegriffen, in den Entscheidungsgründen fest, daß K. sein Arbeitsverhältnis als Programmierer aufgelöst hat, um eine leitende Tätigkeit in dem anderen Betrieb aufzunehmen. Zudem hat ausweislich des Tatbestands des Berufungsurteils nicht einmal der Kläger selbst behauptet, daß K., als die Firma T. ihre EDV-Abteilung, in der er arbeitete, nach Wiesbaden verlegte, nicht mehr dort habe arbeiten können; der Kläger hat vielmehr als Grund für den Berufswechsel des K. zu seinem Bruder vorgebracht, K. habe nicht nach Wiesbaden umziehen wollen. Ob dies ausreichen könnte, um die sich aus der Weigerung des K. und einem deshalb vorgenommenen Berufswechsel ergebenden Fortkommensnachteile dem Verursacher des Verkehrsunfalls anzulasten, kann aber letztlich dahinstehen, da, wie gesagt, das Berufungsgericht als Grund für den Wechsel die Zielsetzung des K. feststellt, in dem Unternehmen seines Bruders eine leitende Tätigkeit auszuüben. Die daraus entstandenen beruflichen Fehlschläge sind aber, wie ausgeführt, dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen.

III. Da der Rechtsstreit nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Abweisung der Klage reif ist, hat der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO diese Entscheidung selbst zu treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993728

NJW 1991, 3275

BGHR BGB § 249 Zurechnungszusammenhang 5

BGHR BGB § 842 Berufswechsel 1

DRsp I(123)356a-b

DAR 1991, 451

MDR 1992, 133

NZV 1992, 25

VRS 82, 248

VersR 1991, 1293

ES Kfz-Schaden L-1/39

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge