Entscheidungsstichwort (Thema)

Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im deutschen internationalen Privatrecht bei Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Es wird daran festgehalten, daß für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit im deutschen internationalen Privatrecht bei Personen, die neben einer ausländischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, nicht stets die letztere maßgebend ist; wenn die Beziehung des Mehrstaaters zu seinem ausländischen Heimatstaat wesentlich enger ist als die zum Inland, ist vielmehr an die ausländische Staatsangehörigkeit anzuknüpfen (Urt. des früheren IV. Zivilsenats BGHZ 75, 32). Für das deutsche internationale Erbrecht gilt insoweit nichts anderes.

 

Normenkette

EGBGB Art. 7, 24 Abs. 1, Art. 25 S. 1, Art. 27; LAG § 228 Abs. 1 Ziff. 5

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Juni 1978 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der am 26. Oktober 1964 verstorbene Erblasser, der nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils die deutsche und die österreichische Staatsangehörigkeit besessen und zuletzt in K./Oberösterreich gelebt hatte, hinterließ keine Abkömmlinge. Alleinerbe aufgrund Testaments vom 9. Januar 1962 ist der Beklagte. Zum Nachlaß gehörte ein in Österreich gelegener Gutsbetrieb; Grundbesitz in B./Sachsen (DDR), der dem Erblasser früher gehört hatte, war dort vor dem Erbfall entschädigungslos enteignet worden. Die Mutter des Erblassers (Klägerin), nach den Ausführungen des Berufungsgerichts Österreicherin, stellte Pflichtteilsansprüche. Ein von den Parteien hierüber geführter Rechtsstreit vor dem Bezirksgericht Freistadt/Oberösterreich endete durch Prozeßvergleich vom 17. Oktober 1967. Dabei erkannte der Beklagte den Pflichtteilsanspruch der Klägerin nach Maßgabe des österreichischen Rechtes in Höhe von 1/12 des reinen Nachlasses an und verpflichtete sich zur Zahlung von 310.000 öS an die Klägerin.

Aufgrund der deutschen Lastenausgleichsgesetzgebung erhielt der Beklagte, der deutscher Staatsangehöriger ist, nach 1969 verschiedene Zahlungen dafür, daß der Grundbesitz des Erblassers in der DDR entschädigungslos enteignet worden war (Zonenschäden). Dabei handelt es sich um einen Teilgrundbetrag von 205.820 DM aufgrund des 21. Änderungsgesetzes zum Lastenausgleichsgesetz vom 18. August 1969 und um verschiedene Zuschläge hierzu in Höhe von insgesamt 181.625 DM. Die Klägerin hat den Beklagten daraufhin auf einen weiteren Pflichtteil in Höhe von 1/8 hiervon nach deutschem Recht in Anspruch genommen und die Feststellung begehrt, daß der Beklagte 1/8 sämtlicher weiterer Beträge an sie zu zahlen habe, die er noch als Lastenausgleich gemäß § 228 Abs. 1 Ziff. 5 LAG in der Fassung vom 1. Oktober 1969 für sein in B./Sachsen gelegenes Grundeigentum erhalte. Der Beklagte hat sich auf Verjährung berufen und geltend gemacht, der Vergleich von 1967 stehe dem Klaganspruch entgegen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die auf die erwähnten Zuschläge und die genannte Feststellung beschränkte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Klage wie in der Berufungsinstanz weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die vom Beklagten erhobene Einrede der Verjährung durchgreifen lassen und haben dabei übereinstimmend deutsches Recht angewendet. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung über die Anwendbarkeit des deutschen Rechtes nicht begründet. Das Landgericht hat dazu ausgeführt, gegen die Anwendung deutschen Pflichtteilsrechts bestünden keine Bedenken; der Erbe sei Deutscher, der Erblasser sei zumindest auch Deutscher gewesen und der Lastenausgleichsanspruch sei als solcher in der Bundesrepublik Deutschland begründet.

Die Anwendung des Rechtes der Bundesrepublik Deutschland begegnet durchgreifenden Bedenken; der vorliegende Fall ist entgegen der Meinung der Vorinstanzen nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Nach Art. 24 Abs. 1 EGBGB wird ein Deutscher nach den deutschen Gesetzes beerbt, nach Art. 25 Satz 1 EGBGB ein Ausländer mit dem Wohnsitz im Inland nach den Gesetzen des Staates, dem er zur Zeit seines Todes angehörte. Hieraus folgt nach allgemeiner Meinung der Grundsatz, daß die Erbfolge sich nach dem Heimatrecht des Erblassers richtet (vgl. z.B. BGHZ 45, 351; BGH WM 1969, 72; Kegel in Soergel/Siebert 10. Aufl. Vorbemerkung vor Art. 24 EGBGB, Bern. 3).

Da der Erblasser nach den von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Zeit seines Todes sowohl die deutsche als auch die österreichische Staatsangehörigkeit besaß, ist zu entscheiden, an welche Staatsangehörigkeit bei Mehrstaatern anzuknüpfen ist. Diese Frage ist im Gesetz nicht geregelt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Auffassung ist in den Fällen, in denen der Mehrstaater nicht auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, an die Zugehörigkeit zu dem Staat anzuknüpfen, zu dem die betreffende Person die engste persönliche Beziehung hat (Grundsatz der effektiven Staatsangehörigkeit), wobei in aller Regel in erster Linie auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt wird (vgl. BGHZ 75, 32). Demgegenüber wurde in Fällen, in denen der Mehrstaater auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, bislang überwiegend stets an die deutsche Staatsangehörigkeit angeknüpft, wie dies auch weit verbreiteter Rechtspraxis des Auslands entspricht.

Der Bundesgerichtshof hat diese Meinung inzwischen aber aufgegeben; er hat sich den vornehmlich im Schrifttum gewonnenen neueren Einsichten nicht verschlossen und hat durch das genannte Urteil (für Art. 18 Abs. 1 EGBGB) nunmehr dahin entschieden, daß bei Mehrstaatern mit auch deutscher Staatsangehörigkeit im deutschen internationalen Privatrecht ebenfalls an die (effektive) Auslands-Staatsangehörigkeit anzuknüpfen und das ausländische Heimatrecht anzuwenden ist, sofern die Beziehung des Mehrstaaters zu seinem ausländischen Heimatstaat wesentlich enger ist (BGHZ 75, 32, 41). Diese Entscheidung hat im Schrifttum Zustimmung gefunden (Kropholler, NJW 1979, 2468; Heldrich, FamRZ 1979, 1006; vgl. auch Palandt/Heldrich, 39. Auflage, Vorbem. vor Art. 7 EGBGB Anm. 7 a bb); der Senat hält an ihr fest. Für das internationale Erbrecht gilt insoweit nichts anderes.

Demgemäß ist hier an die österreichische Staatsangehörigkeit des Erblassers anzuknüpfen. Denn nach dem Akteninhalt, auf den das Berufungsgericht Bezug genommen hat, ist davon auszugehen, daß der Erblasser 1946 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone verhaftet worden, später in die Westzonen geflohen ist, sich dort eine Zeitlang (mindestens 1 Jahr) aufgehalten hat und seitdem, spätestens seit 1950, seinen ständigen Aufenthalt in Österreich hatte, wo er zuletzt auf Schloß W., Post K./Oberösterreich, wohnte, einen Gutsbetrieb führte und sich insbesondere der Saatzucht widmete. Danach bestanden zu der maßgebenden Zeit, nämlich zur Zeit des Erbfalles, wesentlich engere Beziehungen des Erblassers zu Österreich als zur Bundesrepublik.

Das österreichische Recht verweist für die Fälle der vorliegenden Art nicht auf das Recht der Bundesrepublik zurück.

Eine (allgemeine) Zurückverweisung auf das deutsche Recht findet hier zunächst nicht mit Rücksicht auf die (auch) deutsche Staatsangehörigkeit des Erblassers statt. Nach österreichischem internationalen Privatrecht richtet sich die Erbfolge - von unbeweglichen Sachen abgesehen - grundsätzlich nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers (BGH ZfRV 1977, 133; Schwind, Handbuch des österreichischen internationalen Privatrechts, 7.3.1). Bei Mehrstaatern wird hier ähnlich wie im deutschen Recht im allgemeinen auf die effektive Staatsangehörigkeit abgestellt (OGH SZ 47, 79; Schwind, aaO, 4.3.5.2; Feil, ABGB, Handkommentar für die Praxis, §§ 33-37 Bern. 25). Das gilt aber dann nicht, wenn der Mehrstaater auch Österreicher ist; in diesen Fällen wird nahezu unbestritten auf die österreichische Staatsangehörigkeit abgestellt (OGH ZfRV 1968, 226 mit Anm. v. Reichelt; Schwind, aaO, 4.3.5.1.); dieser Grundsatz ist in § 9 Abs. 1, Satz 2 des am 1. Januar 1979 in Kraft getretenen österreichischen Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (öBGBl 1978, 1729) für die Zukunft ausdrücklich festgeschrieben.

Das österreichische Recht verweist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht für diejenigen Zahlungen auf deutsches Recht zurück, die der Beklagte nach der deutschen Lastenausgleichsregelung erhalten oder zu erwarten hat.

Allerdings wurde für das österreichische internationale Privatrecht die Auffassung vertreten, die Erbfolge in unbewegliche Sachen eines Österreichers im Ausland richte sich nach der lex rei sitae, was zu einer Nachlaßspaltung führen kann. Auch der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes ist dieser Auffassung gefolgt (ZfRV 1977, 133 mit kritischer Anmerkung von Beitzke). Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er sich dem III. Zivilsenat insoweit anschließen könnte oder ob die insbesondere von Schwind a.a.O. 7.4.1. ff vertretene Gegenmeinung den Vorzug verdient. Denn auch wenn dieser (für die Zukunft durch das österreichische IPR-Gesetz wohl überholten - vgl. Palandt/Heldrich 39. Aufl. Art. 24 EGBGB Anm. 1 -) Auffassung des III. Zivilsenats zu folgen wäre, griffe der genannte Grundsatz hier nicht ein.

Was unter beweglichen Sachen im Sinn der umstrittenen Kollisionsregel zu verstehen ist, muß nach österreichischem Recht beurteilt werden. Danach werden gemäß § 298 ABGB Rechte den beweglichen Sachen beigezählt, wenn sie nicht mit dem Besitz einer unbeweglichen Sache verbunden oder durch die Landesverfassung zu einer unbeweglichen Sache erklärt sind. Unter diese Ausnahmen fallen Ansprüche auf Leistungen nach dem deutschen Lastenausgleich nicht, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um Entschädigungen für im Gebiet der DDR (vor dem Erbfall) enteigneten Grundbesitz handelt (vgl. im einzelnen Klang, ABGB Anm. zu §§ 298 f.; Feil, aaO, Anm. zu § 298 ABGB).

Eine Einigung der Parteien dahin, daß sie so gestellt sein wollen, als wenn sich ihre Rechte nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland richteten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Im Gegenteil finden sich in den Akten mehrere Hinweise darauf, daß die Parteien eine solche Einigung gerade nicht treffen wollten (vgl. S. 2, 3 der Klagschrift, S. 2, 3, 4 der Klägerwiderung, S. 4 des Schriftsatzes der Klägerin vom 31. Oktober 1977, S. 4 der Berufungsbegründung).

Demnach kann die angefochtene Entscheidung nicht bei Bestand bleiben.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Rottmüller

Dehner

Blumenrohr

Dr. Schmidt-Kessel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456320

NJW 1980, 2016

NJW 1980, 2645

IPRspr. 1980, 126

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